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Gustav Wähler Symphonie Nr. 1 in D-dur sam. Schleppend. Wie ein Naturlaut.“, so hatte er damit keineswegs bloße Tonmalerei oder direkte Imitation von Vogelrufen im Sinne, obwohl er auch diese ausdrücklich verlangt (Takt 30 Soloklarinette: „Der Ruf eines Kuck ucks nachzuahmen.“ Eduard Brunner, der die Symphonie oft unter Rafael Kubelik blies, zählte 58 Kuckucksru fe im 1. Satz). Mahler selbst stellte klar, daß er nie imstande wäre, eine so große Rolle auch die Natur in allen meinen Sachen spielt, sie in irgend welchen Lauten oder Tönen abzuklat schen. Mag es eine Vogelstimme oder welcher Naturklang auch immer sein, der mir zur Anregung gedient hat: ich werde ihn nicht im wirklichen, natur getreuen Ton und Intervall, sondern stets in einer übertragenen, stilisier ten Form bringen, die das Typische des Naturlautes getreuer wiedergibt als sein buchstäblicher Nachhall. Und ein anderes Mal äußerte er, seine Musik sei immer und überall nur Na turlaut. Das läßt die gesamte Schöpf ung als „Natur“ erscheinen, als Fluchtpunkt vor dem unnatürlichen und unruhevollen Getriebe der gro ßen Stadt... Und jeden Sommer zog Mahler mit der Familie und mit Dienstboten aufs Land, an den Atter see, nach Kärnten und endlich in die Höhenluft der Dolomiten bei Tob lach, er verkroch sich geradezu in sei ne Gartenhäuschen, marschierte auch stundenlang bergauf und bergab. Al les, was er komponierte, war buch stäblich von Natur durchtränkt. Der bis in die höchsten Flageolet- klänge ausgehaltene Ton A in den Streichern durch sechs Oktaven hat laut Mahler das Schimmern und Flim mern der Luft zu suggerieren, das Er wachen der Natur darzustellen. In die se statisch gleißende Unbeweglichkeit hinein stoßen die Signale der Klari netten und Trompeten; ohne Zweifel von Jagdlauten inspiriert, doch eben, schon durch ihre eilige Verdichtung, überhöht zur Verkündigung dessen, was die Natur im Menschen spiegelt. Zudem öffnet Trompetenklang „aus sehr weiter Ferne“ den Raum ins Ma gische. Einen solchen Symphoniebe ginn hatte es nie zuvor auch nicht an nähernd gegeben: eine leuchtende Klangfläche, durchsetzt von schein bar unzusammenhängenden Partikeln, ohne jeden Ansatz, ein konstruktives Motiv oder gar ein Thema entstehen zu lassen. Nach einer verhalten auf steigenden Linie öffnet sich - immer hin erst nach 62 Takten - endlich der Kuckucksruf zum Gesellen-Thema, das „immer sehr gemächlich“ und auch „sehr zart“ die Musik ins Flie ßen bringt. „Frühling ohne Ende“ hat Mahler den Satz ursprünglich be zeichnen wollen, der uns auf eine Wanderung mitnimmt, auf der wir tö nende Natur in vielerlei Erscheinung en erleben und schließlich von einem energischen Schluß entlassen wer den, der in seiner bekräftigenden Forschheit nicht recht überzeugen will. Danach sei der 3. Satz beleuchtet als perfektes Zeugnis für Mahlers ge spaltene Natur, die er in seinem Ju gendbrief so erschreckend dargestellt hatte. Über den Quartschlägen der ge dämpften Pauken beginnt ein einsa mer Kontrabass „in gequält hoher La-