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ZUR EINFÜHRUNG Dmitri Schostakowitsch legte als 19 jäh riger sein Staatsexamen (1925) mit seiner 1. Sinfonie am Leningrader Konservatorium ab und erreichte damit sehr rasch eine ganz ungewöhnliche Berühmtheit in seiner Heimat, bald auch über die Grenzen hinaus, als sich Bruno Walter, Leopold Stokowski oder Arturo Toscanini für das Werk ein setzten. Doch der junge Mann hat te Zweifel an seiner Berufung zum Komponisten, arbeitete einige Jah re lang nur als Pianist und kompo nierte wenig, auch wenn darunter die späterhin sehr erfolgreiche Oper „Die Nase" (1927/28) zu finden ist. Aber er komponierte dennoch immer weiter, nicht zuletzt gestärkt durch Freunde. Sehr wach nahm er die politischen, geistigen und künstlerischen Tendenzen in seiner Umgebung auf. Er beteiligte sich an den experimentellen Versu chen zahlreicher Künstler, sich eine neue Welt zu erschließen. 1934 wurde seine Oper „Lady Macbeth von Mzensk" aufgeführt, ein Werk, das seine kompositorische Entwick lung, ja sein weiteres Leben gründ lich verändern sollte. Durch die Verwendung von unterschiedlichen Stilmitteln, eben auch experimen tell neuen, zu einer sehr gemisch ten Tonsprache, geriet er auf den Weg, der ihn von der Doktrin eines „sozialistischen Realismus" weit entfernte. In einem Prawda-Artikel (1936) wurde ihm „Chaos statt Musik" vorgeworfen, so daß er in ständiger Angst leben mußte, der „Säuberung" Stalins zum Opfer zu fallen. Wenn es auch immer wie der Anerkennungen gab (Professur am Leningrader Konservatorium 1937, in den 40er Jahren ebenso in Moskau), blieb diese Angst und damit auch eine kompositorische Haltung, die sich mehr an der „ge sunden, verständlichen und realisti schen Tradition" der russischen Musik orientieren mußte. Er ver mied sogar entfernte Anklänge an „avantgardistisch" oder „formali stisch" verschrieene Experimente, konnte und wollte aber dennoch aus dem eigenen, ästhetisch be gründeten Denkschema nicht völlig heraustreten. 1948 wurde er er neut gemaßregelt, gemeinsam mit Prokofjew und Chatschaturjan. Selbst noch in der sogenannten „Tauwetter"-Periode nach Stalins Tod (1953) ebbte der „Formalis musstreit" nicht ab. Doch Schosta kowitsch war zum Kampf bereit, nicht in der politischen Arena, son dern mit seinen Waffen, der Musik. Er verwendete z. B. in neuen Schöpfungen ältere Fragmente aus seinen Arbeiten, solche, die seiner zeit offen kritisiert worden waren und weichte damit Verkrustungen auf, die ihn eigentlich hindern soll ten, „modern" zu sein. Seine Ton sprache wurde immer selbstbewuß ter, wußte er sich doch auf dem richtigen Weg. Altere, seinerzeit abgelehnte Werke kamen wieder in die Programme. Seine Oper, „Die Nase", durfte sogar wieder aufgeführt werden (1974). Unge achtet der mannigfachen Auseinan dersetzungen mit dem sowjetischen