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Arbeit.“ Als wäre das alles wirklich so einfach! Messiaen beim Aufzeichnen von Vogel stimmen. Er zeichnete jeden Klang bereits in der natürlichen Umge bung der Vögel in nor maler Notenschrift auf und verwendete erst in seinen letzten Jahren ein Tonbandgerät. Die Titel, die Messiaen seinen Werken gab, stell ten fast ausschließlich einen Bezug zu etwas Außermusikalischem, etwas Gegenständlichem bzw. Erfaßbarem, immer aber Erklärendem her, als habe der Komponist doch wohl nicht der musikalischen Aussage allein gänzlich vertrauen | wollen. So komponierte er beispielsweise keine Messe, sondern eine „Messe de la Pentecöte“ (Pfingsten), ergänzte also den Gattungsbegriff durch eine nähere Beschreibung des Darzu stellenden. Oder er wählte einen gattungsunab hängigen, vollständig beschreibenden Titel für das Stück („Le Reveil des Oiseaux“/Das Erwa chen der Vögel). Und so geschah es übrigens auch mit einem seiner suggestivsten Werke, sei ner „Turangalila"-Sinfonie, die etlichen Besu chern des 6. Zyklus-Konzertes im März 1998 noch in lebhafter Erinnerung sein dürfte. Olivier Messiaen fühlte sich zeitlebens und „vor allem anderen [als] ein katholischer Musiker. Alle meine Werke“, meinte er weiter, „ob reli giös oder nicht, sind ein Glaubensbekenntnis und lobpreisen das Wunder Christi.“ Und eben aus einem solchen Ansatz heraus schuf er zwischen 1971 und 1974, nach einer höchst inspirierenden Reise durch Utah, die ihn zum Bryce Canyon und zum Zion National Park führte, das Orche sterwerk Des Canyons aux Etoiles, eine him melwärts gerichtete Musik, die - vom Sicht baren zum Unsichtbaren - alles umspannen will, alle Zeit und jeden Ort. Messiaen zeichnet einen Weg, der von den Tiefen zu den Höhen führt, aus den Abgründen zu den Sternen. Das ist ein Weg, der in der Wüste beginnt, dem Ort der Ödnis, des Schrek- kens, der Einsamkeit und Gottferne und in der „himmlischen Stadt“ (12. Satz) endet, zwischen durch aber die Erfahrung sowohl des Abgrunds (5. und 7. Satz) als auch der Sternennähe (3. und 8. Satz) macht, dabei tiefes Leid (6. Satz) und die innigste Einheit von Seele und Gott kennenlernt (10. Satz). Fünf Vogelstimmen- Sätze - zwei für Klavier solo (4. und 9. Satz), die anderen für Orchester (2., 10. und 11. Satz) gliedern symmetrisch das zwölfsätzige Werk. Das Bild der „Schlucht“ oder des „Abgrunds“ hat im Alten Testament und daraus abgeleitet bis in die moderne Literatur hinein immer auch die Bedeutung von Sünde und Bedrängnis und ist ebenso als Metapher für die Uner- gründlichkeit Gottes zu verstehen. Und in die ser Mehrdeutigkeit will der Komponist auch sein Werk verstanden wissen. So beschreibt er in ei nem umfangreichen Informationstext zu seiner Komposition: „Das bedeutet sich erheben aus den Schluchten bis hinauf zu den Sternen - und noch höher hinauf, bis zu den Auferstandenen des Paradieses, um Gott in der Fülle seiner Schöpfung zu preisen: die Schönheiten der Erde (ihre Felsen, ihre Vogelgesänge), die Schönhei ten des sinnlichen Himmels, die Schönheiten des geistigen Himmels. Zunächst also ein reli giöses Werk, ein Werk der Lobpreisung und der Kontemplation. Aber auch ein geologisches und astronomisches Werk. Ein Klang-Farben-Werk, worin alle Farben des Regenbogens um das Blau des Schwarzkopfhähers und das Rot des Bryce Canyon kreisen. Die Vogelgesänge sind Aufführungsdauer: ca. 100 Minuten Am 20. November 1974 wurde das Werk in New York unter der Leitung von Frederic Waldman und mit Yvonne Loriod - einst Messiaens Schü lerin, später dessen Frau - am Klavier uraufge führt.