Chorwerke keine Entsprechungen bei den Ahnen von Johannes Brahms gibt. Er hat eine ganz eigene Form geschaffen - ausge rechnet Brahms, dem man das Festhalten am klassisch-roman tischen Formenkanon immer wieder vorgeworfen hat. Selbst das „Requiem“ hat kein Vorbild - und alle Einordnungsversuche, die sich aus der Bezeichnung „Requiem” in eine Kategorie mit einem Mozart- oder Verdi-Requiem ergeben, müssen zwangsläufig scheitern. Denn auch das „Requiem" hat mit seinen Namensvet tern kaum etwas gemeinsam. An unvermuteter Stelle trifft man also ausgerechnet in den Chorwerken einen Brahms, der alles andere als ein Epigone war. Im Gegenteil: Der Begriff Freigeist wäre von dieser Warte aus betrachtet sehr viel passender. Und damit ist Brahms natürlich absolut im Einklang mit seiner Zeit. Ei ner Zeit nämlich, die etwa auf die Fragen nach den letzten Dingen und Wahrheiten längst nicht mehr alle Antworten von den großen institutionalisierten Glaubensgemeinschaften erhofft; eine Zeit, die die Suche nach Antworten aus den Kirchen hinaus ins Leben verlagert hat - in Literatur, Philosophie und nicht zuletzt in den Konzertsaal. Und genau da trifft Brahms auf jene Fragen, die auch für ihn durchaus Dringlichkeit haben und auf die er in der Weltlite ratur Antworten findet. „Was der Dichter nicht sagt“ - Schicksalslied und Nänie Bei Friedrich Hölderlin etwa stößt Brahms auf das ewige Dilemma des Menschen, der nach Höherem strebt und doch stets mit sei ner irdischen Vergänglichkeit konfrontiert wird. „Eines Morgens", berichtet der Brahms-Freund Albert Dietrich von einem Besuch des Komponisten im Sommer 1868, „fuhren wir zusammen nach Wilhelmshaven. Unterwegs war der sonst so muntere Freund still Johannes Brahms * 7. Mai 1833 in Hamburg + 3. April 1897 in Wien Schicksalslied op. 54 Entstehung: 1868-71- Uraufführung: 18. Oktober 1871 in Karlsruhe Nänie op. 82 Entstehung: 1880/81- Uraufführung: 6. Dezember 1881 in Zürich Ein Deutsches Requiem op. 45 Entstehung: 1865-68 • Uraufführung: 1. Dezember 1867 in Wien (Sätze 1 bis 3), 10. April 1868 in Bremen (Sätze 1-4, 6, 7), 18. Februar 1869 in Leipzig (gesamt)