Suche löschen...
Rabenauer Anzeiger : 16.07.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-07-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id178001192X-191407167
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id178001192X-19140716
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-178001192X-19140716
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Deutschen Stuhlbaumuseums Rabenau
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Rabenauer Anzeiger
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-07
- Tag 1914-07-16
-
Monat
1914-07
-
Jahr
1914
- Links
-
Downloads
- Einzelseite herunterladen (PDF)
- Ganzes Werk herunterladen (PDF)
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Politische Rundschau. Eine Besserung der Beziehungen Englands zv Deutschland ist tatsächlich hergestellt. Der englische Minister des Auswärtigen Grey, der gleich dem Marine minister Churchill früher mit dem Gedanken der allgemeinen Rüstungseinschränkung spielte, hat sich eines Besseren be sonnen. Er gibt zu, daß Vorschläge zu solcher Ein schränkung von den fremden Mächten, an die man sie richtete, nicht ohne Grund als ein Versuch betrachtet würden, ihre Selbständigkeit einzuschränken und ihre Handlungsfreiheit zu kontrollieren. Daher würde England mit derartigen Vorschlägen nicht mehr hervortreten. Wenn die Kosten für die Verstärkung der Wehrmacht bis zur Unerträglichkeit an zeschwollen wären, würden alle Staaten wohl oder übel ich Beschränkung auferlegen. Diese Worte des Herrn Grey ind weit offener und ehrlicher als seine früheren Versuche, Deutschland auf den Leim zu locken, und daher als eine Bestätigung der Besserung in den deutsch-englischen Be ziehungen willkommen zu heißen. Freier Sonnabend-Iiachmillag für Arbeiterinnen. Der Antrag der Gewerkvereine auf Einführung des freien Sonnabend-Nachmittags für Arbeiterinnen verdient eine wesentlich andere Beurteilung als der dieser Tage in Paris gefaßte Beschluß, die sogenannte englische Woche — neun stündiger Arbeitstag und freier Mittwoch-Nachmittag — ein zuführen. In England rechtfertigt sich der freie Wochentag- Nachmittag durch den puritanischen Sonntag. In Frank reich soll er den männlichen und weiblichen Arbeitern zur Erholung und zum Vergnügen dienen. Die deutschen Ge- werkoeretne beantragen die Freigabe des Sonnabend-Nach mittags und beschränken ihren Antrag auf Arbeiterinnen. Diese sollen in den Stand gesetzt werden, für sich und ihre Angehörigen die Vorbereitungen für einen gemütlichen Sonntag zu treffen. Da für den arbeitsfreien Sonnabend- Nachmittag selbstverständlich die Lohnzahlung aussällt und nur 11 halbe Wochentage bezahlt zu werden brauchen, so können mit der angsstrebten Neuordnung beide Teile, Unter nehmer wie Arbeiter, zufrieden sein, zumal wenn für Perioden besonders dringender Arbeiten Ausnahmen von der Regel gestattet werden. . Italien und Frankreich haben eine Abgrenzung zwischen Libyen und dem französischen Saharagebiet noch im Laufe dieses Jahres vereinbart. Die Mitglieder der mit den Abgrenzungsarbetlen betrauten französischen und italie nischen Missionen sollen am 1. Dezember an Ort und Stelle zusammenkommen. Vorher werden sie jedoch in Bern im Laufe dieses Monats eine Besprechung zur Feststellung des Arbeitsplanes abhalten. Selbstmord eines französischen Konsuls. Der fran zösische Konsul in Innsbruck, Hugo Ottenheim, deutscher Herkunft, jedoch französischer Staatsbürger, hat sich in einem Anfall von Schwermut in einem der ersten Hotels zu Paris das Leben genommen. Ottenheim hatte schon vor mehreren Monaten seinen Posten in Innsbruck verlassen und hielt sich aus Gesundheitsrücksichten in Paris auf. Frankreichs ewige Sorge. In der Heereskommisston des Senats behauptete der Berichterstatter, daß die ein maligen Aufwendungen für Heeres- und Marinezwecke trotz ihrer beispiellosen Größe doch nicht ausreichen würden, um Lie Stärke Deutschlands zu erlangen. Deutschland werde auch bei seiner vorjährigen kolossalen Anstrengung noch nicht haltmachen, da ihm sein Menschenreichtum noch erheblich stärkere Rüstungen gestatte, und Frankreich werde folgen müssen. Der Redner beantragte die Dringlichkeit der Rüstunaskredite und ersuchte den Kriegsminister, sofort mit neuen Forderungen an das Parlament heranzutreten, wenn sie sich als nötig erweisen sollten. Andernfalls seien der Frieden und die Unverletzlichkeit deS französischen Bodens bedroht. Herr Varros, der neue Präsident der französischen Patriotenlkga und Nachfolger des verstorbenen Deroulede, sucht seinen Amtsoorgänger in Kühnheit und nationalem Schwünge noch zu überbieten. In der Rede, mit der er sein Amt antrat, sprach er von der hohen Aufgabe, der sich jeder Franzose mit Leidenschaft hingeben müsse, da eine einflußreiche Verschwörung bestehe, um die Tripleentente zu zertrümmern und an deren Stelle ein Bündnis mit Deutsch land zu setzen: das Vasallentum eines vor Kaiser Wilhelm auf den Knien liegenden Frankreichs. (I!) Der Gesandte v. Hartwig litt schon seit langem an einem Herzleiden, welches ihm große Oualen verursachte. Tr Wollte nüch Nauheim und verschob die Fahrt Mit Rück sicht auf den 70. Geburtstag des Königs Peter. Der Ge burtstag war am vergangenen Sonntag; er wäre trotz der Erkrankung des Königs, für den bekanntlich der Kronprinz Alexander die Regentschaft führt, geräuschvoller gefeiert wor den, wenn der Tod des russischen Gesandten die frohe Stim mung nicht verdrängt hätte. 2n Wien macht der Tod tzarkwigs tiefen Eindruck. Man nimmt an, daß er auf die Beziehungen zwischen Öster reich und Serbien nicht ohne Einfluß bleiben kann. In der Wiener „Neuen Fr. Pr." sagt ein Balkandiplomat über die Persönlichkeit und das Wirken des Herrn v. Hartwig: Nirgends hätte dieser russische Diplomat, dieser fanatische Vorkämpfer der panslawistischen Idee, bester hingepaßt, als zu den leicht erregbaren und daher leicht zu lenkenden Serben. Wenn Osterreich-Ungarn die Stätte in Serbien suchen wollte, an der in den letzten Jahren am meisten dafür getan wurde, den Haß gegen die Monarchie zu schüren, so brauchte sie bloß an die Tür der russischen Gesandtschaft in Belgrad zu klopfen. Hartwig war Panslawist in dem Sinne, daß er die gesamte slawische Welt unter dem Zepter des Zaren vereinigt sehen wollte, und sein Ehrgeiz trieb ihn dazu, derjenige zu sein, der dieses große Werk durchführte. So kam es, daß Sasonow trotz aller Drohungen schließlich doch nicht an ihn herankonnte. Denn er konnte immer darauf verweisen, daß alles das, was er tat, nur für die Glorie des großen allmächtigen Rußland geschah, und daß er Tag und Nacht an seinem Werke arbeitete. Das spanische par»amenl wurde nach dreimonatiger Tagung geschlossen. Die endlose Erörterung der Marokko frage zeigte, daß das Afrika-Abenteuer unpopulär ist und bleibt. Die Vorlage über die Flottenneubauten ist infolge des zähen Widerstandes der Republikaner und eines Teiles der Liberalen nicht erledigt worden. Trotzdem wird die Regierung im Herbst daraus eine Kabinettsfrage machen, da der König die Erledigung der Vorlage fordert. 3n Mexiko wird für den Fall des Rücktrittes Huertas der neue Minister des Auswärtigen Carbojal Präsident. Carbojal ist erst 38 Jahre alt, stammt aus einer alten spanischen Familie und erfreut sich seiner Unbescholtenheit wegen großen Ansehens. Seine Übernahme des Präsidenten amts würde auf den verhältnismäßig geringsten Widerstand bei den Parteien stoßen. Albanien. Fürst Wilhelm, dem zur Selbsthilfe Geld und Soldaten fehlen, hat die Großmächte durch deren Vertreter in Durazzo römischen Meldungen zufolge zum letzten Male um Hilfe ersuchen lassen. Wird sie ihm dann nicht gewährt, so will er Durazzo verlassen, über den Erfolg der Bemühungen des albanischen Ministerpräsidenten Turkhan Pascha in Petersburg gehen die Meldungen auseinander. Nach der einen heißt es, der Minister des Auswärtigen Sasonow habe erklärt, Rußland könne für den Fürsten Wilhelm nichts tun, da es dessen Wahl als Mißgriff betrachte. Nach anderen Meldungen sind die Aussichten Turkhan Paschas auf Erfüllung seiner Wünsche gestiegen. Rußland will neue Vorschüsse auf die Anleihe bewilligen, nur soll nicht eine zu große Summe gewährt werden. Ein hochpolitisches Ereignis ist der Tod des russischen Gesandten v. Hartwig am Belgrader Hofe, da der so plötzlich in der Wohnung seine- österreichischen Kollegen, des Gesandten v. Giesl, einem Herzschlag erlegene Diplomat ein Programm bedeutete. Herr v. Hartwig war der intime Serbenfreund und der Vertraute der dreibundfeindlichen panslawistischen Kreise Rußlands. Er war nicht nur der Mitwisser, sondern der heimliche Förderer der Gründung des Balkanbundes, der der Vernichtungskrieg gegen die Türkei folgte. Herr von Hartwig kam als Vertreter des Zaren 1908 nach Belgrad, also zu der Zeit, da die Wogen der Erregung auf dem Balkan infolge der Annexion Bosniens und der Herzego wina besonders hochgingen und monatelang ernste Kriegs gefahr im Verzüge war. Sein Tod erfolgte gleichfalls in einem überaus kritischem Augenblick. Von der Wahl seines Nachfolgers wird viel für die Entwickelung der Balkanver- hältniste nicht nur, sondern auch der großen europäischen Entscheidungen abhängen. Was Graf Jgnatiew in den 70er und 80 er Jahren bedeutete, das waren jetzt Herr v. Hartwig und sein Lehrmeister, der gegenwärtige Pariser Botschafter des Zaren Herr v. Iswolski, sür Rußland. In ihren Händen vereinigten sich die Fäden, die von Rußlands unverantwortlichen Politikern und den politisierenden Großfürstinnen gesponnen werden, und die sich oft stärker erweisen als diejenigen der verantwortlichen Ratgeber des Zaren. Wie Graf Jgnatiew als Gesandter in Teheran und in Konstantinopel sowie später als Minister des Innern nur das eine Ziel der Aus dehnung Rußlands vor Augen hatte, so war auch Herr v. Hartwig unablässig im Sinne einer russischen Expansions politik tätig. Ihr diente er schon als Gesandter in Teheran, geriet dadurch aber in Zwistigkeiten mit England und mußte das Feld räumen. Seine Versetzung nach Belgrad war alles andere eher als eine Bestrafung. Die maßgebenden panslawistijchen Kreise hatten große Hoffnungen auf di« Belgrader Tätigkeit Hartwigs gesetzt, die der damalige Minister des Auswärtigen o. Iswolski aufs lebhafteste unter stützte. Der Ausgang der Balkankriege entsprach den hoch gespannten Erwartungen nicht. Es mutet tragisch an, baß der rastlose Mann gerade im gegenwärtigen Augenblick, der ihm wieder eine wichtige politische Rolle zuwies, so plötzlich dahingerafft wurde. Aeber Vas plötzliche Ableben des Gesandte« von Hartwig ist noch mitzuteilen: Hartwig, dessen Gemahlin gegenwärtig in Konstantinopel weilt, stattete dem öster reichisch-ungarischen Gesandten Freiherrn v. Giesl einen Be such ab. Er erschien um 9 Uhr abends im PalaiS der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft und wurde von Frei- Herrn v. Giesl in dessen Arbeitskabinett empfangen. Hart wig hatte auf dem Kanapee Platz genommen, während sich Frhr. v. Giesl ihm gegenüber fetzte. Während der Unter haltung, die in einem sehr artigen Ton geführt wurde, griff v. Hartwig plötzlich mit der Hand gegen das Herz, beugte den Kopf und fiel vom Kanapee auf den Fußboden. Frhr. v. Giesl sprang sofort zu ihm und hob ihn auf das Kana pee. Das herbeigerufene Personal unternahm alsbald Wiederbelebungsversuche. Nach fünf Minuten war der erste Arzt zur Stelle. Gleich nach dessen Eintreffen gab Hartwig seinen Geist auf. Die beiden anderen Arzte, die kurze Zett später erschienen, konnten nur noch den Eintritt des Todes infolge Herzschlags feststellen. Die Kunde von dem Tode des Gesandten verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Alle Lustbarkeiten und Theatervorstellungen wurden abgebrochen. Allgemein wurde dem Empfinden Ausdruck gegeben, daß Serbien in dem Verstorbenen seinen besten und einfluß reichsten Freund verloren habe. Oesterreich-Ungarn und Serbien. Unter dem Druck des einigen Europas wird Serbien wie man in maßgebenden Kreisen Roms erklärt, den For derungen Osterreich-Ungarns, ohne Widerstand zu leisten oder Winkelzüge zu machen, nachgeben. Die serbische Regierung wird eine gründliche Untersuchung zur Ermittelung derjenigen Personen feststellen, die die geistigen Leiter des Komplotts von Sarajewo und des dort verübten Fürstenmordes waren. Sie wird ferner durch scharfe Gesetzesbestimmungen den Handel mit Dynamit und Waffen überwachen und dafür Sorge tragen, daß die Propaganda der Tat unter den großserbischen Fanatikern nach Möglichkeit eingeschränkt wird. Eine österreichische Aktion in Belgrad, die der Zu stimmung Englands und Frankreichs sicher wäre, während Rußlands Haltung noch ungewiß ist, wird infolgedessen wahrscheinlich unterbleiben. Die Mächte des Dreiverbandes werden dagegen in dankenswerter Weise freundschaftliche Vorstellungen bei der serbischen Regierung erheben und durch ihre Gesandten auf die Notwendigkeit geeigneter Maßnahmen gegen anarchistische Elemente verweisen. Dit Mächte werden einer halbamtlichen Wiener Meldung zufolgt ihren freundschaftlichen Rat auch in dem Sinne abgeben, daß Serbien zur Beruhigung Osterreich-Ungarns beitrage In Berliner amtlichen Kreisen setzt man mit Be- stimmthett voraus, daß die Belgrader Regierung alles tun wird, was sie als Kulturnation zu tun schuldig ist. Acht zehn Mitglieder des Sarajewoer Komplott« sind jetzt ver haftet worden, sie haben ohne Ausnahme Bomben und Waffen aus Belgrad erhalten. Der Verdacht, daß der aktive serbische Major Pribitschtwilsch einer der Anstifter des Komplotts und des Mordes von Sarajewo war, hat durch die unwidersprochene Meldung eines kroatischen Blatte« Nahrung erhalten, daß der Major am Mordtage aus Sara jewo ein unterschriftsloses Telegramm mit den Worten er« Im Savos Äsr Ledllltl. Roman von Egon Rotenfels. 72 Diese Frage kam der Lehrerin offenbar ungelegen schnell wandte sie sich daher ab, um das Tablett aus der Hand zu setzen und antwortete, sich zu einer gewissen Un befangenheit, deren Absichtlichkeit jedoch deutlich zu Tage trat, zwingend: „O, ich habe oben jetzt den Ofen recht hübsch hergerichtet und heize bei kalten Tagen, wie heute fleißig ein." „So, so!" machte Frau Arnold leise den Kopf schüt telnd, „nun ich sollte doch meinen, es wäre vernünftiger, lieber das Nebenzimmer hier unten zu Heizen. Doch das ist Ihre Sache," setzte sie, wie um von diesem Thema los zukommen, hinzu. Frau Günther hatte inzwischen den Tisch ein wenig vom Sofa abgerückt und forderte ihren Gast auf, Platz zu nehmen. Frau Arnold kam dieser Einladung auch bereitwillig nach und zog einen der Sessel, welche den Tisch umgaben, ganz nahe an ihre Seite. „So," sagte sie, „und nun setzen Sie sich einmal hier her, ich habe mit Ihnen zu reden." Nicht ohne Verwunderung hatte Frau Günther die etwas umständlichen Vorbereitungen bemerkt, von denen Marthas Mutter sonst, doch gerade keine Freundin war, und gespannt, was diese ihr wohl zn sagen haben werde, nahm sie an ihrer Seite Platz. Eine Weile sah Frau Arnold schweigend vor sich hin, ols ob sie mit einem Entschlusse kämpfte, dann aber hob ! sie den Kopf und sprach mit ihrer wohlklingenden, nur ab und zu wie unter dem Einflüsse einer kleinen Erre gung vibrierender Stimme: „Ich bin in der Lage, meine liebe Frau Günther, Ihnen heute eine Eröffnung machen zu müssen, von der ich annehmen muß, daß Sie ihnen nicht angenehm sein dürfte." Es wurde der guten Frau ! Arnold doch schwerer, als sie geglaubt und sich vorgestellt hatte. Die Kehle schien ihr wie zugeschnürt und wollte die herben Worte, die sie sich auf dem Wege hierher so schön zurecht gelegt hatte, nicht herauslassen: endlich raffte sie sich gewaltsam auf und fuhr, ganz zu der klopfenden Her zens dasitzenden Lehrerin gewendet, fort: „Ja, meine liebe Frau Günther, wie gesagt, mir tut es leid, Ihnen das zu sagen, aber Sie müssen diese Stelle hier aufgeben, ja noch mehr, so schnell als nur irgend möglich dieses Haus verlassen." Frau Günther war zusammengefahren, als sie jene Worte gehört hatte, jetzt saß sie jedoch wieder, wenn auch noch totenbleich, aber doch ruhig da: sie mußte sich ja verhört haben, das war ja gar nicht anders möglich, wie käme man wohl dazu, sie ohne jeden Grund hier forttrei ben zu wollen. Ihr beharrliches Schweigen war Frau Arnold, die doch herzlich froh war, daß sie die harten Worte vom Herzen herunter hatte, offenbar peinlich und befremdend. Sie erhob sich daher von ihrem Sitze, indem sie wieder holte: „Ich muß Sie daher bitten, möglichst schnell Ihrer Nachfolgerin Platz zu machen." Jetzt schien Frau Günther, die immer noch wie ab wesend dagesessen hatte, zu sich zu kommen. Hatte man nicht soeben von einer Nachfolgerin gesprochen? Sollte sie dieser nicht Platz machen? Mit bebenden Lippen stand sie jetzt vor der Dame, welche sie von allen Frauen am meisten verehrte, die sie mit Stolz ihre mütterliche Freun din nannte, die sie jeden Tag in ihr Morgen-ung Abend gebet dankbaren Herzens einschloß und für welche sie des , Himmels reichsten Segen erflehte, und diese Dame konnte jetzt so harte Worte zu ihr sprechen? Sie fand sich immer noch nicht zurecht, und es dauerte mehrere Minuten, bis sie fragen konnte: „Ich soll fort, weg von hier, von meinem trauten Heim? Was habe ich denn verbrochen, das man so hart gegen mich ist?" Die Stimme versagte ihr und Tränen, heiße Tränen stürz ten ihr aus den Augen, die angsterfüllt Frau Arnold an schauten. Diese mußte ihre ganze Energie, mit der sie sich ge wappnet hatte zusammennehmen, um mit kalter Zurück weisung auf diesen Gefühlsausbruch der jungen Frau zr antworten. „Das fragen Sie noch? Sie können wirklich noch fragen, was uns, namentlich meinen Mann, der gam außer sich ist, veranlaßt, auf Ihrer sofortigen Entlassung zu bestehen?" Sollte Ihnen wirklich jedes Gefühl für Anstand und gute Sitte abhanden gekommen sein, daß sie es nicht er klärlich finden, wenn wir indigniert im höchsten Grade indigniert sind," wiederholte sie mit gehobener Stimme, über Ihr Benehmen, über Ihre Aufführung?" „Uber mein Benehmen, über meine Aufführung?" fragte Frau Günther, sich unwillkürlich an den Kopf füh lend, ob sie nicht etwa träume. „Jawohl," entgegnete Frau Arnold, die durch die, wie sie meinte, beispiellose Heuchelei der Lehrerin gereizt, jetzt in das richtige Fahrwasser kam, „jawohl über ihre Aufführung' über die die ganze Gegend, alle Eltern de: diese Schule besuchenden Kinder und alle Leute, die noch Gesühl für Anstand besitzen, außer sich sind. Oder," fuhr sie, jede Entgegnung durch ein heftiges Schütteln mit dem Kopfe aschneidend, fort, „ist es etwa erlaubt ist es etwa passend sür eine alleinstehende Dame, zu jeder Tages- und Nachtzeit die Besuche eines unverheirateten Arztes zu empfangen? Noch dazu, wo die Beweise klar zu Tage liegen, daß diese Besuche keine Krankenbesuche sind, denn Sie, meine Liebe, sind doch wahrhaftig nicht krank, we nigstens nicht so krank, daß der Arzt so häufig nach Ihnen sehen müßte."
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder