durch Dur-Moll-Wechsel und instru mentale Neubeleuchtung eine Metamorphose zur marschartig auf trumpfenden Schlußapotheose erle ben. War diese Verfahrensweise schon bei Tschaikowsky ein wenig plakativ geraten, so wirkte sie nun, zu Beginn des zwanzigsten Jahr hunderts, geradezu naiv und der be ginnenden Moderne kaum mehr zeit gemäß. Skrjabin selbst sah dies spä ter als Fehler seines Werks: "Ich liebte diese Sinfonie, als ich sie schrieb, aber heute gefällt sie mir gar nicht mehr... Der letzte Teil klingt banal." In den Aufbau von Skrjabins Zweiter sind aber Ideen nicht nur aus der Welt der "absoluten" Sinfonik einge flossen, sondern ebenfalls Anregun gen der "Sinfonischen Dichtung", die im Gefolge der Lisztschen Werke auch in Russland Fuß gefaßt hatte. Skrjabin suchte jedoch nicht wie Liszt die Anlehnung an literarische Stoffe oder die bildende Kunst. Programmatisch werden bei ihm Seelenstimmungen und ihre Kon traste musikalisch ausgedrückt. Die beiden ersten attacca verbundenen Sätze von Skrjabins fünfsätziger zweiter Sinfonie könnte man ihrem Gehalt nach mit "Agonie und Auflehnung" überschreiben, die bei den letzten, die ebenfalls ohne Pause ineinander übergehen, mit "Kampf und Durchbruch". Eine von Skrjabin autorisierte Programmnotiz aus der Feder von Rosa Newmarch faßte dies in folgende Worte: "Die Sinfonie feiert die Befreiung der Seele aus ihren Fesseln, den Selbstausdruck der Persönlichkeit.“ Der dritte Satz steht gleichsam ex territorial zwischen den übrigen Sätzen bzw. Satzpaaren: eine ins ferne H-Dur entrückte Naturvision mit Vogelstimmenzitaten, die von ferne an Richard Wagners "Waldwe ben" aus dem "Siegfried" oder die zart getönte Stimmung von De bussys "Prelude ä l'apres-midi d'un faune" denken läßt. Über dem Stimmungszauber wird dem Hörer kaum klar - und muß ihm auch nicht bewußt werden - daß Skrjabin die ses Andante in klassischer Sonaten form mit ausgedehntem Durch führungsteil angelegt hat. Auch in den übrigen Sätzen bedient sich Skrjabin durchaus tradierter Formen, nämlich vor allem der Rondoform (im ersten, vierten und fünften Satz) und wiederum der Sonatenform (im zweiten Satz). Dabei läßt Skrjabins Zweite sich durchaus als "monothematische Einheit" begreifen, denn das anfäng liche Klarinettenmotiv, das über ei nem tiefen c-moll-Akkord der Celli, Kontrabässe, Fagotte und Hörner einsetzt, und aus einer synkopischen Wendung und einer nachfolgenden Trioienfigur besteht, erscheint trans formiert auch in den weiteren Teilen der Sinfonie. Zusätzliche Querbe züge machen es sogar möglich, Skrjabins Zweite als eine einzige Sonatenform im Grossen zu lesen: mit dem ersten Satz als Introduk tion, den beiden folgenden als zwei teiliger Exposition, dem vierten, der alle Themen der vergangenen Sätze wieder aufgreift, als Durchführung, und dem Finale schließlich als Reprise und Coda. Die Uraufführung von Skrjabins zwei ter Sinfonie fand unter Leitung von