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ZUR EINFÜHRUNG Gustav Mahler (1860-1911) „Muß man denn immer erst tot sein, bevor einen die Leute leben lassen?", klagte Gustav Mahler. Aber seine Zeit werde kommen, meinte er dann wieder hoffnungs voll-seherisch und selbstbewußt. Immer wieder stieß der Komponist auf großen Widerstand gegen sein Werk, immer wieder hätte er schier verzweifeln können. Seine Musik war neu und so anders als Hörge wohnheiten seiner Zeit es dulden wollten. Sie wich von alten Stan dards ab. Mahler schuf viele neue. Seine Musik ist von solch hoher Ex pressivität und Intensität, daß sie zu verschrecken vermochte. Sie wurde so anders empfunden, nicht mehr nur klangschön, ausgewogen und erhaben, nicht nur fröhlich oder traurig, eindeutig verständ lich. Nein, sie machte nachdenk lich, stumm, beunruhigte das Gemüt. Sie wirkte herb, manchmal hart und laut, polternd, gelegent lich allerdings auch verklärt und gesanglich, in wunderschönen Me lodien. Verschmitzt-ironische Seiten wurden herausgehört, ebenso auch Trauer oder Sentimentalität, nicht immer genau deutbar. Trivia les geriet neben Tragisches, Fröhli ches zwischen Larmoyantes, eine zwielichtige Lustigkeit. Marschar tige Stellen erhielten starke Bedeu tung, klangliche Härten lösten sich nicht erwartungsgemäß auf. Nein, das war nicht mehr die Musik sei ner Zeit. Das war zu neu, sehr un gewohnt. Daraus entwickelte sich Ablehnung, Gegnerschaft, aber doch auch Zustimmung bei aufge schlossenen Hörern. Lager bildeten sich rasch. Mahlers Musik wird gern als eine Brücke vom vergangenen zum neu en Jahrhundert angesehen. Sie greift vor, ist aber, trotz aller Mo dernismen, aus den Gewohnheiten des 19. Jahrhunderts entstanden. Dennoch aber ist sie schon für eine neue Zeit bestimmt. Sie konnte während des Lebens ihres Schöp fers nur als Saat aufgehen. Wach sen und reifen durfte sie aber erst viel später als Andere, Nachgebo rene eine so ganz andersartige Musik zu schreiben begonnen hat ten, die Tonalität sich auflöste und alte musikalische Gesetze nicht mehr zu gelten schienen. Da ver suchte man so eigentlich erst zu be greifen, welch großartige Schöp fungen dieser Komponist uns hin terlassen hat. Und doch dauerte es noch viele Jahre - richtig betrachtet erst bis zur Mitte unseres Jahr hunderts - ehe diese Werke sich