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fen, da man die erforderlichen Staatsgelder den Ueberschüflen der Staatseinnahmen, die sich bis jetzt bereits erfreulich für 1880 ergeben, entneh men können wird. — Die Zahl der in den Fin then Umgekommenen hat sich bereits auf 70 er höht. Manche derselben liegen noch unter den Trümmern. Der Schaden an Privateigenthum, Brücken, Stegen, Straßen, Wegen, Gärten, Fel dern, Wiesen, Ufermauern, Fabriken, Teichen und Braunkohlengruben — von deneü mehrere ersoffen sind, so daß der Betrieb vor 2—3 Mo naten nicht wieder wird ausgenommen werden können — liegt vor der Hand noch außer aller Berechnung. In einem Berichte aus dem Pließ- nitzthale heißt es: Nur der kleinere Theil der im Thale erbauten Häuser ist unversehrt, wäh rend die weitaus größte Zahl derselben theil weise keine Spur mehr verräth oder einer Ruine gleicht. Möbelstücke aller Art blicken unter den Trümmern hervor, Kleidungsstücke und Wäsche hängen als Lumpen an den Weiden und Pap peln, welche das Flußufer begrenzen, kurz ein Bild bietet sich dem Beschauer, wie es schlimmer Szegedin kaum aufgewiesen haben dürste. An ein Beseitigen dieser Trümmer ist vor der Hand nicht zu denken, da die Communication per Wa gen im ganzen Thale ein Ding der Unmöglich keit ist. Zwar arbeiten die Pionniere unermüd lich an der Herstellung von Holzbrücken und ha ben auch bereits mehrere vollendet, doch werden noch viele Wochen vergehen, bevor eine nur ir gendwie passirbare Straße von Bernstadt nach Berthelsdorf hergestellt sein wird. Mehrere Compagnien des 102. Jnf.-Reg. arbeiten an der Ausbesserung der Chaussee, doch dürften auch hierzu Monate erforderlich sein, um irgend et was zu erzielen, da die Straße stellenweise auf 30 m Länge und 6 bis 7 m Tiefe vollständig durchbrochen ist und ziemliche Teiche bildet. — Der sächsische Staat besitzt als fiscalisches Eigenthum 13 Kammergüter, welche einen Flä cheninhalt an Grund und Boden von etwa 6700 Acker umfassen. Das größte Kammergut ist Kalkreuth bei Großenhain mit 1235 Acker, das kleinste Pennrich bei Potschappel mit 94 Acker. An Pachtgeld werden bezahlt für Döhlen 25050 für Gorbitz 25646 ^, für Hohnstein 12000 für Kalkreuth 15138 für Lohmen 19437 für Mügeln 33000 für Ostra 44638 für Pennrich 5212 für Pillnitz 16722 für Pratzschwitz 16327^, für Sachsenburg 12 000 für Sedlitz 18496 für Zella 29015 Sämmtliche 13 Kammergüter er geben ein jährliches Pachtgeld von 272711 — In Waldenburg grassirt unter den Kin dern der sog. „Ziegenpeter" so gewaltig, daß in den Schulen nur die Hälfte der Kinderzahl ver treten ist. — Die Nachricht, daß der Klingenberger Ei senbahnräuber ermittelt sei, scheint sich nicht zu bestätigen, wenigstens ist der zuständigen Be hörde, der Freiberger Staatsanwaltschaft, noch keine Meldung zugegangen. Der als Thäter bezeichnete ehemalige Dresdner Restaurateur Ha bel soll während der Zeit der Beraubung des Postwaggons im Gesängniß gesessen haben. — Der Nestor der deutschen Seiltänzer, der alte Kolter, der namentlich in den sächsischen Städten sich lange Jahre producirte und der erste war, der die Künste auf dem hohen Thurm- serle zeigte (durch prasselndes Feuerwerk im nächt lichen Dunkel das Seil begehen, Schiebkarren fahren rc. rc.), feiert morgen seinen 89. Ge burtstag im Johannishospitale zu Leipzig, wo ihm der verstorbene Begründer der „Garten laube", Ernst Keil, eine Pflegestelle geschaffen hat. — Als ein bemerkenswertes Zeichen, wie schlimm in den letzten Jahren das Lehrlings wesen bestellt gewesen ist, kann wohl auch das kürzlich im Grimmaer Wochenblatt enthaltene Gesuch gelten: „Ein Bäcker, schon einige Jahre Gehülse, wünscht noch ein halbes Jahr zu ler nen und sucht einen Lehrherrn." — Die Bestimmung des tz 283 Nr. 2.des Strafgesetzbuches, wonach insolvente Kaufleute wegen Bankerotts zu bestrafen sind, welche Han- delsbücher zu führen Unterlasten oder unordent lich geführt haben, bezieht sich nach einem Er- kenntniß des Reichsgerichts nur aus solche Bü cher, welche im Sinne der Artikel 28 und 32 des Deutschen Handesgesetzbuches als „Handels bücher" zu betrachten sind. Die von den Ge schäftsleuten geführten Notizbücher, welche nur die Voreintragungen enthalten, sind weder im Sinne des Handelsgesetzbuches, noch der angeführ ten Strafbestimmung als Handelsbücher zu be trachten. Tagesgeschichte. Deutsches Reich. — Die Kirchendebatte im preußischen Abge ordnetenhause lenkt größere Aufmerksamkeit auf sich, als der Congreß, besten Verhandlungen noch Geheimniste sind, die durch vereinzelte Gerüchte in den Zeitungen nicht enthüllt werden. In der Kirchendebatte kommt der Kampf gegen Rom, welches die Windthorst und Schorlemer zumeist vertreten, im vollen Umfange wieder zur Ent wickelung. Besonders stürmisch war die Sitzung vom 21. Juni, in welcher der den Bischöfen die Rückkehr gewährende ß 4 zur Verhandlung stand, v. Bennigsen erklärte namens der National liberalen, daß für sie § 4 entschieden unannehm bar sei, daß er für sie eine Niederlage des Staa- ies bedeute, denn Vie Amtsentsetzung der Bi- chöfe sei erfolgt, weil sie agitatorisch und de monstrativ die Staatsgesetze selbst verachtet, als auch ihre Verachtung öffentlich gepredigt haben. Cultusminister v. Puttkamer erklärte, die Regie rung halte an der Nückberufung der Bischöfe fest und der Gedanke, 'das Gesetz durch eine con- fervativ-ultramontane Mehrheit genehmigt zu erhalten, sei ihm nicht absolut abschreckend. (Sensation; „Hört!" auf der Linken.) Großen Sturm rief die Aeußerung v. Zedtlitz's (freicons.) hervor, das Verhalten des Erzbischofs Melchers von Köln nach Erlaß der Maigesetze sei ein fort gesetzter Eidesbruch gegen den Staat gewesen. Das Centrum rief Pfui und verlangte den Ord nungsruf, welchen der Präsident jedoch nicht er- theilte. — Windthorst äußerte, daß ganze Uebel komme von den Professoren und den Schulen. Richter-Hagen replicirte: Die Schulen sind da zur Bekämpfung der Dummheit. Nun verlangte Windthorst den Ordnungsruf gegen Richter, was der Präsident ebenfalls verweigerte. Für den nach einem freiconservativen Anträge umgeän derten Bischofs-Paragraphen stimmten die Con- servativen, das Gros der Freiconservativen, das Centrum und die Polen; gegen denselben die Fortschrittspartei, die Nationälliberalen, ferner die früheren Minister Falk und Hobrecht, sowie die Minister Bitter, Graf zu Eulenburg, v. Ka- mecke und Cultusminister v. Puttkamer selbst. In parlamentarischen Kreisen gilt übrigens doch das Zustandekommen der Kirchenvorlage nach den Unterredungen v. Bennigsen's mit Bismarck und Puttkamer für ziemlich sicher. Es verlau tet, die Negierung werde sich mit den Artikeln 1, 3, 9, 10 und 12 begnügen und einverstanden erklären, ein Bruchtheil der Nationalliberalen sei für das Compromiß gewonnen. — Bekanntlich haben auch mehrere Ortschaften der preußischen Lausitz durch Wolkenbrüche schwere Schäden erlitten. Nicht nur zur Unterstützung dieser, sondern auch um den noch schwerer be troffenen sächsischen Ortschaften Hilfe zu bringen, fordert ein ans ungefähr Hundert der angesehen sten Männer der Reichshauptstadt bestehendes Comitö, an besten Spitze Polizeipräsident v. Madai, Bürgermeister Duncker und Stadtver ordnetenvorsteher vr. Straßmann stehen, zur Beitragsleistung auf. Die eingegangenen Gelder sollen nach Verhältniß der Schäden, welche die preußischen und sächsischen Districte betroffen haben, vertheilt werden. — Von mehreren Eisenbahn-Directionen, de ren Strecken durch die Wolkenbrüche heimgesucht wurden, sind Anträge auf Gewährung von HilfS- mannschaften an das Commando des Eisenbahn- Regiments gestellt worden. Diesen Anträgen soll Folge gegeben werden und es werden in den nächsten Tagen verschiedene Commandos mit den nöthigen Offizieren und Unteroffizieren nach den am ärgsten beschädigten Strecken abgehen. Die Mannschaften erhalten eine angemessene Zulage von den Eisenbahndirectionen. — Die Kornzölle werden voraussichtlich im preußischen Abgeordnetenhause demnächst wieder mit zur Debatte kommen. Abg. v. Schorlemer- Alst hat nämlich, von vielen Mitgliedern des Centrums unterstützt, folgende Interpellation eingebracht: „Hat die Staatsregierung bereits Ermittelungen darüber angeorbnet, oder wird solche anordnen, ob und wie weit die ungünsti gen Witterungsverhältnisse des Winters und Frühjahrs den Ertrag der Ernte in Frage stel len, um rechtzeitig, falls Nothstände in einzelnen oder mehreren Landestheilen zu befürchten sind, die Maßregeln zu deren Abwendung treffen zu körnten?" Die Forischrittspartei, welche bereits über eine Anfrage auf Aushebung der Kornzölle verhandelte, hat aus Zweckmäßigkeitsgründen für jetzt von Einbringung einer solchen Frage abge sehen und hofft, bei der Debatte über dieSchor- lemer'sche Interpellation Gelegenheit zu finden, ihrer Meinung Ausdruck zu geben. — In Berlin betrug im vorigen Jahre die Zahl der Pfändungen wegen Nichtbezahlung der drrecten Slaatssteuern 185000, eine Summe, welche fast der Hälfte der Zahl aller Einkommen steuer-Pflichtigen gleichkommt. Die von Jahr zu Jahr gestiegene Masse der Pfändungen, na mentlich der fruchtlos ausgefallenen, zeugt von einem hohen Grade gesellschaftlichen Elendes. Jede Auspfändung ist ein Unglück für sich allein. Wen sie zum ersten Male trifft, den erschüttert sie bis in das innerste Mark; sein Heim, sein Obdach, sein Glaube ist ihm zerstört, die Stätte, wo «r des Tages Last und Sorge ausruhte, wo er sich sicher fühlte, ist erbrochen, das Sopha, auf dem er mit seinen Kindern spielte, ist gesiegelt, die Uhr, welche er sich in Zeiten erspart, welche fein Stolz und Freude war, ist ihm von fremder Hand entführt und für einen Spottpreis öffentlich ver kauft. Und doch ist der Verlust der Lieblings sachen noch nicht das Herbste. Weit schmerzlicher, geradezu vernichtend ist die plötzliche Gewißheit, daß der Gepfändete zahlungsunfähig ist. Leute, welche der Pfändung einnial anheim gefal len sind, arbeiten sich nur selten wieder in die Höhe. In den meisten Fällen ist ihr Muth, ihre Arbeitslust, ihr Credit und ihre Ehre ge brochen. Es sind ruinirte Existenzen, welche dem Staat zur Last fallen, Zuwachs für die Social demokraten. — Ein Riesen-Meineids-Prozeß, der sich vor Kurzem abspielte, förderte ein grauen haftes Bild der Verkommenheit gewisser Kreise zu Tage. Der Staatsanwalt äußerte, daß das höchste gesetzliche Strafmaß nur eine unvollkom mene Sühne sei für die schweren und erschütlern- )en Folgen, welche ein solches Treiben im Ge- olge habe. Hatten doch mehrere Angeklagte auf Anstiflen ihres verschmitzten Führers Dutzende von Meineiden geleistet ü Stück für 20 Silber groschen. Wie viel Unrecht mag bei den betref- enden Civilprozesien infolge der falsch beschwo renen Aussagen vom Richter nothgedrungen sanc- tionirt worden sein! — Wie von verschiedenen Seiten — aus München, Hannover rc. — gemeldet wird, erlei det die Frequenz der polytechnischen Hochschulen gegen frühere Jahre eine bemerkenswerthe Ab nahme. Der Grund hierfür liegt in der noch immer ungünstigen Aussicht auf ein lohnendes Fortkommen in den Berufsarten, zu welchen die technischen Schulen vorbereiten. Hingegen macht sich bei den Universitäten ein außergewöhnlicher Zudrang von Studienbeflissenen geltend. — Aus Thüringen, wo sich auch die Ernte aussichten recht bedenklich gestalteten, kommt die erfreuliche Kunde, daß dieselben infolge der gün stigen Witterung der letzten Wochen sehr viel besser geworden sind. — Gegen eine Eisenbahn-Direction ist in die sen Tagen eine principiell wichtige Entscheidung gefällt worden. Am 23. Febr. 1877 verunglückte auf dem Bahnhofe zu Gera der Dienstmann Berg ner, indem er beim Ausladen eines Gepäckstückes in der Dunkelheit von einer Rangirlocomotive über-