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sches an sich hatte. In der Jugend waren seine Abgötter Chopin und Liszt, später wandelte sich seine musikalische Sprache zu hochgesteigerter Expressivität, bis zu Barbarismen reichend, oft von ekstatisch tänzerischen Aufschwüngen getragen. Sein Spätstil schließlich (ab etwa 1908) ten diert zur Auflösung der Tonalität und der Form und erweist ihn als einen der Väter des musikalischen Expressionismus. Da erstrebte er eine mystische Synthese aus Musik, Poesie, Mimik, Tanz, Farbe (Erfin dung eines Farbenklaviers), Berührungen und sogar Düften, die als künstlerisch-li turgisches Ritual in einem halbkugel förmigen Tempel Zusammenwirken sollten, das Wagnersche Gesamtkunstwerk weit hinter sich lassend. Sein Tod (er starb plötz lich an einer Blutvergiftung) machte 1915 seinen Projekten ein Ende, die niemand außer ihm selber verwirklichen konnte. Das Bestreben, sich auch orchestral auszudrücken, wurde zunächst von Mitrofan Beljajew gebremst. Dieser Mäzen und Verleger (1836 - 1903) spielte in Skrjabins Leben eine bedeutende, nämlich die Vaterrolle mit allen Zügen des Bestim mend-Patriarchalischen. Beljajew organi sierte Skrjabins Konzerte, sorgte für sei nen Unterhalt, fädelte wichtige Beziehun gen ein, führte ihm Frauen zu und rettete ihn oft vor dem Absinken in Depressio nen, das mit alkoholischen Exzessen ein hergehen konnte. Und obwohl er damit ein starkes Abhängigkeitsverhältnis schuf, ließ sich Skrjabin schließlich nicht von ihn abhalten, sich dem symphonischen Schaf fen zuzuwenden. Darin hatte er etwas mit Gustav Mahler gemeinsam: die Unbedingt heit des künstlerischen Wollens, das völli ge Einbringen der eigenen Person ins Werk. Da er auf Totalität ausgerichtet war, wurde ihm, gleich Mahler, das Komponieren einer Symphonie zum Erschaffen einer ganzen Welt; auch die Dimensionen entsprachen dem emotionalen Druck, der wenig planen des Kalkül zuließ: die fünfsätzige 2. Sym phonie hat eine Spieldauer von annähernd 50 Minuten. Hochgesteigerter subjektiver Äußerungsdrang erfüllt jeden Takt mit Lei denschaft und einem Pathos voller Lauter keit, birgt in sich aber die Gefahr zu wenig kontrollierten Ausufems. Als Skrjabin 1901 an dieser Symphonie arbeitete, stand er im Banne Nietzsches, dessen Verherrlichung des künstlerischen Menschen er als kon genial empfand. Die Gestalt des Übermen schen begeisterte Skrjabin so stark, dass er sich mit dem Libretto zu einer philoso phischen Oper beschäftigte, in der ein vom Künstlertum erfüllter Held schließlich über alle Anfechtungen triumphieren sollte. Gegen den ursprünglichen Plan Skrjabins, seine 2. Symphonie mit einem Vokalsatz zu eröffnen (so wie er seine erste mit einem Chorfinale beschlossen hatte), verwahrte sich Beljajew kategorisch: Ich werde eine solche Komposition nicht pub lizieren. Schreiben Sie für Klavier, für Or chester, für Stimmen oder für andere In strumente, aber stürzen Sie sich nicht in eine derart komplexe Komposition, die riesige musikalische Mittel erfordert und soviel Geld kostet! Konsequent suchte Skrjabin die fünf Sätze durch thematische Bezüge in einen großen Bogen zu span nen. So konträr in Tempo und Charakter die beiden Ecksätze sind, sie basieren auf dem gleichen Hauptthema in völlig ver schiedener Gestalt, ein typisch romanti-