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Staatsan^eiger für Erscheint Werktags nachmittags mit dem Datum des ErscheinungStageS. Bezugspreis: Monatlich 3 Mark. Einzelne Nummern 15 Pf. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 21295 — Schriftleitung Nr. 14574. Postscheckkonto Dresden Nr. 2486. — Stadtgirokonto Dresden Nr. 140. den Freistaat Sachsen Ankündigungen: Die 32 mm breite Grundzeile oder deren Raum 35 Pf, die 66 mm breite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 70 Pf., unter Ein gesandt 1RM. Ermäßigung auf GeschäftSanzeigen, Familiennachrichten und Stellen gesuche. — Schluß der Annahme vormittags 10 Uhr. Dresden, Freitag, 28. Dezember Nr. 301 Leitweise Nebenblätter: Landtags-Beilage, Verkaufsliste von Holzpflanzen auf den Staatsforstrevieren. Verantwortlich für die Redaktion: I. B.: vr. Fritz Klauber in Dresden. 1928 Frankreich ein unnachgiebiger Gläubiger und unentschlossener Schuldner. Paris, 28. Dezember. Ter halbamtliche „Excelsior" erinnert im Zu sammenhang mit der amerikanischen Weige rung, eine Verbindung der Nepara- tions- und der Schuldenfrage zuzu lassen, daran, daß Frankreich daL ein zige Land sei, das bisher noch nicht das Schuldenabkommen mit Amerika ratifiziert habe. Tie beiden bisher ge leisteten Jahreszahlungen stellten nur einfache Abschlagszahlungen dar. Man habe daher Grund zu der Frage, ob die französischen Sachverstän digen in dem Reparationsausschuß sich nicht in einer schwierigen Lage befinden würden, da in dem Ausschuß auch Amerikaner sitzen würden. Tiefe hätten dann, mit Ausnahme der Franzosen, nur Ver treter derjenigen Länder vor sich, die ihre Schulden mit Amerika geregelt hätten Wie könne die fran zösische Regierung ihre Rolle als unnachgiebiger Äläubiger gegenüber Deutschland und als unent- schlossener Schuldner gegenüber Amerika aufrecht erhallen? Die sranzösiich-amerikanische Zusammen arbeit sei für das Gelingen eines eben Kommer- zialisierungsplanes der deutschen Schuld unerläßlich. Die Unterbringung der deutschen Eisen bahn- und JnduHrieobligationen fei nicht möglich,wennsichdiegroßenameri- kautschen Ftuauzmärkte verschlössen. * Seydoux stellt Deutschlands «.Wohlstand" fest. Paris. 28. Dezember. In einem Artikel „Die Legende von der deutschen Armut" im „Pelit Parisien" kommt der bekannte französische Wirtichaftspolitiker Seydoux zu folgendem Schluß: „Die Einnahmen der fran zösischen Eisenbahngesellschaften werden für 1928 in runden Zistern etwa 15 Milliarden Franken ausmachen. In Deutschland werden sie 5,15 Milliarden Goldmark, daS heißt 31 Mil liarden Franken betragen, also das Dop pelte der französischen Einnah- men. Gleichzeitig beträgt der französische Staatshaushalt 45 Milliarden Franken, der deutsche 10 Milliarden Goldmark, d. h. ungefähr 60 Milliarden Franken. Das Verhältnis der deutschen Eisenbahneinnahmen zum deutschen Haushalt ist also 1: 2, während das Verhältnis in Frankreich sich auf 1:3, beläuft. Es gebe kein besseres Anzeichen für den Wohlstand eines Landes, das ein ausgedehntes wohl organisiertes Eisenbahnnetz besitze, so schreibt Seydoux, als seine Eisenbahneinahmen. Man erkenne also, daß die Haushaltslasten, die auf der deutschen Wirtschaft ruhten, durch die Elemente des allgemeinen Wohlstandes viel mehr ausgeglichen seien als in Frankreich. * Die Erhöhung der Abgeordneten diäten als Gefahr einer Kabinetts krise. Paris, 28. Lczember. Völlig unerwartet hat sich die Gefahreiner neuen Kabinettskrise eingestellt. Diesmal handelt »S sich um die Meinungsver schiedenheiten desMint st erpräsidrnten mit den übrigen Ministern bezüglich der Erhöhung der AbgeordnetrndiSten, für die der Finanzmintster Eheron im Senat rin- trat, während Poinears sich zwar nicht grund- sätzlich dagegen auSsprtcht, den Augenblick für dte Behandlung der Frage aber nicht siir ge. eignet hält. Während sich der Senat gestern in öffentlicher Sitzung mit der Beratung des Finanzgesetzes be faßte, herrschte in den Wandelgängen lebhafte Be wegung, die von Minute zu Minute wuchs, sodaß man sich in die fieberhaften Stunden derMinister- trisen zurückversetzt glaubte. Am Nachmittag waren der Msniflerprästvent und die Minister Vrlaud. Barthou und Marraud im Senat hinter verschlossenen Türen zu einer Art lleinem Kabinettsrat zusammengetreten, der außerordentlich lebhaft verlief. Nach Beendigung dieser Kon ferenz hielten Poincarö und Finanzminister Eheron eine private Besprechung ab, worauf Poincarö, ohne ein Wort zu sagen, den Senat verließ, während die übrigen Minister von Eheron sofort zu einer neuen vertraulichen Beratung aufgefordert wurden. Man erfuhr schließlich, daß die Negie rung, mit Ausnahme ihres Chefs, die schon früher getrostere Entscheidung ausrechterhielt und Eheron am heutigen Freitag das Gesetz über die Er höhung der Abgeordnetendiäten, so wie es nach der Abstimmung in der Kammer Eheron selbst neu gefaßt hatte, vertreten soll. Heute vormittag sollte ein Kabinettsrat statt- finden, der sich noch einmal mit der Angelegenheit befassen soll. Es ist möglich, daß es zu einer Lösung kommen wird. Ta sich alle Mitglieder der Regierung darüber einig sind, die Abstimmung über den Haushalt bis zum 31. Tezember zu er ledigen, besteht die Aussicht, daß auch die Frage der Tiälenerhvhungen ebenso wie die der Ünver- einbarlichkeiten vom übrigen Haushaltgesetz ab getrennt werden. Dolksentscheidüber MietSregelms in Österreich. Wien, 28. Tezember. Nach dem „Neuen Wiener Journal" hat die österreichische Regierung die Absicht, die Mieten gesetze auszuheben und die Mietenfrage durch einen Volksentscheid lösen zu lassen. Tas wäre der erste Volksentscheid, der in Österreich stattfindet. Tie Schwierigkeit liegt aber darin, daß es zu dem Artikel der Verfassung, der den Volksentscheid als Willensäußerung des Bolles vorsieht, noch kern Aussührungegefetz gibt. Zunächst müssen also erst die Aussührungsbestimmungen ge- schaffen werden, was angeblich bereits unmittelbar nach Neujahr geschehen soll. AeueVerschärfung in dem Konflikt zwischen Bolivien und Paragnay. Washington, 28. Dezember. Nachdem die vermittlungsbemühnnge« zum Stillstand gekommen sind, da man abwartet, ob Bolivien und Paraguay den vor zwei Lagen hier auSgearbeiteten Protokollentwurf annehmc«, berichtete dte Gesandtschaft Paraguays gestern abend, die Bolivianer hätten daS Fort bei Bangnardta in dem umstrittenen Gebiet wieder besetzt und ihre Lruppcn 12 «eilen weiter in bas Innere deS Gebietes vorgeschoben und dadurch wieder eine „sehr rrnste Lage" «eichajsr». Dir Gesandtschaft bemerkt, dieser Vorstoß sei obere Gefecht» bar sich »aaa»a«». Die Bolivianer hätten Vorteil an» dem Beseht gezogen, de» die Regierung Paraguays an ihre Truppe« aüSgegeben hätte, alle Feindseligkeiten einzustellen. Sie franzdstschen Sandels- ablommen mit Österreich und der Tschechoslowakei ratifiziert. Paris, 28. Tezember. Die Kammer rattfizerte gestern durch Handausl-eben das am 16. Mai 1928 abgeschlossene österreichisch-französische und das am 2. Juli 1928 abgeschlossene tschechoslowakisch französische Handelsabkommen und nahm die sich aus den Verträgen ergebenden Abände rungen einiger französischer Zollsätze an. In der Debatte über das österreichisch-fran zösische Handelsabkommen forderte Ler Vorsitzende des Zollaussci usses, Abgeordneter Fougere, daß der französische Minimaltarif unbedingt als äußerste Grenze für Zollermäßigungen erachtet werden müsse. Abgeordneter Gignoux führte aus, Frankreich habe seit 1919 dreierlei Arten von Änderungen in seiner Zollgesetzgebung vorgenommen; zunächst sei es aus die Meistbegünstigungsklausel zurückgekommen, dann habe es die Zollsätze konsolidiert, schließlich habe es die Gewohnheit angenommen, unter BewMi- gung von Zollsätzen, die niedriger sind als Ler Minimaltarif, zu verhandeln. Tie ausländi schen Fertigfabrikate könnten mit stän- dig wachsender Leichtigkeit nachFrank- reich eindringen, während die französischen Industriellen gegen sie nur ankämpfen könn ten durch Verminderung ihres Gewinnes. Um eine gerechte Konkurrenz wieder zu ermöglichen, dürfe Frankreich in Zu kunft nicht unter den Minimallarif heruntergehen. — Ter Vorsitzende des Kammer- auSschusseS für Handel und Industrie, Abgeordneter Durand, kritisierte die Aufrechterhaltung von prohi- bitiven Einfuhrzöllen bei dem Handelsabkommen mit der Tschechoslowakei namentlich bei Weinen und Automobilen, und erklärte, auch gegenüber Österreich zeige sich die gleiche Lage. — Handels minister BonnesouS erinnerte in seinen Aus- sührungen an die Rede, in der Briand aus die Bemühungen Frankreichs beim Völkerbund zu- gunsten Österreich- hinwle-, und erklärte, die Kammer würde durch Ratifizierung der Abkommens nicht nur die französischen Wirtichaftkintereffen wahrnehmen, sondern auch ein diplomatisches Werk und Friedens werk vollbringen. Ser Direktor der „Aumeur" verhaftet. Paris, 28. Dezember. Der Krach der „Gazelle du Frane" scheint immer weitere Kreise zu ziehen. Gestern wurde der Direktor der Pariser Zeitung „La Rumeur" Anquetil erneut vom Untersuchung?- lichter vernommen und darauf verhaftet. Wie verlautet, soll einer seiner Mitarbeiter von Frau Hanau zwei Schecks über je 75000 Franken er- halten haben. Tie Quittungen hierüber wollte Frau Hanau ursprünglich nicht der Polizei aus- liesern, sah sich aber, nachdem die Tatsache dem Gericht von anderer Seite zu Ohren gekommen war, zur Auslieferung gezwungen. In den Wandelgängen der Kammer ist übrigens das Gerücht verbreitet, daß zwischen Justiz Minister Barthou und Poincarä wegen der „Gazette du Franc" MeinungS- Verschiedenheiten bestehen sollen. Barthou will angeblich die ganze Geschichte nach und nach ersticken, während Poincarö alle in der Angelegen heit verwickelten Persönlichkeiten gerichtlich verfolgt sehen will. Benoit vor dem Mersuchnng-- richten Parts, 28. Dezember. Der Urheber des Anschlages auf den Kolmarer Generalstaatsanwall, der Elsässer George Benoit, wurde gestern nachmittag einem ersten Verhör unterzogen. Der Angeschuldigte, der durch dte Untersuchungshaft keineswegs gedrückt scheint, hat seine gewohnte Ruhe beibehalten Ter Vernehmung wohnte sein Verteidiger, der kommunistisch« De putierte Berthon bet. Sin russischer Dampfer in Lhina beschlagnahmt. Peking, 28. Tezember. In der chinesischen Hafenstadt Wu-Sung wurde der zwischen Wladiwostok und Schanghai ver kehrende Dampfer „Sypinghai" wegen an geblicher Beförderung chinesischer und russischer Kommunisten von der Hafen- Verwaltung durchsucht und beschlagnahmt. Ins gesamt 50 Fahrgäste wurden verhaftet. Errichtung einer syrischen Monarchie? London, 28. Dezember. „Daily Expreß" meldet aus Paris, eS ver- laute,daß vorbehaltlich der Zustimmung der Randallommission d«S Völker bundes dte syrische versassnng vielleicht ge ändert und daS französische Mandatgrblrt Syrien ln eine Monarchie nmgewandelt werden würde. Die endgültige Wahl für de« syrischen Dhron werde wahrscheinlich auf Prinz Adil Ben Ayad falle», desse» Kandidat»! jetzt i» ei»sl»ß. reichen Kreise» i» Paris erörtert werde. Adil ven Ayad ist ei» Nachkomme der vmajade». Kalise». Sei»e Fra» ist eine Richte de- Königs Fuad von Ägypten. Er selbst ist französischer Bürger, lebt in Passy »nd steht im Alter von 4S Jahren. Amerikas Mitarbeit. Tie Politik des „Als ob" scheint uns auch in der Reparationsfrage vorwärtsbringen zu können. Die Sachverständigenkonferenz wird behandelt, als ob sie tatsächlich von den Regierungen unabhängig wäre. Natürlich wird keine Regierung Sachver ständige zulassen, die ihren eigenen politischen Überzeugungen gerade entgegengesetzt orientiert wären. Natürlich wird auch das Ergebnis der Sachverständigenlonferenz der nachträglichen Be einflussung durch die Regierungen unterliegen. Trotzdem hat die Fiktion, als ob die Sachverstän digen unabhängig von aller Politik die Repara- tionssrage nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten erörterten, ihren praktischen Wert. Nur auf Grund dieser Fiktion ist es überhaupt den Vereinigten Staaten möglich, sich an der Konferenz zu betei ligen. Ohne Beteiligung Amerikas hätte aber die ganze Konferenz keinen Zweck. Amerika will nicht in die politischen Händel Europas miteinbezogen werden Es kann sich offiziell weder an einer Völkerbundkaktion, noch an einer mit der Liqui dierung der Kriegspolitik beschäfigten Kommission beteiligen. Feierliche Regierungserklärungen und unüberwindliche Vorurteile der öffentlichen Mei nung stehen dem im Wege. Aber eine angeblich unabhängige Konferenz, zu der Amerika nur angebliche Beobachter schickt, das bedeutet eine Form, die über ave Hindernisse Hinweg- Hilst. Man sieht, was unter Umständen auf die formale Behandlung einer politischen Aufgahe an kommen kann. Bei der ersten Reparationskonferenz war eS nicht anders. Die ganz inoffizielle Be teiligung Amerikas war trotzdem kein HinderungS- grund den amerikanischen Bankier Charles TaweS zum Vorsitzenden zu machen, so daß er geradezu den ganzen Verhandlungen und ihrem Ergebnis den Stempel seines Namens und seiner Auffassungen ausdrücken konnte. Möglicherweise ist er auch jetzt wieder der amerikanische Vertreter. Neben ihm werden allerdings noch andere Namen genannt, so auch Ler des Reparationsazenten Parker Gilbert, doch tun hier Namen wirklich nicht vcl zur Sache. Die Haltung Amerikas lieFt in ihren großen Zügen fest. Es gehört auch das zur Politik deS „Als ob", wenn die amerikanische Regierung so tut, als ob sie eigentlich an den Reparationsfragen nicht so dringend beteiligt wäre und nur gewissermaßen aus Edelmut dem armen Europa bei der Überwindung dieser finanziellen Schwierigkeiten helfen wollte. Europa ist immer noch ein so wichtiger Kunde Amerikas, daß seine Finanzlage auch den klugen Geschäftsleuten jenseits des Atlantischen Ozeans nicht gleichgültig jein kann. Dazu kommt noch das un mittelbare Interesse, daß die Vereinigten Staaten infolge des Kriegsausganges mit einem Überfluß an Kapital zu rechnen haben, der sich innerhalb ihrer Grenzen gar nicht rentabel unlerbringen läßt. Dieses Kapital muß Anlagemöglichkeiten in der ganzen Welt suchen, und das Neparationsproblem ist die aussichtsoollste Geschäflsunternehmung, die es zurzeit in der ganzen Welt gibt. Auch wenn sich die Amerikaner nichts merken lasten, so ist es doch unschwer zu erraten, daß sie auf das alleiinten- siofle an diesem Geschäft interessiert sind. So vor sichtig ihre Zusage der Beteiligung auch gehalten sein mag, so deutlich sprechen die Tatsachen. Der künftige Präsident Hoover hat seinen Reiseplan geändert, um noch Anfang Januar in Washington zu sein, und der Reparationsagent Parker Gilbert ist gleichfalls dahin beordert. Zumeist richtet sich die amerikanische Vorsicht gegen Frankreich, Man darf jagen, dies ist die erfreulichste Seite der amerikanischen Politik. Man gibt es den Franzosen sehr deutlich zu verstehen, daß amerikanische Gelder unter keinen Umständen dazu da sind, um mit ihrer Hilfe einen neuen europäischen Krieg finanzieren zu lassen. Alle schönen Friedensreden der französischen Minister täuschen daS nüchterne Amerika nicht darüber hin weg, daß in Frankreich zurzeit eine Politik der gewaltigen Aufrüstung getrieben wird. Aber KriegS- krebtte sind ein sehr unsichere- und unrentables Geschäft. DaS Bestreben der amerikanischen Geld geber, lieber auf der soliden Basis von FriedenS- unternehmungcn in Europa Geschäfte zu machen, deckt sich durchaus mit dem gesamteuropäischen Interesse. Auch Frankreichs Versuch, die Repara- tionkfrage mit der Kriegsschuldenfraze zu ver koppeln, findet in Washington keine freundliche Ausnahme. Frankreich hat ja überhaupt die Nei gung, das Reparalionsproblem al- den Angelhaken