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teristischen aufklärerischen Färbung verstand er sich als Hüter der sittlichen Normen, als geistiges Fundament der Gesellschaft, das anzutasten wider alle Vernunft gewesen wäre. Wie sehr Mozart in die ser Beziehung Kind seiner Zeit und katholischer Österreicher war, zeigte seine gehässige Reaktion auf den Tod des „Ketzers“ Voltaire in einem Brief vom 3. Juli 1778 an den Vater: da nehmlich der gottlose und Erzspizbub Voltaire so zu sagen wie ein hund, wie ein vieh crepiert ist - das ist der Lohn!“ Das stimmte zwar nicht, aber es war die Haltung des aufgeklärten Katholiken, für den die Religion viel leicht nicht einmal persönliche Herzenssache war, wohl aber unerschütterliche Basis aller geistig-ge sellschaftlichen Ordnung gegenüber dem Störer die ser Ordnung. Diese Haltung schloss Kritik, ja Hass gegenüber dem Klerus oder einzelnen Trägern der Hierarchie keineswegs aus, wie aus Mozarts ge spanntem Verhältnis zu seinem Brotherrn, dem Salz burger Erzbischof Colloredo, ersichtlich ist. Mozart schrieb seine Kirchenmusik - 19 Messen, vier Litaneien, zwei Vespern, mehr als drei Dutzend kleinere Stücke und 17 Kirchensonaten - zum weit überwiegenden Teil im Dienst als Salzburger Hofor ganist. Von den Messen sind zeitlich nur die erste, die so genannte Waisenhaus-Messe c-Moll KV 139 von 1768, und die letzte, das Requiem d-Moll KV 616, aus dem Todesjahr 1791, Auftragsarbeiten. Eine ein zige Messe, die Große in c-Moll KV 427 komponier te Mozart aus eigenem Antrieb aufgrund eines Ge lübdes, aber sie wurde nie vollendet. Die Litanei ist eine alte christliche Gebetsform, ein Bittgesang, der sich aus einer Reihe von Anrufungen des Vorbeters zusammensetzt, auf deren jede die Gemeinde mit „Ora pro nobis“ („Bitte für uns“) ant wortet. Mozart hat in Salzburg in den Jahren 1771 bis 1776 vier Litaneien geschrieben. Seine erste, die Marien-Litanei in B-Dur KV 109 vom Mai 1771 ist die schlichteste und unaufwendigste von den vier Wer ken; sie besteht aus fünf kurzen Sätzen. Die übrigen drei Litaneien - KV125 (ebenfalls in B-Dur), KV 195 in D-Dur sowie die in der Tonart Es-Dur stehende Sakraments-Litanei KV 243 - halten bewunderungs würdig die Balance zwischen festlich repräsentati vem Charakter und einer sowohl innigen als auch konzertanten „weltlichen“ Akzentuierung. Im März 1776 niedergeschrieben, beginnt die Es- Dur-Litanei KV 243 quasi im eher offiziellen liturgi schen Tonfall, im verhalten leuchtenden Es-Dur. Die ser Anfangsteil kehrt verkürzt am Ende wieder und rundet so die Komposition auch äußerlich ab. Da gegen kontrastiert effektvoll das koloraturenreiche Tenor-Solo des folgenden Panis vivus, ein stattlicher Konzertsatz mit zwei ein wenig voneinander abwei chenden Expositionen, Durchführung und Reprise. Ein kurzes, ernst gehaltenes Chor-Largo („Verbum caro factum“) leitet über die Dominante g zum Hostia sancta über mit seinen vokalen Tutti-Solo- Abfolgen: kantabel und sanft das Solistenensemble, machtvoll kontrastiert dazu der Chorsatz. Eine Über leitung der beiden Violinen führt zum programma tisch mit Tremolo-Effekten und düsterer Harmonik ausgemalten Tremendum mit seinem eindringlich deklamierenden Chor, dem ständig schaurige Ak zente in den Pauken entgegengesetzt werden. In großem Kontrast hierzu steht das folgende lieblich weltliche Sopran-Solo im Dulcissimum convivium, zart von dem, von Flöten dominierten Orchester be gleitet. Auch das Viaticum hat durch seine ganz eigene Instrumentierung eine besondere Atmosphäre: Die Streicher spielen pizzicato, und im Hintergrund steuern drei Posaunen, zwei Hörner und zwei Fagotte die verhangen düstere Mischfarbe bei. Das Vorspiel führt suggestiv über eine chromatische Akkordfolge