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für die erste Probe die möglichste Sicherheit zu bieten, wurde das Luftschiff an Seilen gehalten und sollte so über Plagwitz hin nach dem Renn platz geführt werden (namentlich auch deshalb, weit das Schiff bei etwa 100 Fuß Höhe nicht recht Lust verspürte, gegen die herrschende Wind richtung den Weg nach dem Endziel anzutreten). Doch eS sollte anders kommen. Baumgarten selbst hatte in dem mittleren Korbe Platz ge nommen, und in den beiden anderen Körben waren die zur Bewegung der Flügelapparate herangezoaenen Leute postirt. Diese hielten, als das Schiff über den Häusern hinstreifte, für gut auszusteigen, und bald darauf konnten auch die Leute, welche den Ballon an Seilen hielten, der Gewalt nicht widerstehen , ließen vielmehr, als der Coloß Miene machte, sie mit in die Lüfte zu heben, los, und nunmehr stieg, zum Entsetzen der Zuschauer, das Luftschiff rapid und bis zu ca. 4000 Fuß Höhe. Baumgarten selbst arbei tete mit übermenschlicher Anstrengung, und man konnte auch wahrnehmen, daß das Luftschiff ge gen die östliche Luftströmung hinfuhr; aber plötz lich fiel der Koloß mit rasender Geschwindigkeit, der Ballon war defecl geworden, und das Gas strömte aus, so daß in wenig Augenblicken der ganze Apparat glücklicherweise noch auf einer Wiese unweit des Kuhthurmes, an der Erde lag, ohne daß der Insasse, Baumgarten, Verletzun gen davontrug. Es darf bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt gelaffen werden, daß die Gei stesgegenwart und Energie Baumgarlen's alle Anerkennung verdient. Die Urtheile aller De rer, welche dem Schauspiele beiwohnten, gehen weit auseinander. Die Einen geben sich bereits jetzt dem Glauben hin, das Problem der Lenk barkeit des Luftschiffes sei thatsächlich schon ge löst, und es bedürfe nur noch verschiedener Ver- befferungen des Apparates, um den letzten Zwei fel an dem Gelingen des Unternehmens zu zer streuen; Andere dagegen verhalten sich der An gelegenheit gegenüber noch immer sehr kühl und sind nicht geneigt, besondere Hoffnungen an den Erfolg der Baumgarten'schen Bestrebungen zu knüpfen. Das Aufsteigen des lenkbaren Luft balles soll sobald wie möglich wiederholt werden ; vielleicht klären sich dann die Ansichten mehr auf. — Ein großer Schrecken wurde kürzlich dem Schlachtsteuereinnehmer und Gutsbesitzer Acker mann in Frankenhausen bei Crimmitschau berei tet. Ein Brief, der ihn anonym zuging, ver langte, daß der Genannte, em älterer Mann, bis Gründonnerstag 600 M. an einen bestimm ten Ort im Walde niederlege, sonst würde sein Gut in Flammen gesetzt werden, für etwaige Ver letzung des Geheimnisses aber wurde ihm das Leben bedroht. Die Polizei, der der Bedrohte die Sache anvertraute, und die Söhne desselben übernahmen versteckt einen Wachtposten und zu einer spätern Tagesstunde, als zufällig nur der Gemeindediener auf Wache stand, kam ein gro ßer starker Mann, der scheu nach dem Gelds unter der vorgeschriebenen Steinplatte suchte. Das leere Portemonnaie, welches dort niederge legt war, warf der Erpresser entrüstet zur Seite und verließ schleichend den Ort. Der Wachtposten hatte sich am einsamen Platze nicht allein an Verhaftung des großen Mannes getraut und folgte demselben in Abstand nach, bis von zwei Spaziergängern die Person festgestellt wer den konnte. «Der Thäter, ein Klempner aus Crimmitschau wurde noch am selben Abende in einer Restauration seines Wohnorts am Spiel tisch verhaftet. Tagesgeschichte. Deutsche- Reich. — Der Reichsanzeiger ist auf Befehl des Kai sers in den Stand gesetzt worden, drei Depeschen zu veröffentlichen, welche zwischen dem Kaiser Wilhelm und dem Kaiser Alexander aus Anlaß des Geburtstags des Kaisers Wilhelm gewechselt wurden! Am Morgen seines Geburtstages, am 22. d. M-, erhielt Kaiser Wilhelm das folgende Telegramm: „Empfangen Ew. Majestät unsere herzlichsten Glückwünsche .zu Ihrem 83. Geburts tage; möge Gott Eurer Majestät noch viele Jahre des Lebens, der Gesundheit und des Frie dens zum Wohle Eures Volkes geben. Ich rechne mehr als je auf Ihre alte und dauernde Freundschaft, wie Eure Majestät auf die Mei nige rechnen können, zur Erhaltung und Befe stigung der guten Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern, welche in Uebereinstimmung mit ihren gemeinsamen Interessen sind. Wir feiern soeben Eurer Majestät Geburtsfest; könnten wir noch recht oft diese Grnugthuung haben. Ale xander." Darauf antwortete Kaiser Wilhelm umgehend durch folgendes Telegramm: „Die Ge fühle und Wünsche, welche Ew. Majestät Mir auch im Namen der Kaiserin ausdrücken, bewei sen Mir von Neuem Eurer Majestät alte Freund schaft, die für das Wohl unserer beiden Völker eben so nothwendig ist wie für die Erhaltung des europäischen Friedens. Empfangen Ew. Ma jestät Meinen aufrichtigsten Dank für Alles, was Euer Telegramm Mir in dieser Beziehung sagt. Möge Gott die Kaiserin in seinen heiligen Schutz nehmen. Wilhelm." Dieser Antwort ist nun mehr am vorgestrigen Tage die nachstehende Ver vollständigung hinzugekommen: „Erst gestern er hielt Ich vom General von Schweinitz den ge nauen Text des Trinkspruches, welchen Eure Ma jestät bei Gelegenheit der Feier Meines Geburts tages ausgebracht haben. Ich finde darin die Gefühle wieder, welche Uns seit langen Jahren verbinden und welche dazu beigetragen haben, die guten Beziehungen zwischen Unseren Ländern, sowie den europäischen Frieden trotz partieller Kriege zu erhalten. Empfangen Ew. Majestät von ganzem Herzen Meine ganze Anerkennung für diese öffentlich ausgedrückten Gefühle, welche verbleiben werden im Herzen Ihres besten Freun des Wilhelm." — Für den Prinzen Wilhelm von Preußen, icssen Vermählung mit der Prinzessin Augusta Victoria im nächsten Jahre stattfinden soll, wird das Schloß zu Charlottenburg als Wohnsitz her gerichtet. Dasselbe enthält bekanntlich wahre Prachträume und in ihm befindet sich auch jene wundersame Uhr, die, wenn sie aufgezogen ist, )ie Musik einer ganzen Regiments-Capelle er- challen läßt. Man weiß, daß, als Napoleon'!, einstmals in dem Schlöffe Charlottenburg über nachtete, das Spielwerk dieser Uhr ertönte, so daß der corsische Imperator entsetzt aufwachte, aus seinem Bette sprang, in der Ueberzeugung, die Russen wären angerückt und seien im Be griff, ihn zu überfallen. — Der Reichskanzler hat, wie nationalliberale blätter versichern, vor einigen Tagen seine große Befriedigung über das Ausscheiden des Abg. Lasker aus der nationalliberalen Fraction des Reichstags ausgedrückt und dabei bemerkt, er werde jetzt erst wieder auf die volle Unter- tützung der Nationalliberalen rechnen können. Der Reichskanzler wünscht gerade im gegenwär tigen Augenblicke, in welchem die Ausgleichs verhandlungen zwischen dem preußischen Staate und der Curie ihren Anfang nehmen sollen, dringender denn je ein festes Zusammengehen der Conservativen und Nationalliberalen in allen entscheidenden Fragen, um dadurch der Unter stützung des Centrums überhoben zu sein und mit Ruhe und Geduld den Forderungen Rom's entgegensetzen zu können. — Berliner Blätter theilen ein Schreiben Las- ker's an seinen Meininger Wahlkreis mit. Er verurtheilt darin die von der nationalliberalen Partei seit dem Auftreten der neuen Zollpolitik eingenommene Haltung. Die Partei habe sich, so führt Lasker aus, von ihrem Partei-Interesse zu stark leiten lassen; sie habe der augenblickli chen Strömung und dem Einflüsse des Fürsten Bismarck zu viel nachgegeben, um unter allen Umständen in der Mehrheit zu bleiben; ein glei ches Verfahren sei zu befürchten, so oft Fürst Bismarck in irgend einem anderen Zweige der Politik das Spiel der Parteien auf dieselbe Weise in Bewegung setzen werde. Man habe sich bestrebt, an die Stelle der conservativ-cleri- calen eine liberal-conservative Partei zu setzen. Eine solche Combination sei aber nur unter Opfern möglich, welche die Bestrebungen einer maßvoll liberalen Partei in der Gegenwart schädigen und für die Zukunft gefährden werde. Der Schluß satz lautet: „In meiner augenblicklichen Verein zelung innerhalb des Reichstages hege ich die Hoffnung, daß günstigere Verhältnisse die Samm lung der liberalen Partei um den liberalen Ge danken herbeiführen und daß aus der, wie es scheint, durch die Uebermacht der Personen und Verhältnisse bedingten Zersplitterung eine neue lebenskräftige Organisation hervorgehen wird." Oesterreich - Ungarn. — Seitdem der Kronprinz das nach dem Hausgesetze zur Majorennität erforderliche Alter erreicht hat, ist wiederholt in Hofkreisen der Ge danke angeregt worden, daß, dem herkömmlichen Brauche gemäß, der Thronfolger noch bei Leb zeiten seines kaiserlichen Vaters zum König von Ungarn gekrönt werde. Die Verlobung des Kronprinzen hat diesen Plan wieder in Fluß gebracht, ohne daß jedoch über die Verwirklichung desselben bisher eine Entscheidung getroffen wor den wäre. Jedenfalls soll aber die Krönung nicht vor der Vermählung des Kronprinzen er folgen, so daß mit derselben gleichzeitig die Krö nung der Prinzessin Stefanie zur Königin von Ungarn verbunden würde. Türkei. — Die Räuber in Macedonien werden immer kühner und bedrohen ganze Dürfe und Städte. Zwar haben sie den kürzlich gefangenen engli schen Oberst Synge gegen das ungeheure Löse geld von 7000 türkischen Lira (über 150000 M.) freigelaffen, aber dieser geglückte Streich wird sie nur noch zu neuen Unternehmungen anspornen. Die ganze Bevölkerung, Mohame- daner ebenso wie Christen, leiden unter ihren Bedrückungen, und es ist nicht abzusehen, wie sich das Schicksal dieser unglücklichen Bevölke rung besser gestalten soll, wenn sich die Pforte nicht entschließt, die Ausführung von Reformen an Ausländer zu übertragen und diesen eine solche Machtvollkommenheit anzuvertrauen, die zur Herbeiführung gedeihlicher Zustände uner läßlich ist. Vermischtes. * Nach den weiteren Berichten aus Teplitz sind die Badequellverhältniffe derartig günstig, daß der nun bald beginnenden Kursaison mit den besten Hoffnungen entgegengesehen werden kann. Im Stadtbade strömt eine solche Masse Quellwaffer in der ursprünglichen Wärme von 38° k zu, daß man es gegenwärtig mittelst zweier großen Pulsometer, welche durch Dampf kessel von 55 Quadratmetern Heizfläche betrieben werden und mittelst einer durch eine 20-pferde- kräftige Locomobile in Bewegung gesetzten Cen- trifugalpumpe bewältigen muß, um die Schacht- teufung fortsetzen zu können. Es wird aus ei ner Tiefe von 26 Metern unter dem Straßen- Niveau, d. i. aus der Seehöhe von 179 Metern gehoben. * Im städtischen Krankenhause zu Tarnow befindet sich ein 24jähriger junger Mann, der bereits seit neun Wochen in einen lethargischen Schlaf versunken ist, der so stark ist, daß der Kranke selbst durch Anwendung des elektrischen Stromes nicht aufgeweckt werden kann. Die Nahrung wird ihm mittels eines Kautschukroh res in den Magen eingeführt. * In Monaco, dem Sitze der Spielbank des Herrn Blanc, machen, wie eine über den klima tischen Wintercurort Nizza verfaßte Broschüre erzählt, jeden Abend nach Schluß der Spielsäle um 11 Uhr vier Personen, ein Polizeicommis- är, ein Arzt und ein Paar Leute, welche die Function von Todtengräbern übernehmen, wenn es Noth thut, die Runde durch die einsamsten und dunkelsten Partien des Parks und seine Umgebung, um die etwa sich vorfindenden, durch Selbstmord gefallenen Opfer der Spielhölle in aller Stille und im Dunkel der Nacht bei Seite zu schaffen, damit diese „unangenehmen Vor-