ZUR EINFÜHRUNG zarten Episoden. Der Satz (Adagio) wird von Glocken über schweren Bläserklängen eingeläutet; das kulti sche Element ist sogleich gegenwärtig. Ein Zwischenspiel (Allegretto) zur Ge stalt Anne Franks hellt das Geschehen etwas auf (Harfen und Celesta). Hierauf steigert sich das Ritual der Totenklage (Adagio). Polytonale Schichtungen und harte, rhythmische Schläge nach Art von Strawinskys „Le Sacre du Prin- temps“ gehen über in Trillerketten und in die Posaunenrufe des Jüngsten Ge richts. Gewaltsam tritt eine General pause ein, ehe das Klagelied im tremo- lierenden vierfachen Forte endet. Im 2. Satz (Allegretto) wird der Witz besungen, dem Kerker und Schafott nichts anhaben können. Er ist die letzte Waffe des Menschen in einer inhu manen Welt. In ihm verkörpern sich Distanz und Überlegenheit, die hart geprüften Tugenden derer, die den falschen Propheten und den stumpfsin nigen Gewalthabern nicht auf den Leim gehen. Jewtuschenkos Gedicht ruft ver schiedene Meister der Satire zu Zeu gen: den phrygischen Fabeldichter Aesop und Nasreddin Hodscha, den türkischen Eulenspiegel. Der Satz hat die Funktion eines Scherzos von dämo nisch-sarkastischem Zuschnitt, wie Mahler ihn gepflegt hat und wie Mussorgski, Prokofjew und Strawinsky ihn sozusagen ins Russische übertragen haben. Die Beziehungen zur realisti schen, fiebrigen Diktion Mussorgskis sind hier besonders deutlich, so zur Narrenszene des „Boris Godunow“. Der russische Begriff des „Gottesnarren“ scheint auf; diesem Gottesnarren ge standen die Herrscher - natürlich nur in Grenzen - zu, in ihrem Witz Kritik zu üben und - verschlüsselt zwar - die Wahrheit zu sagen. So hat sich wohl auch Schostakowitsch selbst als solcher während der Stalin-Zeit verstanden. Beide folgende, langsame Sätze, der 3. Satz „Im Laden“ (Adagio) und der 4. Satz „Ängste“ (Largo), gehen inein ander über. Das Adagio handelt von den Plagen des Alltags, vom Schiangestehen um die Grundnahrungsmittel, vom „schwerverdienten Geld“ und vom stil len Heldentum der „Frauen, die sich plagen für ihr Land mit aller Kraft“. Die Sinfonie begibt sich auf das Terrain der prosaischen Wirklichkeit - eine weitere Konsequenz der Mussorgski-Mahler- Nachfolge. WERNER LEHMANN Goldschmiedemeister am Nürnberger Ei eigene Werkstatt für Anfertigung und Reparatur Nürnberger Str. 31 a 01187 Dresden Telefon (03 51)4 729147 ehern. Kaitzer Str./Altplauen