nie existierte, bezeugt ein Brief von Clara Schumann an den berühmten Geiger Joseph Joachim. Darin teilte sie ihm mit, einen Sinfo niesatz von Brahms erhalten zu haben. Wie zum Beweis fügte sie ein viertaktiges Noten beispiel bei, das den Anfang des Allegro- Hauptteils und mithin den Urgedanken der ganzen Sinfonie zeigt. Aber für Brahms war die Zeit für die Vollendung noch nicht reif. Stattdessen tastete er sich weiter an die Gat tung heran, indem er in seiner Kammermusik die Besetzungen erweiterte und, zumal in den Haydn-Variationen op. 56 von 1873, sei Johannes Brahms um 1879 nen kompositorischen Zugriff auf den Orchesterapparat vervollkommne te. Erst im Sommer 1876, in Saßnitz auf Rügen und in Baden-Baden, nahm die 1. Sinfonie ihre endgültige Gestalt an. Doch Brahms blieb vor sichtig und skeptisch: So war es ihm ein »heimlich lieber Gedanke«, sein Werk zunächst in einer »kleinen Stadt« unter dem Dirigat eines »guten Freundes« zu hören. Der »gute Freund« war Otto Dessoff, die Urauffüh rung fand am 4. November 1876 in Karlsruhe statt. Der Erfolg gab Brahms Recht; kritische Stimmen meldeten sich freilich nach weiteren Aufführungen - unter Leitung des Komponisten - in Mannheim, Mün chen und Wien zu Wort. Eduard Hanslick, der Wiener Kritikerpapst, erkannte zwar die Qualität des Werks, beklagte aber, dass Brahms zu ein seitig »das Große und Ernste, das Schwere und Complicirte auf Kosten der sinnlichen Schönheit zu pflegen scheint. Wir gäben oft gern die feins ten contrapunktischen Kunststücke um ein Stück warmen Sonnenscheins, bei dem uns das Herz aufgeht«, schrieb er in seiner Rezension. Friedrich Nietzsche bezeichnete Brahms als Erben Beethovens und nannte ihn einen »Meister in der Kopie«. Und Hans von Bülows Etikettierung des Werks als »Beethovens Zehnte« war zwar durchaus positiv gemeint, stieß aber ins gleiche Horn, indem Brahms solcherart zum vermeintlichen Epi gonen stilisiert wurde. Nun lassen sich in der 1. Sinfonie in der Tat klangliche Beziehungen zu Beethoven nachweisen - so erinnert das Finalthema an den »Freuden hymnus« aus Beethovens Neunter. Brahms bestritt dies auch nicht, son-