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Sächsische Staatszeitung : 03.12.1915
- Erscheinungsdatum
- 1915-12-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480731217-191512034
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480731217-19151203
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480731217-19151203
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Staatszeitung
-
Jahr
1915
-
Monat
1915-12
- Tag 1915-12-03
-
Monat
1915-12
-
Jahr
1915
- Titel
- Sächsische Staatszeitung : 03.12.1915
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ViHen seien geschlossen worden. Nur di« Berliner Börse sei wenigsten» in den letzten Wochen wieder geöffnet worden. Auch in bezug auf den Lebensmittelmarkt, das wichtigste Gebiet während des Krieges, sei das freie Spiel »der Kräfte unterbunden worden. Er brauche nur zu erinnern an die Verordnungen über das gesamte Gebiet des Wirt- schastswesenS. In diesem allen liege durchaus kein Stück Sozialis mus, wie ausgesprochen worden sei. Die Durchführung dieser Verordnungen habe den Gemeinden eine ungeheuere Arbeitslast gebracht. Auch richte er an den Hrn. Finanzminister die Frage, woher im Falle einer längeren Kriegsdauer die Gemeinden die ihnen durch die Kriegsunterstützungen und durch den Krieg über haupt auferlegten Lasten nehmen sollen. So habe die Stadt Leipzig mehr als 23 Mill. M. bis heute ausgegeben, Dresden wohl 12 Mill. M. Fünf Bezirksverbände hätten bis zum 1. Oktober d. I. mehr als 15 Mill. M. ausgegeben. Deshalb sei seine Partei der Auffassung, daß die Regelung der Wieder erstattung dieser Ausgaben an die Gemeinden unbedingt eine der nächsten Aufgaben, wenn nicht des Reichstages, so doch min destens des Landtages sein müsse. Aus der Äußerung des Abg. vr. Seyfert, daß der Arbeiter im höheren Lohn die indirekte Steuer, die er an das Reich leiste, wieder zurückerhielte lLachen bei den Sozialdemokraten), schließe er, Abg. vr. Seyfert habe nicht beobachtet, welche ungeheueren Kämpfe die Arbeiterschaft habe durchführen müssen, um nur einigermaßen die Wirkung der Zölle wieder auszugleichen. Der Redner geht sodann auf die Frage der Kriegsentschädigung ein und verliest im Anschluß hieran einen vom preußischen Wehr- Verein letzthin gefaßten Beschluß, dessen Inhalt sich mit der vorhin ausgesprochenen Auffassung des Abg. vr. Böhme decke. Bei den vor dem Kriege zwischen Deutschland und den feindlichen Ländern, insbesondere Frankreich und England, vorhanden gewesenen Handelsbeziehungen, stehe seine Partei auf dem Standpunkte, daß Deutschland im Interesse seiner Industrie auf den Verkehr mit den feindlichen Ländern auch in Zukunft wieder angewiesen sei. Deshalb sei es die Aufgabe feiner Partei, auf die Verständigung mit den Nationen hinzuwirken. Präsident macht hierauf bekannt, daß der schon vorgetragene Antrag des Vizepräsidenten Fräßdorf über Behandlung der verschiedenen Anträge noch durch folgenden Antrag ergänzt worden sei: „Tic Anträge Castan u. Gen. Drucksache 5, 6, 7, betreffend Teuerungszulagen, Reichs- und Staatssteuer der Finauzdepu- tation zu überweisen." Hierauf erhält das Wort zu einer tatsächlichen per sönlichen Bemerkung Abg. Fleißner (soz.) Er wendet sich gegen die Behauptung des Abg. Brodaus (Fortschr. Bp.), daß die äußerste Linke heute zum erstenmal eine Kritik an der Art der Etatisierung vorgebracht habe. Hierauf wird die Sitzung auf Donnerstag vormittags 10 Uhr vertagt. (Schluß der Sitzung 4 Uhr 27 Min.) II. Kammer. 9. öffentliche Sitzung am 2. Dezember. Präsident vr. Bogel eröffnet die Sitzung um 10 Uhr 11 Min. vormittags. Am Regierungstische: Ihre Exzellenzen die Staats- minister vvr. Vr.-Ing. Beck, Graf Vitzthum v. Eckstädt, v. Seydewitz, vr. Nagel uud Generalleutnant v. Wilsdorf, sowie die Negicrungskommissarc Ministerialdirektoren Ihre Exzellenzen Wirkt. Geh. Räte vr. Schroeder und vr. Noscher, die Geh. Räte Wilsdorf, vr. Wahle, Elterich, vr. Schelcher, vr. Rumpelt, Heiuk, Vr.-Inx. Schmalst, ferner die Geh. Räte Just, vr. Kühn, v. Nostitz, vr. Krüger, vr. Otto, vr. Müller, die Geh. Justizräte vr. Mannsseld, Nitzsche, vr. May, die Geh. Finanzräte vr. Hedrich, vr. Böhme, die Geh. Regierungsräte Stadler, vr. Junck, v. Nostitz-Wallwitz, Vr. Böhme, Thiele, vr. Carlitz und Michel, die Wkrkl. Geh. Kriegsräte Sturm und Walde, die Geh. Schulräte vr. Lange, vr. Giesing und Sieber, Legationsrat Graf Vitzthum v. Eckstädt, Amtshauptmann Vollmer, Regierungsrat vr. Knüpfer, Obcrsinanzrat Friedrich und Regierungsamtmann vr. Venns. Entschuldigt ist Abg. vr. Niethammer wegen Krank heit am Orte. Nach Bortrag der Registrande wird sofort in die Tagesordnung eingetretcn: Fortsetzung der gestrigen Beratungen. Das Wort erhält zunächst Ltaatöminister vvr. Vr.-Iux. Beck (nach den stenographischen Niederschriften): Meine sehr geehrten Herren! Der zweitägige Verlauf der allgemeinen Vorberatung des Staathaushaltscntwurfes hat die Annahme bestätigt, daß sämtliche Reden im Zeichen des Welt krieges stehen und von dort ihre Beleuchtung erfahren würden. In erster Linie hat man mit Recht in Übereinstimmung mit König und Vaterland den unvergleichlichen Heldentaten unserer Truppen die höchste Verehrung bekundet und den unauslöschlichen, nie ver siegenden Dank für ihre Hingebung, ihre Treue, für ihre Tapfer keit und die todesmutige Aufopferung ihres Lebens im Dienste des Vaterlandes gezollt. Demnächst hat man, wie es ja selbst verständlich ist, die großen politischen und wirtschaftlichen Gesichts punkte, von denen wir in dieser Zeit erfüllt sind, in den Vorder grund gestellt, zu meiner großen Freude aber auch während des Weltkrieges den hier immer mit besonderer Wärme verfolgten Kulturaufgaben wiederum das regste Interesse entgegcngcbracht, und, wie es bereits in der Thronrede und in der Rede des Hrn. Finanzministers geschehen ist, auch hier die' allgemeine Genugtuung darüber ausgesprochen, daß auch in diesem ge waltigsten aller Kriege die Pflege der Kulturaufgaben so gut wie keinerlei Einschränkungen in unserem Lande hat zu erfahren brauchen. M. H.! Es ist vielleicht von allgemeinem Interesse, in diesem Zusammenhänge kurz auf folgende Tatsachen hinzuweisen. Bereits bei Beratung des Verwaltungsberichtes der Gcneral- direktion der König!. Sammlungen für Kunst und Wissenschaft ist hier darüber mit Genugtuung gesprochen worden, wie auch in dieser ernsten und gewaltigen Zeit unsere sämtlichen Museen in ihrem Betriebe haben aufrecht erhalten werden können, daß wichtige Sammlungen, wie das Historische Museum, das Münz- kabinett und vor allen Dingen das Grüne Gewölbe nach ihrer zeitgemäßen würdigen Umgestaltung ihrer Benutzung wieder haben übergeben werden können, wie unsere Gemäldegalerie im Kriege sogar eine leider nur vorübergehende, kostbare Bereicherung er fahren hat, und wie vor allen Dingen daS Bern,ehrungSvermögen, das übrigens, einem Wunfche aus dem hohen Hause entsprechend, im Etat einen anderen Ramen erhalten hat, feinen Höchstbcstand von 206 OVO M. auch im neuen Etat beibehalten hat, wie endlich 800 000 M. für die Erbauung der modernen Gemäldegalerie im Etat haben untergebracht werden können. M. H. k Ich darf ferner damn erinnern, daß im Kriegsjahre ganz hervorragende Bauwerke, und zwar die mit nahezu 2 000 000 M. erbaute Taubstummen anstalt zu Leipzig und dann daS Hauptstaatsarchiv, zu dessen Be sichtigung ich die Lohen Kammem demnächst einzuladen mir er lauben werde, in Betrieb haben genommen werden können. Da mit sind zwei sehr bedeutsame Kulturwerke wiederum unserem Lande zugeführt worden. Sie werden »veiter mit Freude hören, daß zu hoffen ist, es werde auch das große vaterländische Unter nehmen der deutschen Bücherei im nächsten Jahre trotz der jetzigen Schwierigkeiten in der Ausführung des Baues seiner segensreichen Bestimmung übergeben werden können. Wenn ich noch daran erinnere, daß für den Neubau der Tierärztlichen Hochschule in Leipzig wiederum der hohe Betrag von 1000 000 M. neben anderen Beträgen für Universitätsbauten im Etat hat eingestellt werden können, daß an der Universität Leipzig eine sehr wichtige zeitgemäße Forderung erfüllt worden ist, nämlich die Errichtung einer Abteilung für Zeitungskunde, daß ferner — allerdings zunächst noch ohne Mitwirkung des Staates — eine Schule für Bibliotheks- und Museumsbeamte begründet worden ist, daß an der Universität drei neue außer ordentliche Professuren errichtet sind und meine im vorigen Landtag gegebene Zusage in Erfüllung gegangen ist, durch Be gründung von vier bedeutsamen ordentlichen Professuren an der Technischen Hochschule diese mehr und mehr zu einem hier hoch geschätzten Sammelpunkte allgemeiner Bildung auszubauen, und daß endlich zur Förderung des Fortbildungsschulwesens im Etat ein höherer Betrag hat eingestellt werden können, so werden Sie daraus erkennen, wie wir auch im Kriegsjahre bemüht gewesen sind, rüstig fortzuschreiten. So hat der Kultusetat, der die Kap. 88 bis 101 umfaßt, nahezu in derselben Höhe eingestellt werden können. Ter verhältnismäßig geringe Unterschied von 731 734 M. bei einem Gesamtetat von etwa 37'^ Mill. M. rund findet seine Begründung lediglich in der Beschränkung des Bauaufwandes und in dem Wegfall der 300000 M., die im vorigen Etat für die Entschädigung der evangelischen Kirche anläßlich der Ver änderungen durch das Kirchensteuergesetz vorzusehen waren. M. H.! Wenn ich diese Ihnen ja zumeist bekannten oder wenigstens aus dem Etat ersichtlichen Tatsachen hier zusammeu- zustellen und vorzutragen mir erlaubt habe, so geschah cs einmal, weil das allgemeine Interesse sich diesen Dingen auch außerhalb des Hauses zuwenden wird, vor allen Dingen aber auch deshalb, um vor dem neidisch und scheel auf unsre geordneten Verhältnisse blickenden feindlichen Auslande hier festzustcllen, daß ein Volk, das trotz der gewaltigsten militärischen und wirtschaftlichen Kraftauspan- nung in diesem größten aller Kriege gegen eine Welt von Feinden in der Lage ist, solche Mittel für seine Kulturaufgaben noch aufzuwenden, nicht an dem von unseren Gegnern gewünschten und darum auch so gern geglaubten Zustande der Kriegsmüdigkeit oder Er schlaffung angekommen ist, sondern, seine hohe Weltmission als erste Kulturmacht der Welt fortgesetzt erkennend, seine Unüber- windlichkcit und den Höhepunkt seiner nationalen Kraft damit bekundet. (Bravo!) M. H.! Ist es aber gelungen, die heim tückischen Angriffe unserer Feinde nicht bloß von unseren Grenzen erfolgreich abzuwehren, sondern überall' nach Nord und Süd, nach Ost und West siegreich vordringend unseren Gegnern die wohl bald bei ihnen dämmernde Überzeugung von der Unüber- windlichkeit Deutschlands beizubriugen, so verdanken wir diese in der Geschichte beispiellosen Erfolge in erster Linie dem ohne Unterschied der Parteien und Konfessionen fest verbundenen Zu sammenhalten unseres in monarchischer Treue um seine Fürsten gescharteu deutschen Volkes, der genialen Führung unseres Heeres und unserer Flotte, der todesmutigen Tapferkeit unserer Truppen, aber nicht zuletzt den sittlich-starken Kräften, die unser Volk zu solchem Heldentum und zum Turchhalten unter freu diger Opferung von Gut und Blut befähigt haben. Worauf aber anders dürfen wir diese glänzende Vorbereitung unseres Volkes auf den gewaltigsten aller Kriege, den cs je zu führen gehabt hat, zurückzuführen? Schon mehrfach haben in diesen Tagen die meisten der Herren Fraktionsredner es aus gesprochen, daß die beiden großen Erziehungsmächte unseres Vol kes, die Kirche uud die Schule, es waren, die es zu dem gegen wärtigen unvergleichlichen Heldentum im Felde und in der Hei mat ertüchtigt haben. Und wenn bisher von: Ministertische aus allen Beamten und allen Arbeitern für die ausgezeichnete, erfolg reiche Mitwirkung an der Erringung des Sieges in der Heimat der Tank ausgesprochen worden ist, so ist es mir als Kultusminister herzliches Bedürfnis, auch der Geistlichkeit und der Lehrerschaft unseres Landes für ihre segensreiche Mitarbeit draußen im Felde und hier im Lande den wärmsten Dank auszusprechen (Bravo! rechts.) und diesen auch auf die großzügige, vorbildliche Organi sation in unseren politischen und Schulgemeinden zu übertragen. Wie Hr. Bizipräsident Opitz neulich bemerkte, daß Reiche nur mit den Kräften erhalten werden, durch die sie begründet sind, so hat auch Hr. Abg. vr. Seyfert gestern den Wunsch ausge sprochen, daß der tiefe, sittlich-religiöse Ernst aus dieser Zeit auch in die Zeit des Friedens hinüber unserem Volke bewahrt werden möge. Ich bekenne mich freudig namens der Regierung zu diesen beiden Kundgebungen. Wir werden, das ist unser felsenfester Glaube, und wir müssen den Sieg an unsere Fahnen fesseln. Tas wird aber nur geschehen, wenn Deutschlands gewaltiger, von der ganzen Welt bewunderter militärischer und wirtschaftlicher Kraftentfaltung auch ferner die sittlich-religiösen KräPe zur Seite bleiben, die unser Volk unter den Stürmen des Kriegsgewitters zu diesem Heldentum und zu dem aufopferungsfreudigcn Durch halten befähigt haben. Wenn dereinst der Geschichtsschreiber die stärksten Wurzeln der Kraft unseres Volkes aufdecken wird, durch die es hierzu ertüchtigt wurde, so wird man den hervorragenden Anteil an diesem Erfolge mit auf die Schulen in allen ihren Gattungen zurückführen (Sehr richtig! bei der Fortschritt lichen Volkspartei), von der Hochschule herunter bis zur einfachen Volksschule, die in Erfüllung ihrer Pflicht und Schuldig keit in jahrzehntelanger, stiller, festgefügter und geordneter Friedens arbeit das gegenwärtige Geschlecht zu dieser Tapferkeit und diesem Heldentum erzogen haben. Dann wird man aber auch der großen Hingabe und erfolg reichen Mithilfe aller Schulen in den Hochschulprofessoren und unserer begeisterten akademischen Jugend, in den Lehrern und Schülern innerhalb der Heimat gedenken, die es bei keiner Ge legenheit haben fehlen lassen, wo es notwendig war, sich in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Als Vorstand der Unterrichtsverwaltung darf ich heute mit besonderer Freude und mit Stolz hier bekunden, daß mir von den höchsten Stellen die ausgezeichnete Bewährung unserer vater ländischen Lehrerschaft im Felde gerühmt worden ist, die in einer Zahl von mehr aks 6000, darunter mehr als 40 Proz. aus der Volksschule, zu den Fahnen geeilt ist und sowohl in der Stellung als Führer wie in der moralischen und vaterländischen Beeinflussung der Truppen im Felde Hervorragendes geleistet und ihre Tapferkeit, das sei geklagt, leider auch schon in einer Zahl von mehr als 750 mit dem Hcldentode besiegelt hat. Meine sehr geehrten Herren! Zur Aufrechterhaltung der Kulturaufgaben im Weltkriege gehört in erster Linie die möglichst unverminderte Erhaltung des Schulbetriebes. Dies ist — das dürfen wir mit freudiger Genugtuung rühmen — sowohl in den Hochschulen als in den höheren Untcrrichtsanstalten und in den Volksschulen nahezu vollständig gelungen; dafür gebührt allen Beteiligten der wärmste Dank. * Die Schwierigkeiten für die Unterrichtsverwaltung waren hierbei außergewöhnlich groß. Sie sah sich vor ganz neue Auf gaben gestellt, deren Bewältigung mit der fortschreitenden Dauer des Weltkrieges natürlich wachsen mußte, und oft waren hierbei die widerstreitcndsten Interessen auszugleichen. In erster Linie handelte es sich um Aufrechterhaltung des Schulbetriebcs in vollem Maße, zuerst im Interesse unserer Zeugend selbst. Lie Unterrichts- Verwaltung mußte sich der hohen Verantwortung vor dem Batcr- lande und vor den im Felde stehenden Bäten, unserer SchuMnbe, bewußt bleiben, die ein Anrecht darauf haben, daß in der Heimat für ihre Heranwachsenden Kinder ebenso erfolgreich gesorgt wird wie sie selbst mit ihrer Brust draußen die Sicherheit des Vaters landes decken. Hierbei hatte die Unterrichtsverwaltung die Wahrnehmung zu machen, daß die Annahme, die großen Eindrücke des Krieges würden überall veredelnd auch auf die Jugenderziehung wirken, leider nicht in diesem Maße in Erfüllung gegangen ist. Tie steigende Kriminalität in der Aburteilung der Jugendlichen hat zu unserem lebhaften Bedauern erwiesen, wie der Krieg auch andere Folgen gezeitigt hat. Hr. Abg. vr. Seyfert wies schon gestern auf die vielfach aufgetretene Verwilderung der Jugend hin, auch aus den Berichten der Bezirksschulinfpektoren ist mir ersichtlich gewesen, wie lebhaft diese Klagen im Lande sind. Tas Kultusministerium hat infolgedessen bereits unter den, 14.-Sep tember eine Gencralverordnung an sämtliche Bezirksschulinspektionen erlassen, in der auf diese sich mehr und mehr breitmachenden Aus wüchse in unserem Heranwachsenden Geschlecht hingewiescn und folgendes bemerkt ist: „Die Ursache dieser bedauerlichen Erscheinungen ist nament lich darin zu suchen, daß viele Familienväter im Felde stehen, und daß deshalb die straffe häusliche Zucht fehlt. Dazu kommt, daß die Kinder infolge der an vielen Orten notwendig ge wordenen Einschränkung des Schulunterrichts viel mehr freie Zeit als sonst haben, die zum Müßiggänge und mancherlei Ver fehlungen verleitet, sowie daß leider auch im Kriege die Schund literatur und der Besuch ungeeigneter Kinovorstellungen ihren unheilvollen Einfluß geltend machen." Ich möchte in Verbindung hiermit auch noch ausdrücklich mit teilen, daß unter dem Einfluß des Krieges unsere Heranwachsende, insbesondere die fortbildungsschulpflichtige Jugend im Lande bis weilen sogar vor Diebstahl und Brandstiftung nicht zurückgescheut ist, die man gewissermaßen als eine Form der Requisition be zeichnet hat. Das ist doch bezeichnend für die Auffassung dieser Kreise, die noch keinen blassen Schimmer davon zu haben scheinen, wie es auch an ihnen ist, sich würdig der großen Opfer der Väter draußen zu erweisen. M. H-! Tas Kultusministerium vertraut darauf, daß unsere Lehrerschaft wie bisher auch in Zukunft diesen Schäden am Körper unseres Volkes die größte Aufmerksamkeit widmen und durch sorg fältigste Erziehung der Jugend besonders jetzt mit dazu beitragen wird, das Heranwachsende Geschlecht als die Zukunft des Vater lands für die kommenden Ereignisse wirksam vorzubereitcn. M. H.! Tann wollte ich noch auf die gestrigen Bemerkungen einzelner Herren Fraktionsrcdner zurückkommen. Ich muß hierbei die Bemerkung an die Spitze stellen, daß ich zu meinem lebhaften Bedauern durch eine unvermeidliche Teilnahme an der Sitzung der Ersten Kammer behindert war, gerade während jener Reden hier anwesend zu sein, daß ich mich deshalb darauf beschränken muß, sie an der Hand der Mitteilungen, die mir darüber gemacht worden sind, zu beantworten. Vorher gestatten Sie mir aber noch etwas anderes nachzuholen. Bei den von mir angedeuteten widerstreitenden Interessen, mit denen die Unterrichtsverwaltung zu kämpfen hatte, kamen zu unserem Gehör auch die Wmffche der Lehrerschaft, die von heißer Sehnsucht erfüllt war, die stille Arbeit in der Schulstube mit dem Felde der Ehre zu vertauschen und an der Seite der übrigen Volksgenossen für das Vaterland mitzukämpfen und zu siegen und, wenn nötig, auch zu sterben. In einem gewissen Wider streit mit diesen Wünschen standen die auf Aufrechterhaltung des Schulbetriebes gerichteten Rücksichten, die zu meiner großen Freude auch in der Lehrerschaft mehr und mehr Anerkennung ge funden haben. Ferner traten die Wünsche von Industrie, Gc» werbe und Landwirtschaft auf, zum Ersätze für vielfach fehlende Arbeitskräfte die fortbildungsschulpflichtige Jugend nutzbar zn machen. Endlich kamen die Klagen der finanziell stark bedrängten Gemeinden zu unserem Gehör. Kurz und gut, in diesem Wider streit der Interessen den richtigen Ausgleich zu finden, war manchmal recht schwer. Ter Hr. Finanzminister hat schon mit Recht darauf hingewiesen, daß die Staatsregicrung durch die Kriegsaufgaben vor sehr verantwortungsvolle Entschließungen gestellt wurde, und daß der Weg oft schmal und beschwer lich >var und nicht überall vollen Beifall gefunden hat. M. H.! Die Regierung nimmt nicht für sich in Anspruch, in allen diesen Fragen allein den Stein der Weisen gefunden zn haben, sie darf aber für sich das Zeugnis beanspruchen, daß sie tagtäglich in ernster Erwägung aller dieser wichtigen Fragen dem Ausgleich der widerstreitenden Interessen zugestrcbt und ihn durch- zusühren versucht hat, eingedenk der gewiß von Ihnen nicht be strittenen hohen Verantwortung, daß die Schule einer der wich tigsten Zweige der öffentlichen Wohlfahrt ist. (Abg. Günther: Sehr richtig!) Nachdem ich das Vergessene hier noch nachgeholt habe, komme ich also zu den einzelnen Bemerkungen der gestrigen Redner. Ter Hr. Abg. vr. Seyfert war es, der zunächst nach allgemeiner Anerkennung der in der Schule geleisteten Arbeit während des Krieges die Meinung ausgesprochen hat, es könnten die Unterrichts- formen noch mehr der Zeit angepaßt werden, und in mehreren Fächern gemeinsame Lehrstunden für verschiedene Klassen statt- finden, Nichtlehrer nicht zum Unterricht, Wohl aber zur Erziehungs arbeit mit herangczogen iverden. M. H.! Diese bereits zu Anfang des Jahres auch in der Presse behandelte Frage hat, soweit ich unterrichtet bin, seitens der Fachmänner die Beurteilung erfahren, daß es nicht erwünscht sei, nichtpädagogisch geschulte Kräfte zum Unterrichte herbeizuziehcn. Ich gedenke insbesondere eines Artikels hierüber im „Leipziger Tageblatte", in dem von fach männischer Seite folgendes ausgesprochen war: „Wer im Ernste glaubt, der Deutsch-Unterricht könne von Schriftstellern, Geschichte von interessierten Männern, Geo graphie von gebildeten Kaufleuten, Naturlehre von Ingenieuren und Handwerkern, Naturkunde von Landwirten und Natur freunden erteilt iverden, kennt nicht die Bolksschularbeit in ihrem innersten Wesen." Tas Ministerium hat sich im allgemeinen ebenfalls auf diesen Standpunkt stellen müssen, da es sich ja nicht darum handeln kann, die Schule nur als Lernschule anzusehen, um die Kinder auch im Kriege mit möglichst vielem Wissen zu versehen, sondern in erster Linie als Erziehungsschule, die gerade in dieser Zeit ganz hervorragenden Aufgaben zu genügen hat. Um aber dem Lehrer mangel abzuhelfen, sind doch Maßnahmen nach der Richtung hin getroffen worden. Das Ministerium hat nicht in Sachsen geprüfte Lehrkräfte und verheiratete Lehrerinnen zum Schuldienst während des Krieges zugelassen. Nach den vorliegenden Berichten haben auch Geistliche zeitweilig Unterricht übernommen; emeritierte Lehrer haben sich zur Verfügung gestellt; Fachlehrern, Hand- arbeits- und Nadelarbcitslehrerinnen sind Lehrfächer, für die sie nicht» geprüft waren, übertragen worden, und Kindergärtnerinnen sind in Unterklassen zur Bes. äftigung der Kleinen eingestellt worden, auch andere ungeprüfte Lehrkräfte, wie Studenten und Studen tinnen, Töchter von Geistlichen und Lehrern, Konservatoristen, Musiker, Maler und Malerinnen haben Verwendung finden müssen. Das Ivar allerdings nicht überall möglich, sondern nur in be schränktem Maße an den großen Schulen, wo sich die erforder- lichen Einrichtungen dafür treffen ließen, und die Hilfskräfte auch durch den Direktor die nötige Anleitung erhalten konnten. Des halb mußte die Entschließung über die Annahme solcher Hilfskräfte zunächst den Schulbehörden überlassen bleiben. Aber die ober behördliche Genehmigung ist in solchen Fällen wohl nirgends ver sagt worden. Zur Ausfüllung erledigter Lehrerstellen hat das Unterrichtsministerium ferner leider dazu greisen müssen, eine große Anzahl, es sind wohl jetzt 230 Seminaristen, als Vikare hinauszugeben. Wenn der Lehrermangel im Laufe des Schul jahres und der längerer Dauer deS Krieges sich noch weiter steigern sollte, wird diese Maßnahme wohl noch weiter fortgesetzt werden müssen.
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