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ZUR EINFÜHRUNG Franz Schubert (1797-1828); Aquarell von Wilhelm August Rieder (1825) Jemand fragte Strawinsky, ob ihn die Längen in der Musik Schuberts nicht einschläferten: „Was tut's", entgegnete er, „da ich mich beim Erwachen im Paradies wähne?" Und wirklich, Franz Schubert be schwört den Himmel oder - besser noch - er sucht eine Stätte der Un schuld, der Liebe, des Geborgen seins und singt ständig davon. Sehnsucht ist sein Motiv. Mag auch sein Leben sehr irdisch gewesen sein mit allen Freuden und Nöten, mit Verlorensein und Freundschaf ten, seine Musik ist es am wenig sten. Das wohl könnte es sein, wo rin er uns so anrührt, worin wir - auch heute noch - eine Botschaft erfühlen, die, fernab vom Tagesge schäft, uns erfüllt. Eine kurze Le benszeit nur war dem Menschen gegeben - kaum 32 Jahre -, und er nutzte sie, fast besessen, voller Schaffensdrang und mit einer enor men Energie trotz gesundheitlicher Probleme. Seine Lieder haben, wenn auch recht spät, seinen Ruhm begründet, seine Sinfonien werden geliebt, sind Kunst, aber nicht künstlich, und wie alles, was er komponierte, ist auch seine Kam mermusik voll edler Melodik, an rührendem Gesang und geheimnis vollem Gefühl. Wie sehr Schuberts Musik leben dig ist, zeigen allenthalben die Konzertprogramme, wie sehr aber dieses Phänomen Schubert uns auch heute - vielleicht sogar be sonders - beschäftigt, beweisen darüber hinaus die unzählbaren wissenschaftlichen, literarischen, filmischen Versuche. Sich dem Menschen nähern zu wollen, be deutet, sein Werk zu ergründen, seine Denk- und Arbeitsweise ken nenzulernen, Deutungen zu versu chen, um vielleicht seinem Geheim nis auf die Spur zu kommem, der geheimnisvollen Beziehung von gottbegnadeter Schöpferkraft und menschlichem Umsetzungsvermö- gen. Immer wieder gab oder gibt es Komponisten, die in Schuberts Fußstapfen treten wollten, entwe der, um so komponieren zu können wie er oder aber „Unvollendetes" zu vollenden und daraus mögli cherweise eigene Erkenntnisse zu ziehen. Denn das Fragmentari sche, Torsohafte hat immer einen ganz eigenen ästhetischen Reiz. Hier drängt sich das Bild der Ruine eines alten Schlosses auf, durch deren leere Fensterhöhlen die Ge genwart hindurchscheint. Soll die Ruine so bleiben? Soll sie ausge baut werden? Wie soll sie gebaut