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durchsetzen konnten und Mahler in seiner Bedeutung, seiner Größe und seiner Einmaligkeit erkannt wurde. Man spricht gern von einer öster reichischen Linie in der sinfoni schen Musik des 19. und 20. Jahr hunderts und meint damit die Entwicklung, die von Schubert über Bruckner zu Mahler führt. Tatsäch lich hatte Mahler Bruckner viel zu verdanken, fühlte sich ihm innerlich verbunden, obwohl sich beide - als Menschen und in ihrem künstle rischen Selbstverständnis - wesent lich unterschieden. Beiden ist indes gemein, daß sie sich auf nur weni ge Schaffensgebiete konzentriert haben. Mahlers reiches CEuvre be schränkt sich vornehmlich auf die Sinfonik und das Lied. Obwohl ge achteter Operndirektor und gefei erter Dirigent, komponierte er kei ne Opern und Musikdramen. Aber gerade in den Orchesterwerken hat er seine Welt eingefangen, hat sich persönlich ausgebreitet, hat empfunden, • dramatisiert, verge genwärtigt, was er zu sagen hatte und ausdrücken wollte. Anfangs war es sogar programmatisch ge prägte Musik. Doch später meinte Mahler, es gäbe, „von Beethoven angefangen keine moderne Musik, die nicht ihr inneres Programm hat. - Aber keine Musik ist etwas wert, von der man dem Hörer zuerst be richten muß, was darin erlebt ist - respektive was er darin zu erleben hat. Und so nochmals: pereat [lat. = verschwinden, zugrunde gehen] - jedes Programm! ... ein Rest von Mysterium bleibt immer - selbst für den Schöpfer!" Wer aber Mahlers Werk tiefer verstehen will, muß um seine Herkunft, aber auch um seine geistige Welt wissen, muß sein reli giöses, literarisches und philoso phisches Denken einbeziehen, seine enge Beziehung zum Mysti zismus, zu metaphysischen Fra gen. Denn eine solche Vielgestalt prägte seine Persönlichkeit und spiegelt sich in seinem Werk. Er war Jude aus einem böhmischen Dorf, kam aus einem nicht gerade glücklichen Elternhaus. Wegen sei ner starken Neigung zur katholi schen Mystik, Dogmatik und Escha tologie konvertierte er 1 897 zum Katholizismus. Sein literarischer und philosophischer Horizont war erstaunlich weit, reichte von der alt griechischen Götterwelt über die deutsche und französische Literatur und Philosophie bis in die Denk schulen seiner Gegenwart. Bruck ner wurde ihm Freund, Wagner verehrte er. Und selbst sich in musi kalischer Sprache auszudrücken, war ihm tiefstes Bedürfnis. Aber - meinte er - sein Bedürfnis, sich musikalisch-sinfonisch auszuspre chen, „beginnt erst da, wo die dun keln Empfindungen walten, an der Pforte, die in die 'andere Welt' hin einführt: die Welt, in der die Dinge nicht mehr durch Zeit und Ort aus einanderfallen". Seine Musik ent hält durchaus autobiographische Aspekte und muß immer wieder vor solchem Hintergrund betrachtet werden, wenn auch niemals aus schließlich. Einen Blick ins eigene Biographisches: • geb. 7.7.1860 in Kalist/ Böhmen • gest. 18.5.1911 in Wien • Studium an der Universität Wien (Geschichte, Philosophie, Musik geschichte), am Wiener Konservato rium (bei R. Fuchs, R. Epstein, F. Krenn) und privat bei A. Bruckner • seit 1880 verschie dene Kapellmeister posten (Bad Hall, Laibach, Olmütz, Wien, Kassel, Prag, Leipzig) • 1888 Operndirektor in Budapest • 1891 Erster Kapell meister in Hamburg (Stadttheater) • 1897/1907 Kapellmeister und Hofoperndirektor in Wien • 1907 Dirigent an der Metropolitan Opera New York • 1909 Leiter der neugegründeten New Yorker Philhar monie Society •1911 Erkrankung und Rückkehr nach Wien