Turina - de Falla - Brahms Wenn von der Kunstmusik des Abendlandes die Rede ist, dann steht gemeinhin die große Tradition der klassisch-romantischen Epoche, die sich von Haydn, Mozart und Beethoven über Schubert und Brahms bis zur frühen Moderne mit Mahler, Strauss und Schönberg erstreckt, im Mittel punkt. Bedeutend sind aber auch die von »nationalmusikalischem Geist« und volksmusikalischen Einflüssen durchdrungenen Repertoires, die im ausgehenden 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in vielen europäischen Ländern aufkamen und mit großen Komponistenpersönlichkeiten ver bunden waren - etwa Jean Sibelius in Finnland, Böla Bartök in Ungarn, Karel Szymanowski in Polen und Manuel de Falla in Spanien. Die Folklore erfüllt dabei eine doppelte Funktion: Sie stiftet Identität im Sinne des nationalen Gedankens und birgt als musikalisches Idiom vielerlei Potenzi al, die herkömmliche Musiksprache der Zeit in rhythmischer, harmoni scher und melodischer Hinsicht mit »unverbrauchtem Material« anzurei chern und zu verfremden. Joaquin Turina: Danzas fantästicas op. 22 Mit folkloristischem Kitsch hatte Joaquin Turina nichts im Sinn, wohl aber mit originärer (andalusischer) Folklore, deren Reinheit und Ursprünglich keit er bewahren wollte. So wandte er sich im Vorwort zu »Orgia«, dem dritten Satz seiner »Danzas fantästicas« op. 22, strikt gegen Verfälschun gen des andalusischen Gesangs, wie sie »jedes Frühjahr in den künst lichen Festen für die englischen Touristen vorgenommen werden.« Trotz der ideellen Verbundenheit mit seiner Heimat verließ er bereits als 20-Jäh- riger seine Geburtsstadt Sevilla und ging nach Paris. Dort wurde er, wie die meisten modernen spanischen Komponisten seiner Generation, von Vincent d'lndy, Paul Dukas, Claude Debussy, Maurice Ravel und mithin vom »musikalischen Impressionismus« maßgeblich angeregt. Turina bewahrte jedoch seine Wurzeln. Ja, in Anbetracht des scheinbar über mächtigen Pariser Einflusses beschlossen er, Manuel de Falla und der älte re Isaac Albäniz (1860-1909) - die drei waren eng befreundet -, sich in ihrem Schaffen an dem von Felipe Pedrell ins Leben gerufenen spanischen