Volltext Seite (XML)
M Lerarno tot?" Von Adolf Richard Kühn. Der bekannte englische Journalist Robert Dell hat dieser Tage in einem Artikel die Frage behandelt: „Ist Locarno tot?" Auch bei uns in Deutschland hat man sich gerade in der letzten Zeit des öfteren skeptisch damit beschäftigt, ob denn von dem vielzitierten „Geist von Lo carno" überhaupt noch etwas übrig geblieben sei und ob nicht alle die Verträge, die seinerzeit im Oktober 1925 die Staatsmänner in Locarno abgeschlossen haben, lediglich noch in der Form existierten. Man hat diese Verträge seinerzeit im Reichstag nur unter der Voraussetzung rati fiziert, dah die mündlich gemachten Versprechungen über gewisse „Rückwirkungen" von den Alliierten ein gehalten würden. Während Ansätze dazu gemacht wurden, die verheissungsvoll waren, ist aber bald darin eins Stockung eingetreten, und seit einiger Zeit hat es über haupt den Anschein, als ob die ganze Locarnopolitik im Sande verlaufen sei. Diese Auffassung ist vor allem dadurch erweckt worden, dass man weder in Paris noch in London Anstalten traf, die Versprechungen, die man bindend in Locarno gemacht hatte, einzuhalten. Erst kürzlich hat der frühere deutsche Reichskanzler Dr. Luther, der als deutscher Unter händler an den damaligen Verhandlungen teilnahm, in einer Versammlung in Frankfurt a. M. klipp und klar festgestellt, dass man es auf der Gegenseite an der Durch führung der Rückwirkungen habe bedenklich fehlen lassen. Es dreht sich dabei vor allem um die Verminderu n g der Besatzungstruppen im Rheinlands. Dis deutsche Regierung selbst hat alle möglichen Anstrengungen gemacht, die Erfüllung der diesbezüglichen Verheissungen durchzusetzen. Leider aber waren die Bemühungen ver gebens. Man braucht sich nur an die verschiedenen Besuchs des deutschen Botschaftsrats Dr. Rieth am Quai d'Orsay zu erinnern, um konstatieren zu müssen, dass es nicht bloss Schwierigkeiten der inneren Politik sind, die Herrn Briand verhindern, sein Wort einzulösen, sondern dass auch der gut« Wille nicht vorhanden zu sein scheint. Noch auffälliger ist die Tatsache, dass man anlässlich des Besuches, den der Präsident der französischen Republik, Herr Doumergue, dem Könige von Englanb machte, wohl sehr viel von der Wiedererneuerung der ontents coräiale gesprochen hat, dass aber das Wort „Locarno" weder in den offiziellen Trink sprüchen noch in dem über die Besprechungen, die anläss lich dieser Staatsvisite zwischen Herrn Briand und Herrn Chamberlain stattgefunden haben, herausgegebenen Kom- Muniqu-S enthalten war. Bei einer Unterredung, die der englische Aussenminister nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Sowiet- russland mit dem deutschen Botschafter in London, Herrn Dr. Sthamer, hatte, hat Herr Chamberlain diese Tat sache damit zu entschuldigen versucht, daß man das Wort „Locarno" durch den allzu häufigen Gebrauch nicht noch mehr abnutzen wollte, als es ohnedies schon der Fall sei. Er hat dabei die Versicherung gegeben, daß sowohl Eng land wie Frankreich auch in Zukunft an der Politik von Locarno festhielten. Die Vegründung des englischen Außen, Ministers klingt etwas sehr merkwürdig, und man wird nicht ganz unrecht haben, wenn man vermutet, dass dis nachträglichen Versicherungen des Festhaltens an der Locarno-Politik vor allem dadurch veranlaßt waren, dah man 4-eurMand im ruqqch-engusiyen rronfnkl aus seine Seite ziehen wollte. Aus diesem Grunde dürfte auch der englische Premierminister in einer Rede, die er kürzlich vor der Vereinigung der englischen konservativen Frauen, Partei hielt, erneut darauf hingewiesen haben, daß die eutsnto coräials für den Geist von Locarno eintrete und Laß in diesem Geiste Europa wieder aufgebaut werden müsse. Dieses Gebaren der englischen und französischen Negie rung hat ganz abgesehen davon, daß die „Befriedung" da durch nicht gefördert worden ist, in Deutschland große Miss stimmung erregt. Es kann zweifelhaft sein, ob die Taktik oes deutschen Auswärtigen Amtes immer richtig war und ob nicht vielleicht statt der häufigen Demarchen, die, in Vertretung des kranken Dr. von Hoesch, der Botschaftsrat Dr. Rieth bei Herrn Briand unternahm, etwas mehr Zu rückhaltung weiter geführt hätte. Unzweifelhaft ist aber im Quai d'Orsay selbst ein retardierender Eejst zu lebenslänglichem Zuchthaus bürgerlichen Ehrenrechte. Der ' Neues aus aller Well. Im Schlafe verbrannt. In dem Dorfe Kunowo bei Posen hat sich ein furchtbares Brandunglück ereignet, bei dem sieben Menschen getötet und neunundzwanzig schwerverletzt wurden. Eine Polnische Maschinengewehr- kompanie, die auf einem Uebungsmarsch das Dorf pas- sierre, übernachtete in einem Heuschober. Als die Sol daten eingeschlafen waren, geriet der Schober an scheinend durch eine achtlos weggeworfene Zigarette^ in Brand. In dem trockenen Heu verbreitete sich das Feuer mit ungeheurer Geschwindigkeit, so daß sich ein großer Teil der Soldaten nicht mehr retten konnte. Sieben Soldaten kamen in den Flammen um, vierzehn wurden lebensgefährlich und fünfzehn schwer verletzt. Einbrecher drangen in das Haus des Newhorker Finanzmannes Jesse Livermore ein, plünderten das Ehepaar, das bei ihm zu Besuch war, aus und ent kamen mit Schmucksachen im Werte von 360 000 Mark. Die Diebe zeigten sich aber ritterlich, indem sie den Frauen ihre Lieblings-Schmuckstücke zurückgaben. Bei Stiepshaufcn am Hunsrück stürzte in einem Steinbruch eine Wand ein und verschüttete drei Ar beiter. Ein Arbeiter wurde getötet, einer schwer und der dritte leicht verletzt. an der Arbeit. Wir sind auch der Ansicht, dass es besser wäre, wenn mehr im Geiste von Locarno gehandelt als davon gesprochen würde. Das Wort würde sicher nicht so abgenutzt sein, wenn man den „Geist" in die Tat übersetzt hätte. Nachdem nun auch die Entwafsnungsfrage gelöst ist, wird Herr Stresemann gut daran tun, bei der nächsten Völkerbundsratssitzung seinen englischen und französischen Kollegen energisch auf die Notwendigkeit, die gegebenen Versprechungen einzulösen, hinzuweisen. Sonst könnte es wirklich sein, dass der Geist von Locarno stirbt. — „Schlimmer als in Le Bourgei." Lindberghs Empfang in London. Nachdem der amerikanische Atlantikflieger Lind bergh am Sonnabend in Vrüssel begrüßt und später auch von dem belgischen König empfangen worden war, flog er in seinem alten Flugzeug, dem „Spirit of St. Louis", nach Lo n d o n, wo er von der begeisterten Menge geradezu überfallen wurde. Eine nach Hunderttausenden zählende Menschenmenge hatte sich auf dem Flugplatz in Croydon eingestellt, um den Flieger zu begrüßen. Lindbergh erklärte zu diesem Empfang, daß „dieser noch schlimmer, das heiße, besser noch gewesen sei", als der in Paris. So lebhaft, wie es gleich bei dem Betreten eng lischen Bodens war, wird es auch während der folgenden Tage englischen Aufenthalts sein, wo Lindbergh von einem Empfang zum anderen geschleppt werden wird. Am Mon tag fand ein Lunch bei der amerikanischen Botschaft und ein Diner bei der amerikanischen Presse statt. Das weitere Programm ist: Dienstag: Mittags Empfang beim eng lischen König im Buckingham Palace, Lunch beim Luft- fahrtministerium, Tee bei Lady Astor im Unterhaus, Diner bei den vereinigten Luftfahrtorganisationen Groß britanniens, Abends: Derby-Vall; Mittwoch: Zuschauer beim englischen Derby in Epsom in Gegenwart des Königs paares, abends bei den amerikanischen Organisationen; Donnerstag: Abreise nach Southampton (Amerika). 8 Freispruch im Naubmordprozcß Kollek. In dem Pro zess gegen den Versicherungsangestellten August Kollek aus Hindenburg, der des Doppelmordes an dem Fischhändler Kochmann und dessen Tochter, des schweren Raubes und der vorsätzlichen Brandstiftung angeklagt war, erkannte das Gericht in Äreslau nach längerer Beratung auf Frei sprechung. Der Staatsanwalt hatte die Todesstrafe, zwei Jahre Zuchthaus und dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte beantragt. 8 Verworfene Revision. Das Schwurgericht Kassel ver urteilte am 15. März 1927 den Steinbrecher und landwirt schaftlichen Arbeiter Theodor Schmalz wegen Totschlages zu lebenslänglichem Zuchthaus und dauerndem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Der Angeklagte hatte vor einiger Zeit seinen Vater mit einem großen Hammer erschlagen, die Leiche zerstückelt und verscharrt. Den Grund zur Tat bildeten Familienstreitigkeiten. Die vom Angeklagten ge gen das Urteil des Schwurgerichts Kassel beim Reichsgericht eingelegte Revision ist jetzt vom 1. Strafsenat verworfen worden. GertchlsyaUe. 8 Frau Professor Schnabel verliert den Erbschafts- prozcss. Der Witwe des verstorbenen Universitätsprofessors und Forschers Dr. Alfred Schnabel war nach dem Tode die schlossartige Villa auf der unteren Planitz in Potsdam laut Testament zugefallen. Dieses Dokument war bekanntlich gefälscht, und die Erben des verstorbenen Professors streng ten nach der Verurteilung der Frau Schnabel einen Prozeß gegen sie auf Herausgabe des Besitztums an. Frau Schna bel ist jetzt verurteilt worden, die Villa Planitz an die Ver wandten ihres verstorbenen Gatten zurückzugeben. Gegen die Entscheidung wird Frau Schnabel das Kammergericht anrufen. Die Ncuregeluttg der HairözinHsteaer. Au tzsn Mit teilungen über die Neuregelung der Hduszinssteuer durch das Reich im Rahmen des Gesetzes zur Verein heitlichung der Realsteuern erfährt der „Demokratische Zeitungsdienst", daß die vorbereitenden Entwürfe eine Begrenzung der Steuerhöhe auch für den Fall der Stei gerung der Mieten bis zu 140 Prozent vorsehen. Fer ner soll die Vorkriegsverschuldung eines Hauses berück sichtigt werden. Dagegen wird kaum festgestellt werden, in welchem Maße die Hauszinssteuer von Jahr zu Jahr abgebaut werden soll, wenn auch allmählicher Ab bau an sich vorgesehen ist. Ueber diese Frage dürften noch Verhandlungen zwischen dem Reich und den Län dern stattfinden, nachdem der Reichsfinanzminister bei der vor kurzem abgehaltenen Konferenz mit den Län derministerien von diesem Plan Kenntnis gegeben hat. Die Technische Hochschule Braunschweig hat dem Ministerialdirektor Küsgen im Reichspostministerium die Würde eines Dr.-Jng. ehrenhalber für seine hervor ragenden Verdienste um die Ausbreitung des Krast- fahrwesens bei der Reichspost verliehen. Inland und Ausland. Ministerpräsident Brann an den Papst. Der Preußische Ministerpräsident Braun hat an den Papst folgendes Telegramm gesandt: „An Euer Heiligkeit! siebzigsten Geburtstag gedenke ich, zugleich namens des Preußischen Staatsministeriums, besonders gern der freundschaftlichen Beziehungen des Preußischen Staates zum Apostolischen Stuhl und gebe dem aufrichtigen Wunsche Ausdruck, daß es Euer Heiligkeit vergönnt sein möge, noch viele Jahre zum Segen der katho lischen Kirche und zur Befriedung der Völker zu wirken." Schule und Völkerbund. Der preußische Kultus minister Dr. Becker hat an die Schulbehörden einen Erlaß gerichtet, der den Unterricht über den Völker bund betrifft. Danach sollen in den oberen Klassen der Volksschulen, in den Mittelschulen, den höheren Lehr anstalten, den pädagogischen Akademien sowie bei der Ausbildung der Studienreferendare Fragen über Wesen, Ziel und Zweck des Völkerbundes behandelt werden. Einsegnung der jüngsten Kronprirrzensöhne. In der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gedächtniskirche zu Potsdam fand Mittwoch die Einsegnung der beiden jüngsten Sührrc des Kr-onPrU-^M Prinz HUVerlUS Uno Prrnz Friedrich statt. Die amerikanische Chapman-Gruppe hat jetzt auch der Stadt Breslau ein Wohnungsbau-Programm vor gelegt, das den Bau von 4000 bis 6000 Wohnungen vorsieht. Die Stadt soll den Boden für den Bau, der ausschließlich mit amerikanischem Kapital durch geführt werden soll, kostenlos zur Verfügung stellen. Die Deutsche Regierung hat der Polnischen Regie rung einige Gegenstände von künstlerischem und histo rischem Wert überlassen, die bisher in deutschem Be sitz waren und für die polnische Regierung von Inter esse find. Zwischen Deutschland und Polen ist ein Abkommen zustandegekommen, wonach Polen aus bestimmte Liqui dations-Rechte, die ihm nach dem Versailler Vertrag zustehen, verzichtet. Ueber die Ausdehnung dieses Ab kommens wird weiter verhandelt. AekenHof. L) Von Theodor Storm. In diesem Ringe haben sie mit ihren kurzen Beinen in un sagbarer Hurtigkeit ihre Schubkarren vor sich hergefahren und haben sich von hüben und drüben ihr „Hott!" und „Hü!" einander zugerufen, daß also ein Schall entstanden ist, als wenn von einem Haufen Menschen ein großes Werk be trieben würde. Wen§ sie aber dessen müde geworden, so haben sie ihre Schubkarren hingestellt und, abermals unter mächtigem Lärmen, sich mit den Steinen nach den Köpfen geworfen, bis diese blutig und die Karren leer gewesen sind. — Ist über solchem Spiel Herr Hennicke auf den Platz ge kommen, so hat er, je nach seiner Laune, entweder, die Hände unterm Wams, mit finsterm Angesicht dabeigestanden oder unter kurzem Lachen ein „Drauf, ihr Füchse, drauf!" den Buben zugerufen. Meistens aber ist aufs letzte Frau Benedikts aus dem Herrenhause über die Freitreppe hinab geschritten: da sind die Buben, wenn sie selbige nur kaum aus ihren nackten Augen angesehen hat, wie in Erstarrung stehengeblieben; und während dann das Weib mit ihren mageren Händen mit jeder einen derselben an seinen rot- brandigen Haaren in das Haus hineinzog, hat Herr Hennicke sich abgewandt und ist zu Roß und Hund in seinen Stall ge gangen. Zwischen den Buben, oder lieber noch abseits von Ihnen, ist mitunter auch ein Dirnlein umhergesprungen, dem ältesten von diesen im Alter etwa um ein halbes Jahr vor aus, von schlankem, kräftigem Wuchs, mit schwarzem Kraus haar, darunter ein Paar milde blaue Augen. Sie hat nicht auf den Hof gehört, sondern mit ihrer Großmutter, der Witwe des früheren Försters, in dem Unterbau des Eeken- hofs gewohnt; aber Herr Hennicke hat einen Narren an dem Mädchen gehabt; er hat auch damals, als die Mutter ihr im Kindbett weggestorben war, sie selber aus der Taufe gehoben, was ihm von Frau Benedikts, mit der er kurz zu- Kor den Ring gewechselt hatte, nicht eben liebreich ausge nommen war; denn die Kleine war ein Jungfernkind, ja, die Bauern und Hörigen wußten es an den Fingern, daß sie dem Herrn noch näher als nur durch die Taufe ange höre; auch daß er statt seines Hagern Ehekreuzes wohl gern die schöne Försterstochter heimgeführt hätte, wenn diese nur adligen Standes oder zum mindesten adligen Vermögens ge wesen wäre. Vor Herrn Hennickes Ohren freilich wurde solch Gerede niemals laut; auch hätte es ihn weiter nicht geküm mert, als daß er etwa die Schwatzmäuler zu besserem Be sinnen in den Block gelegt hätte. Mitunter, wenn ihn seine schwarzen Stunden plagten, konnte es geschehen, daß er vlötzlich zu Pferde stieg und nach dem alten Haus hinüber- jagte. „Hellwig! Hellwig!" rief er schon von weitem, wenn er die Kleine am Ringgraben oder auf der Schwelle des Tores spielen sah. Sie erschrak dann wohl und lief ins Haus; aber es half ihr nicht; mit dem Kinde vor sich auf dem Sattel kam er nach Frau Benediktes Hof zurück und hieß demselben für die Nacht die Kammer an der seinen rüsten. Freilich die kleine Hellwig selber hatte keine Lust da von; Frau Benedikte gab ihr weder Blick noch Wort, und bei den Mahlzeiten, bei denen sie auf ihres Paten Geheiß an dessen Seite sitzen mußte, wurde ihr der Teller wie einem Hunde oder einer Katze zugeschoben. War Herr Hennicke kurz zuvor in der Stadt gewesen, so hatte er wohl einen China- apsel oder eine andere Leckerei auf ihren Platz gelegt; aber sie rührte sie nicht an, denn die beiden Füchse sahen mit so gierigen Augen darauf hin, daß sie den Bissen nicht einmal zu teilen wagte. Am meisten vielleicht fürchtete sie die ihr unverständliche, gewaltsame Zärtlichkeit des finsteren Mannes selber. Nicht selten, wenn morgens sie in ihrem Bett erwachte, sah sie die schwarzen Augen ihres Paten über sich; er sagte nichts, er strich ihr stumm die Löckchen von der Stirn oder drückte ihr verschlafenes Köpfchen zwischen seine beiden rauhen Hände; mitunter riß er sie vom Kissen auf an seine Brust, daß sie mit ihren nackten Aermchen gleich einem Opfer in des Mannes Armen hing. Wenn er dann wieder plötzlich von ihr abließ und schweigend, wie er ge kommen, zur Kammertür hinausgeschritten war, so lag sie auf ihr Kiste» ht»gesunlr« u»d wagte sich nicht ju rühre», bis unten auf dem steinernen Hausgang sein harter Tritt verschollen war. War sie dann aufgestanden und hatte unter Frau Dene- diktes Augen ihr Frühstücksbrot verzehrt, dann lief sie gern ins Freie, um der Liebe des einen und dem Haß der anderen zu entkommen; sei es in den Garten Hinterm Hause, wo freilich außer den Bohnen- und den Wurzelbeeten nicht viel Liebliches zu sehen war, oder über den weiten Hof auf die Heerstraße, um dort von einem Walle oder einem großen Steine aus sehnsüchtig nach der Richtung des hinter dem Walde belegenen Eekenhfes Hinzuschauen. Aber die unter setzten Buben rannten ihr, wo sie nur konnten, nach und plagten sie auf alle Weise; sie hießen sie den „Kuckuck", weil sie ihnen das beste Futter nehme, und brachten sie, trotz tapferer Gegenwehr, oftmals in bittere Tränen. „Ich will zu meiner Großmutter!" rief sie dann wohl in ihrer Not; sie hätte das auch sonst wohl gerufen; aber wenn ihres Paten Äugen auf ihr lagen, dann waren ihr die Lippen wie ver schlossen. Eines Nachmittags, da ein fremder Pferdezieher auf den Hof gekommen war, hatte Herr Hennicke ein kleines Nord landpferdchen eingehandelt; als aber die beiden Füchse, welch- ihn schon lange um ein solches Tier geplagt hatten, in lautem Jubel ausbrachen, erklärte er ihnen, daß sie dessen keine Ursach hätten: „den Pony habe er für Hellwig ein gekauft; für solche Buben, wie sie beide, seien die Milchesel annoch die besten Rosse." Bei diesen Worten hob er das zitternde Mädchen, das dabeigestanden, gleich einem Vogel auf den Rücken der kleinen Stute und führte diese behutsam auf dem Hof umher; die beiden Füchse aber rannten heulend in das Haus, um ihrer Mutter diese neue Unbill zu be richten. Frau Benedikte schwieg; sie wagte, wo es das Mädcht» aalt, nicht gern gegen ihren Eheherrn zu reden; nur ihre Wangen wurden etwas bleicher und ihre bläulichen Lippen etwas blosser, als sie ohnedies schon waren,