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ODEON CONCERTE WERKEINFÜHRUNG Entstanden war die Komposition nämlich in der für Beethovens sonstigen Arbeitsprozess unge wöhnlich kurzen Zeit von knapp zwei Monaten im November und Dezember 1806. Der entscheiden de Schaffensimpuls ging wahrscheinlich von dem mit Beethoven gut bekannten Geiger Franz Cle ment aus, der sich eine Komposition Beethovens für ein von ihm selbst veranstaltetes Konzert wünschte, das am 23. Dezember 1806 im „Theater an der Wien“ stattfmden sollte. Beethoven, der seine Klavierkonzerte zum eige nen Gebrauch verfasste, hatte es hier mit einem ihm weniger vertrauten Instrument zu tun, wenn er auch in der kompositorischen Behandlung der Violine schon einige Erfahrung gesammelt hatte: in den Violinsonaten, den beiden Violinromanzen mit Orchesterbegleitung und einem frühen Vio linkonzert-Versuch aus den Bonner Jahren, der nur fragmentarisch überliefert ist. Bezeichnen derweise ist sein Konzert aber nicht aus der Per spektive des Virtuosen geschrieben, wie etwa die wenig später entstehenden Werke eines Niccolo Paganini, sondern auf intensive Vernetzung von Solo- und Orchesterpart hin angelegt: mit Beet hovens D-Dur-Konzert beginnt die Tradition des „sinfonischen“ Violinkonzerts, das später beson ders bei Brahms seine Fortsetzung findet. Blickt man zurück statt nach vorne, so erweist sich Beethovens Violinkonzert nicht als Fortset zung der Mozartschen und damit indirekt der ita lienischen Konzerttradition des 18. Jahrhunderts, sondern reiht sich, wie auch schon Beethovens bei de Violinromanzen, ganz der Entwicklungslinie der„französischen Schule“ ein, wie sie durch Gavi- nies, Viotti, Kreutzer, Rode und Baillot repräsen tiert wird, Komponisten, die unserem aktuellen musikalischen Bewusstsein weitgehend ent schwundensind. Die Interpretationsgeschichte hat diese Abkunft zusätzlich verschleiert. Der Kopfsatz des Beetho- venschen Konzerts wird heute, gegen Beethovens von Carl Czerny überlieferte Tempovorstellungen, meist viel zu langsam aufgeführt. Damit ist kaum mehr zu spüren, dass es sich hier nicht um eine ly risch-elegische Musik mit leicht sentimentalen oder gar süßlichen Zügen handelt. Die in der Pau ke angeschlagenen vier Viertel zu Beginn - ein Beethoventypischer „Vorhang“ vor dem eigentli chen Beginn der Musik - signalisieren anderes: sie geben einen Marschrhythmus vor, und der gan ze Satz weist denn auch bei straffer Interpretation den typischen Marschcharakter und Hymnen tonfall der französischen Revolutionsmusik auf. Französischem Vorbild folgt auch der zweite Satz im Romanzenton, sozusagen die instrumentale Übertragung einer Arie, wobei die Melodie von Streichern, später von Hörnern und Klarinetten intoniert und von der Solovioline anmutig um spielt wird. Gleiches gilt für das Finale, welches Beethoven ungewöhnlicherweise direkt aus dem langsamen Satz herauswachsen lässt. Wie in vie len französischen Vorbildern beginnt es mit ei nem typischen, eigentlich aus der Vorstellung des Hörnerklangs entwickelten Jagdthema im 6/8- Takt, das direkt von der Solovioline intoniert und dann erst vom ganzen Orchester jubelnd aufge griffen wird. Mit wechselnden Couplets entwi ckelt sich hieraus ein farbiges und brillantes Fina le, in dem das sinfonisch behandelte Orchester und das in spielerischen Läufen glitzernde So loinstrument in Frohsinn und guter Laune mitei nanderwetteifern. Durchschlagenden Erfolg erzielte Beethoven mit seinem Violinkonzert anfangs nicht. Belege von weiteren Aufführungen finden sich zunächst nur spärlich, auch Clement scheint die Komposition kein zweites Mal öffentlich gespielt zu haben. Ins Standardrepertoire der Geiger gelangte es erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts, als Joseph Joachim sich nachhaltig dafür einsetzte und das Werk so wohl als Geiger wie als Musikpädagoge durch-