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Rabenauer Anzeiger : 21.12.1931
- Erscheinungsdatum
- 1931-12-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id178001192X-193112218
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id178001192X-19311221
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-178001192X-19311221
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Deutschen Stuhlbaumuseums Rabenau
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Rabenauer Anzeiger
-
Jahr
1931
-
Monat
1931-12
- Tag 1931-12-21
-
Monat
1931-12
-
Jahr
1931
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Zu spät! Das neueste Versagen des Völkerbundes. Nicht nur über vielen innerpolitischen Entscheidungen der letzten Jahre steht das verhängnisvolle Wort „Zu spät" auch in der außenpolitischen Entwicklung — und nicht zuletzt bei den Verhandlungen des Völkerbundes — muß immer wieder diese Beobachtung, die leider sich auf die Völker un heilvoll und verderbenbringend au.^irkt, gemacht werden Die letzte außerordentliche Ratstagung hat volle vier Wochen gedauert und war — abgesehen von rein formalen und kurzen Beratungen über die Frage der Grenzfestsetzung zwischen Syrien und dem Irak — ausschließlich der Be handlung des Mandschureikonfliktes gewidmet. Der weit aus größte Teil der Ratssitzungen war „geheim", manche sogar unter Ausschluß der weiteren Delegationsmitglieder. Das Prinzip der „offenen Diplomatie" ist also gründlich verlassen worden: doch das wäre an und für sich nicht das Schlimmste, wenn die Ratstagung wirklich eine gerechte Lösung der Frage gebracht hätte. Der Völkerbundsrat hatte zwar nie die Aufgabe, den japanisch-chinesischen Konflikt, der unter den verschiedensten Formen schon seit zwei Jahren und Jahrzehnten bestand, mit einem Mal aus der Welt zu schaffen: ihm kam vielmehr nur zu, den durch Japans Einmarsch in die Mandschurei verletzten Status quo vom 17. September wiederherzustellen. Das ist auch nach dieser vierwöchigen Ratstagung nicht geschehen — die Mand schurei bleibt besetzt, und für die Räumung ist nicht einmal, wie man das noch im Oktober versucht hatte, ein Datum festgesetzt worden . . . Freilich ist der Völkerbundsrat nicht mit diesem rein negativen Ergebnis auseinanderaegangen, sondern hat auch eine scheinbar positive Lösung geschaffen — wobei wir noch mals unterstreichen, daß es sich hier um eine scheinbare Lösung handelt. Er hat beschlossen, eine Kommission in den Fernen Osten zu entsenden, wie das bei Beginn dieser Tagung von Japan oorgeschlagen worden war. Bekannt lich wollten die Japaner ursprünglich, daß diese Kommission China und die Mandschurei bereise, um die „tieferen Gründe" für das gespannte chinesisch-japanische Verhältnis aufzudecken, d. h mit anderen Worten: eine Kontrolle über China auszuüben. Dagegen haben sich die Chinesen ener gisch gewehrt und verlangt, daß die Kommission nur in die Mandschurei gehe, von dort aus dem Völkerbund Bericht erstatte und namentlich durch ihre „Zwischenberichte" einen Druck auf die Japaner ausübe, wenn diese bis zum Ein treffen der Kommission noch nicht geräumt hätten. Das letztere war natürlich den Japanern recht unangenehm, und sie setzten durch, daß die Ratsentschließung das Wort „Be richt", das ihnen sowieso nicht paßte, überhaupt wegläßt und daß dieses Wort, nur noch in der niemanden verpflich tenden „Erklärung des Ratspräsidenten" ein Scheindasein führt Wie immer in dieser Angelegenheit ist das Kom promiß zu Lasten des Schwächeren, Chinas, ausgefallen: Die Kommission, die nun entsandt wird, soll zunächst in die Mandschurei reisen, sie soll aber dem Völkerbundsrat „über alle Umstände, welche die japanisch-chinesischen Beziehungen betreffen", berichten, worin man den versteckten Auftrag einer Kontrolle über China wohl entdecken kann. Ein Räu mungstermin für die Mandschurei ist nicht gegeben. An den tatsächlichen Verhältnissen in der Mandschurei hat also die Pariser Ratstagung nicht das Mindeste ändern können: diese Gestaltung der Dinge war übrigens zu Be ginn der Tagung schon ohne große Prophetengabe voraus zusehen — denn über allem, was der Völkerbundsrat, seit dem er im September untätig und vorschnell auseinander ging, getan hat, steht das Wort: „Zu spät." Damals, im September, als die Feindseligkeiten gerade erst ausgebrochen waren, hätte eine energische Stellungnahme des Rates, hätte eine Untersuchungsrommission, wie man sie jetzt nach Monaten, entsendet, noch das Schlimmste verhüten können. Das ist mit der Entsendung der Kommission — die dazu noch mit ungeklärtem Mandat reist — nicht ge schehen Genf wird sich damit trösten, daß es durch die Kommission den Mandschureifall „weiter in der Hand" be halte, daß der Bericht der Kommission später, nach Mo naten, wieder einmal den Völkerbundsrat beschäftigen, daß die Anwesenheit einer Kommission „an Ort und Stelle" einen „beruhigenden Einfluß" ausüben werde — und was diese beschwichtigenden Beschönigungsversuche sonst noch alles besagen mögen! Tatsache bleibt, daß für die Räumung k2oMor> pvL LlLvetk Lsrcksich 38. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Doch ich will nicht vorgreifen. Sie wissen aus der Erzäh lung des Schäfers, daß die junge, schöne, von ihren Eltern und dem einzigen Bruder abgöttisch geliebte Gräfin Gisela um eines Mannes willen, den man ihr nicht zum Gatten geben wollte, aus dem väterlichen Schloß entfloh. Der Schreck und das Herzeleid auf Tworrau war ohne Grenzen. Zuerst glaubte man, daß sich das junge, unerfahrene und exzentrische Mädchen das Leben genommen habe, bis nach einigen Tagen ein Brief aus England eintrat, der die Anzeige ihrer Vermählung mit ihrem Geliebten, dem gefeierten Tenoristen Hollmann an der Breslauer Oper, brachte. In dem Briefe, den Gisela von den Eltern post lagernd nach einer kleinen Stadt in England erbeten hatte, fluchten sie ihr, sagten sich von ihr los und enterbten sie in ihrem ersten Zorn und in der Empörung. Sie glaubten die Schande nicht überleben zu können. Aehnlich erging es meinem Vater, der damals in Breslau bei einem Kavallerieregiment in Garnison stand. Er glaubte immer, man müßte mit Fingern auf ihn zei gen und ihm die furchtbare Schande der Familie von der Sürn ablesen. Er blieb zwar Offizier, aber er haßte die- jenige, die seinen Namen m den Schmutz gezogen, er haßte die Schwester, die er einst so heiß geliebt hatte. — Da — ein Jahr mochte ungefähr vergangen sein — brachte der Bursche meinem Vater eines Morgens die Meldung, daß eine junge, ärmlich gekleidete Person ihn zu sprechen wünsche. Ohne zu ahnen, wer es sein könnte, ließ er sie eintreten: aber er prallte entsetzt zurück, als er in der Eintretenden seine Schwester erkannte. „Um Gottes willen, was willst du hier? Bist du von Sinnen?" fuhr er sie an, ohne darauf zu achten, in wel- chem erbarmungswürdigen Zustande sie sich befand. Eh.' ^ie noch ein Wort hervorbringen konnte, sprach mein Va- kein Termin festgesetzt worüen ist, und daß also die Mand schurei besetzt bleibt! Tatsache bleibt weiterhin, daß der Völkerbundsrat, als es noch Zeil war — nämlich im Sep tember — kostbare Stunden versäumt hat, und darum jetzt untätig zusehen muß. Und Tatsache bleibt schließlich, daß dieser Völkerbund, wie im September im Fall der Zoll union, wieder einmal gegen die Schwächeren funktioniert hat: Alle diese Tatsachen stellen die Lehre aus dem Mand schureikonflikt dar, und man wird sie sich, so glauben wir, gründlich merken müssen. Reichswehr uns Wehrvvrbün-e. Erklärung des Reichswehrministers Groener. — Wehrver bände sind kein Militär. Reichswehrminister Dr. Groener gewährte einem Vertreter eines amerikanischen Korrespondenzbüros eine Unterredung, in der er sich mit den Fragen der Abrüstung befaßte. Aus die Frage, ob man den sogenannten Wehrverbän den — Stahlhelm, Reichsbanner, SA. — als personellen Faktor des deutschen „potentiel de guerre" einen militäri schen Wert als Reserve der Reichswehr belmessen könne, erwiderte der Minister, die Behauptung von einem mili tärischen Wert der Verbände sei eine Legende. Dr. Groener führte weiter aus: Der militärische Wert kann nur auf sorgfältiger militärischer Schulung und Waf fenübung beruhen. Beide Voraussetzungen fehlen bei den deutschen Wehrverbänden, sind dagegen zum Beispiel bei den polnischen Wehrverbänden vorhanden. Deutschland kennt keine militärische Iugendausbildung wie die Nach barstaaten. Die sportliche Betätigung der deutschen Wehrverbände hat mit militärischer Ausbildung nichts zu tun. Den deutschen Wehrverbänden fehlt es außerdem an Waf fen jeder Art. Die alten Kriegswaffen mußten vernichtet werden, neue dürfen nur für die Zwecke der Reichswehr von wenigen genau bestimmten Fabriken und nur für die Reichswehr angefertigt werden, Auch die Reichswehr selbst verfügt nur über eine Garnitur von Waffen, so daß also eine Bewaffnung der Verbände aus Reichswehrbeständen unmöglich ist. Ebenso unmöglich ist die Mobilisierung der privaten Organisationen zu innerpolitischen Zwecken, um sie etwa als Reserve der Polizei und Wehrmacht einzu setzen Die Reichswehr unterhält keine Beziehungen zu irgendeinem Wehroerband. Auf die Frage, wodurch Deutschland ficb in seiner n a - tionalen Sicherheit bedroht fühle, verweist der Reichswehrminister auf den gewaltigen Unterschied zwischen den Rüstungen seiner Nachbarn und seiner Entwaffnung Aus diesem Unterschied an Recht und Macht und aus. den feierlichen Verpflichtungen der Siegermächte, dem deut schen Beispiel in der Abrüstung zu folgen, ergeben sich die Grundsätze der deutschen Abrüstungspoli tik, die züsammengefaßt lauten: Gleichberechtigung, Gleichheit in den Methoden der Ab rüstung und gleiche Sicherheit für alle Völkerbundsmitglie der. „Sicherheit durch Abrüstung" und nicht „erst Sicher heit, dann Abrüstung", heißt die Parole für die Abrü stungskonferenz von 1932 und für die Gesundung der Welt in wirksMWMcher, politischer und moralischer Hinsicht. Dee Schulabbau in Preußen. Landtag will gehört werden vM weiteren Sparmaßnahmen. Der ^Mterrichtsausschuß des Preußischen Landtags be- schäftigteMß mit den vorliegenden Anträgen, die auf eine Milderun^ies Schulabbaus besonders bei den Volks schulen abzielen. In der Aussprache erklärte ein Vertreter des Unter richtsministeriums. die Anregungen zu den Schulabbaumaß- nahmen seien besonders von den großen Gemeinden ausge gangen. Man habe zuerst versucht, die Schulen mit vier und weniger Lehrern vom Abbau fernzuhalten, ebenso die technischen Lehrkräfte. Das habe sich leider nicht durch führen lassen. Die Durchschnittszahl für eine Klasse betrage aus dem Lande 44, in Berlin 32 Schüler. Zwergschulen würden ab gebaut. Die Regierung lege großen Werk daraus, daß die Landschule aus ihrer bisherigen höhe erhalten bleibe. Auch Flüchtlingslehrer und Kriegsbeschädigte würden mit Rück sicht behandelt werden. Die Abstimmung über den sozialdemokratischen An- traa. die Abbauzahl von 7000 Junglehrern aus 5000 her ! abzüsetzen, würbe vertagt, um der Regierung erst Gele- I genheit zur Stellungnahme zu geben. Der Ausschuß beriet sodann einen Antrag der Volks partei aus Vorlegung der Pläne zu einer weitgehenden „Planwirtschaft" auf dem Gebiete des mittleren und höheren Schulwesens. Hierzu führte ein Regierungsvertreter aus, eine wei tere , Planwirtsckrft" für irgendwelchen Abbau liege nicht vor; es werde jeder Einzelfall genau geprüft. Die Mäd chenschule als solche wolle man erhalten Einige Aufbau schulen würden eingehen, der Typ der Aufbauschule aber werde erhalten bleiben. Die humanistischen Gymnasien in den Kleinstädten seien allerdings gefährdet. Es bestehe die weitere Gefahr, daß das platte Land von höheren Schulen überhaupt entblößt werde. Ein weiterer Regierungsvertreter teilte mit, daß es an überzähligen Lehrkräften rund 670 in Preußen gebe, so weit Akademiker in Frage kämen. Nachdem in der weiteren Aussprache zum Teil recht scharfe Kritik an den Abbau Waßnahmen der Regierung im Schulwesen geübt worden war, nahm der Ausschuß gegen den Einspruch der Regierungsvertreter einen Antrag an, wonach in Zukunft vor der Stellungnahme des Land tages eine Entscheidung über Abbau-Waßnahmen aus dem Gebiet des Schulwesens nicht getroffen werden soll. Das A un» S »er WeltpoUttk. Kursänderung in Paris erforderlich. Der Sonderkorrespondent des „Daily Herald" berichtet über eine Unterredung mit Senator Borah. Dieser sei der Ansicht, eine Besserung der europäischen Lage könne nur durch «ine Annäherung Frankreichs und Deutschlands aus der Basis eines solchen Programms erfolgen, das Deutsch land wieder Lebensmöglichkeiten gäbe. Allerdings setze die Durchführung eines solchen Pro gramms, aus das die ganze Welt warte, eine Kursände rung der jetzigen französischen Politik voraus. Er glaube nach wie vor an die Notwendigkeit einer Revision des Versailler Vertrages Für die Gewährung des Hoover- Moratoriums sei er eingelreten. um Europa die Möglichkeit zu geben, sich einen gesunden Wirtschaftsplan zu schaffen. Er sei jedoch nur für ein einjähriges Moratorium gewesen, denn im gegenwärtigen Augenblick sei ein Punkt erreicht, wo eine Moratoriumsregelung die Schwierigkeiten nicht aus der Welt schaffen könne. helfen könne jetzt nur mehr eine Schuldenstreichung. Borah schloß, er wolle noch die Abrüstungskonferenz ab warten, die in Wirklichkeit eine Wirtschaftskonferenz sei. Ohne eine Verminderung der Rüstungen sei eine Wirt schaftskonferenz zwecklos Die Regierungen müßten ihre Politik darauf umstellen, weil es sonst keinen Zweck hätte, überhaupt Delegationen zur Konferenz zu entsenden. Inland und Ausland. Provinzen müssen für Landesbanken einstehen. In einer Aussprache über eine Nachtragsumlage, die der M^rpräsident für Rheinland und Westfalen wegen der finanziellen Dlwierigkeiten der Landesbank für die Rheinprovinz erhoben h»tte. betonte ein Reglerungssvertreter im Hauptausschuß des Preu» Landtag», die Provinzen hätten für die Landesbanken ein- ^ehen, und danach müsse sich die Provinzialumlage richten, übrigen» sei die Landesbank für die Rheinprovinz durchaus nicht überschuldet: sie fei nur illiquide, weil 678 Millionen Kommunal- kredit« eingefroren seien. L» gibt keine deutsche Muttersprache in vstoberschlesien. Bei der Bolkszählung in Ostoberschlesien kommt es täglich zu Zwischenfällen. Die Zähler weigern sich. Deutsch als Muttersprache einzutragen, weil sie angewiesen sind, überall dort, wo beide Sprachen verstanden werden, Polnisch al» Muttersprache zu ver buchen. Europa geht's besser als vor dem Kriege! Der tschechische Staatspräsident Masaryk erklärte einem pol nischen Journalisten, der heutige Zustand Europa» sei besser als vor dem Kriege. Die Verträge könnten nicht als ein Fetzen Papier betrachtet, sondern nur mit Zustimmung aller Unterzeichner ge ändert werden. Die Entwicklung der Minderheiten müsse gesichert und die Frage der Selbstverwaltung durch wirkliche Demokratie gelöst werden. ter weiter harte, grausame Worte: „Ist es nicht genug der Schande, die du über unsere Familie gebracht hast — willst du mich durch dein Erscheinen hier auch noch kompromit tieren?" Gisela hob ihre schönen Augen beschwörend zu dem Bruder auf. „Habe Erbarmen, Karl Egon, verstoße mich nicht in dieser Stunde, in der ich für meine Schuld so hart ge straft und gedemütigt vor dir stehe!" Ein Schluchzen erstickte ihre Stimme, aber weder ihre flehende Bitte noch ihr bejammernswertes Aussehen rührte meinen Vater. „Hinaus, Dirne — ich habe nichts mit dir zu schaf fen!" rief er wutentbrannt. Du zuckte Gisela zusammen und ihre bleichen Wangen überlief ein roter Schimmer. Mit zitternden Händen zog sie ein Papier aus der Tasche und legte es vor dem Bruder auf dem Tisch: „Hier ist mein Trauschein, Karl Egon, und ich schwöre dir, nicht eine Stunde, nicht eine Minute meines Lebens macht dein hartes Urteil gerechtfertigt. Aber daß ich ohne den Segen der Eltern das Schloß heimlich verließ, um — ihm zu folgen, das war eine Sünde: ich habe sie schwer büßen müssen. O mein Gott, wie hätte ich ahnen können, daß er von jener Stunde, wo er von mei ner Enterbung erfuhr, mich nicht mehr lieben würde! — Den Kontrakt mit dem Stadttheater in Breslau hatte er durch die Flucht gebrochen, er fand kein neues Engage ment, und die Not brach über uns herein. Er überschüttete mich, die ich ihm, nur auf seinen Wunsch, heimlich ge folgt war, mit bitteren, verletzenden Vorwürfen und zu letzt verlieb er mich — um — eines anderen Weibes wil len — gerade jetzt — wo ich — sein — wo ich —" Hier wollte ihr die Stimme versagen, aber sie faßte sich schnell wieder: „Ich raffte mein letztes bißchen Hab und Geld zu- sammen, um heimzukehren — um mit der Eltern Ver gebung sterben zu können. Ich fühle, meine Kräfte sind bald zu Ende. Karl Egon, sei du mein Fürsprecher bei den Eltern, bereite sie auf mein Kommen vor!" „Nimmermehr!" rief mein Vater erregt und um so heftiger, als er fühlte, daß das Mitleid ihn bereits er griffen hatte und schwach machen könnte. „Es wäre der Eltern Tod, wollte ich ihnen die entehrte Tochter zu führen. Aber hier —" er zog seine Brieftasche hervor und breitete einige Scheine auf dem Tisch neben Giselas Trau- schein aus — „ist etwas für die erste Not. Geh' in einen kleinen Ort, wo man dich nicht kennt und schicke mir deine Adresse. Ich werde dich heimlich unterstützen, du sollst keine Not leiden, aber nach Tworrau darfst du nie wieder zurück." Mit einem unartikulierten Aufschrei warf sich Gisela dem Bruder zu Füßen und umklammerte seine Knie. „Karl Egon, sei barmherzig!" Er ließ sie liegen und ging hinaus: denn er fürchtete seine Schwäche. Mein Vater war damals gerade mit meiner Mutter verlobt und er konnte sich die Schande nicht ausdenken, wenn er sein Weib einst hätte zwingen müssen, mit der entehrten Schwester zusammen zu leben und zu verkehren. Hätte er damals schon gewußt, wie gern meine Mutter ihm zuliebe die verirrte Schwester an ihr Herz genommen hätte, er wäre nicht so grausam hart geblieben. Ms er nach einiger Zeit wieder das Zimmer be- trat, war es leer. Auf dem Tisch lag noch das Geld unangerührt und daneben der Trauschein, den Gisela in der Aufregung und Verzweiflung vergessen haben mußte. Da überkam meinen Vater eine heiße Reue: es hielt ihn nicht länger, er mußte*hinaus, sie suchen. Im Zivil- anzug rannte er planlos durch die Straßen und Gasthäuser und bedachte nicht, daß er sie in der großen Stadt kaum finden würde. Die Polizei in Anspruch zu nehmen, ge traute er sich nicht: damit hätte er nicht allein die Schande der Familie an die große Glocke gehängt, er mußte auch für seinen Namen und seine Stellung fürchten. So kehrte er niedergeschlagen heim mit der schwachen Hoffnung im Herzen, daß Gisela vielleicht dennoch nach Tworrau ge- gangen sein mochte oder ihm doch bald eine Nachricht mit ihrem Aufenthaltsort schicken werde.
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