und ernst. Er erzählte, er habe früh am Morgen im Bücherschrank Hölderlins Gedichte gefunden und sei von dem Schicksalslied auf das Tiefste ergriffen. Als wir später nach langem Umherwandern ausruhend am Meer saßen, entdeckten wir bald Brahms in weiter Entfernung, einsam am Strand sitzend und schreibend. Es waren die ersten Skizzen des Schicksalsliedes." Brahms scheint bei Höl derlin genau das gefunden zu haben, was ihn umtreibt und was er umgehend in Töne fasst: Von zwei Sphären berichtet Hölderlin in dem dreistrophigen Gedicht aus seinem Briefroman „Hype- rion". In rhythmisch freien Versen ohne Reime beschreibt Hölder lin in den ersten beiden Strophen die unbeschwerte, „schicksals lose" Sphäre der Götterwelt und setzt ihr in der dritten Strophe das ruhelose Dasein des „leidenden Menschen" gegenüber. Die Sphären scheinen unvereinbar und der Mensch an sein Schick sal gebunden, sich der Ungewissheit ausgeliefert zu sehen. Eine finstere Perspektive für die Menschheit, die dem Schicksal nicht entkommen kann. Dass Brahms sich von dieser Aussage ange zogen fühlte, sagt viel über seine Skepsis der christlichen Heils lehre gegenüber aus. Brahms, dem man gerne einen gesunden Protestantismus attestiert, erscheint plötzlich gar nicht mehr so naiv-vertrauensselig in seinem Glauben. Zumindest gibt es für ihn erhebliche Zweifel an den eschatologischen Versprechungen des Christentums. In seiner Interpretation des Hölderlin'schen Schicksalslieds, an dem er nach der Initialzündung des Sommers 1868 bis zur Karlsruher Uraufführung im Oktober 1871 noch drei weitere Jahre arbeitet, gibt es zunächst auch zwei Sphären: „Langsam und sehnsuchtsvoll" lautet die Bezeichnung des Beginns in sanftem und für Brahms seltenem Es-Dur. Doch mit dem Wechsel in die irdisch-menschliche Sphäre der dritten Strophe ändert sich jäh auch die musikalische Stimmung: Aus dem geraden 4/4-Takt wird mit wildem Ausbruch in den Streichern abrupt ein weit we niger runder 3 /4-Takt. Harte Akzente und scharfe Dissonanzen kontrastieren das Vorangegangene. Doch eingeleitet von zarten Aufwärtsbewegungen wiederum der Streicher beruhigt sich vor einem erneuten Ausbruch das Geschehen und deutet schon da raufhin, dass Brahms sich im Schluss von Hölderlins Pessimis mus abzusetzen sucht. „Zum Schluss findest du freilich keinen Text, keinen Chor“, schrieb er dem Leiter des Bremer Domchores, Carl Reinthaler, nach langem Ringen um den Werkschluss. „Es geht doch durchaus nicht. Es ist doch kein Gedicht, dem man was anflicken kann. So hätte sich denn der Musiker vor eigenen Be-