| Entstehung: Februar bis 19. August 1893 Neun Tage nach der Uraufführung seiner sechsten Symphonie - am 16. (28.) Okto ber 1893 dirigierte der Komponist in St. Petersburg das Orchester der „Russischen Musikgesellschaft“ - ist Tschaikowsky gestorben: der kirchenbehördlichen Todes bescheinigung zufolge an der Cholera. Doch ist der privilegierte Künstler wirklich dieser „Armenkrankheit” erlegen? Bis heute halten sich die Gerüchte darüber, dass er sich selbst das Leben genommen hat - und die russische Musikwissenschaftlerin Alexandra Orlova fand 1980 eine bestechende Erklärung: Ein „Femegericht“ habe ihn aufgrund seiner homosexuellen Neigungen zum Selbstmord verurteilt. Die von seinem Bruder Modest verbreitete Nachricht vom Tod durch die Cholera sei ein Ablenkungsmanöver gewe sen. Doch Tschaikowskys jahrelang ver tuschte Homosexualität erklärt nicht seine gesamte Biographie. Alexander Poznansky dokumentiert in seinem Buch „Tschaikows kys Tod. Geschichte und Revision einer Legende“, dass gleichgeschlechtliche Liebe im Russland des ausgehenden 19. Jahrhun derts zwar theoretisch mit Verbannung, Rechtsverlust und Zwangsarbeit bestraft werden konnte, tatsächlich aber zumindest in gehobenen Kreisen ausgelebt wurde, ohne dass dies strafrechtlicht verfolgt wurde. Hat am Ende die Tabuisierung von Tschaikows kys Homosexualität überhaupt erst zu den Legendenbildungen beigetragen? Während der Arbeit an seiner Symphonie hat Tschaikowsky sich nach seinen eigenen Worten so wohl gefühlt wie selten. Am 12. August 1893 schrieb er seinem Verleger, niemals in seinem Leben so zufrieden mit sich gewesen zu sein und „ tatsächlich etwas Gutes geschaffen“ zu haben. Er verstand seine letzte Symphonie als „musikalische Seelenbeichte, das Bekenntnis einer Seele, die, zum Bersten gefüllt vom Niederschlag des Lebens, sich in Tönen ergießt“. In einem Brief vom Februar 1893 an seinen Neffen Wladimir Dawidow, der Widmungsträger der Symphonie wurde, schrieb er, dass das Programm seiner neuen Symphonie „für alle ein Rätsel bleiben wird. “ Es „ist durch und durch subjektiv“. Dennoch tut man Tschaikowsky unrecht, wollte man seine letzte Symphonie als tönende Bilderfolge hören, die am Faden seiner Biografie entlangläuft. Nicht anders als Liszt und Strauss hat auch Tschaikows ky kompositorisch gedichtet, so dass die außermusikalischen Gedanken allein in der Struktur der Komposition ihren Nieder schlag gefunden haben. Während der Arbeit an der Symphonie wurde er von Großfürst Konstantin Konstantinowitsch gefragt, ob er nicht die Bühnenmusik zu Alexej Apuchtins Schauspiel „Requiem“ schreiben wolle - er lehnte den Auftrag mit der Begründung ab, dass seine soeben komponierte letzte Sym phonie „besonders das Finale, von einer Stimmung durchdrungen ist, die derjenigen eines Requiems sehr nahe kommt. “ Eröffnet wird die Symphonie mit einer „Adagio“- Einleitung, die über dem chromatisch ab steigenden Lamento-Bass komponiert ist.