führung, einer Reprise und einer Coda — als wollte er sich der vollkommenen Beherrschung dieser klassischen Form des Sonatensatzes vergewissern, bevor er in allen folgenden Solo konzerten mit den Formkonventionen hart ins Gericht gehen wird. Einen deutlichen Kontrast zeichnet der zweite Satz zum ersten: Mit seiner Grundtonart E-Dur entfernt er sich auch tonal so weit wie nur möglich vom Kopfsatz. Doch auch stim mungsmäßig kontrastiert dieser ausgeglichene, sanft-singende Satz seine beiden Satzgeschwister. Und auch in der Rollen verteilung weicht Beethoven hier vom Muster der beiden an deren Sätze ab: Das Orchester nimmt sich merklich zurück und überlässt dem Klavier die handlungstragende Rolle, wie sich schon in den ersten Takten zeigt, die auch die Eröffnung eines Sonatensatzes sein könnten. Doch ist das recht lichte Wechselspiel auch in diesem Satz so dicht gewoben, dass eine Trennung von Klavier und Orchester unmöglich wird. Beide sind aufeinander angewiesen. Ein energiegeladenes Rondo beschließt das Konzert, dessen Uraufführung mindestens für den Notenwender an Beethovens Seite ein denkwürdiges Er eignis war: Die Solostimme, die der Komponist sich auf den Flügel gelegt hatte, enthielt kaum eine ausgearbeitete Passage. Beethoven spielte seinen längst noch nicht niedergeschrie benen Part aus dem Kopf. Kein Zweifel, dass auch die große Gabe zur freien Improvisation Fazil Say mit seinem Vorbild Beethoven verbindet. Bilder, Wirklichkeit und ein Engel „Mit dieser Sinfonie bin ich über meinen Schatten gesprun gen. Ich verwarf einige meiner alten Gewohnheiten, indem ich das Gegenteil tat. So wurde ich frei beim Komponieren. Ich fragte mich: Warum sollte ich den Weg nehmen, den ich bereits kenne. Ich wage einen neuen Weg.“ Klingt das nicht ganz nach Beethoven? Über den Schatten springen, frei Fazil Say geb. 14. Januar 1970 in Ankara Sinfonie Nr. 2 op. 38 „Mesopotamia" Entstehung: 2011-2012 Uraufführung: 23. Juni 2012 in Istanbul