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SächsischeSlaalszeilung Staatsan-eiger für den Zreiftaat Sachfen Erscheint Werktag« nachmittag» mit dem Datum de» Erscheinungstage». Bezugspreis: Monatlich 3 Marl Einzelne Nummern 1k Pf. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 21L9K — Schriftleitung Nr. 1457«. Postscheckkonto Dresden Nr 24S6. — Stadtgirolonto Dresden Nr 140. Ankündigungen: Die 32 arm breite Brundzeilr ober deren Raum 30 Pf-, die 66 ww breite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 60 Pf., unter Ein« gesandt 20 Pf Ermäßigung aus GeschästSanzeigen, Familiennachrichten a. Stellen» gesuche. — Schluß der Annahme vormittags 10 Uhr. Zeitweise Nebenblätter: Landtag».Beilage, veikauj-listr von Holzpflanzen aus den StaatSsorstrevierem Lerantwortlich für die Redaktion: Hauptschristleiter Bernhard Jolle» in Dresden. Nr. 272 Dresden, Sonnabend, 22. November 1924 Lie Differenzen in der sächsische, sozialdemokratischen Landtags- sraktion. Für di« Kraktionsmehrtzkit. Am Mittwoch vrrsammelten sich in den Annc«- ,»len in Dreöden über 1»v« Genossinnen und Genossen von «roß-Dre-de», «m zu dem Bor« gehe« der sächsischen Bezirks- und Landesin stanzen gegen die 2» Mit glieder der Mehrheit der LandtagS- fraktion Stellung zu nehmen. Rach einer sachlichen Darstellung der Vorgänge im Land tag und in der sächsischen Partei fand eine rege Anss-rachc statt. Folgende Entschließung wurde gegen acht Stimmen angenommen: „Die am 1b. November abgehaltene, vou mehr als 100« langjährig organisierten und in der Arbeiterbewegung erprobten Genos sinnen und «enoise» von Groß-Dresden be suchte Versammlung ist überzeug«, daß dem sächsische» Proletariat durch die Ablehnung der Landtagsauslö sung besser gedient Worten ist, als es durch die Zustimmung zur Auflösung ge schehen wär.. Sie spricht der Frak- tions Mehrheit und den,Genossen in der Landesregierung ihr Ver trauen ans und versichertsie ihrer Solidarität. Tie Versammelten vermögen in der Hal- tnug derFraktionsmehrheit keinen Disziplin- brnch zu erkennen. Die 2S ^»be« lediglich tie Empfehlung des ParteivorstandeS, die höchste Instanz, befolgt. Richt ihr, sondern der Mehrheit der Fraktion, die sich über diese Empfehlung htnwegsetzie, könnte der Vorwurf drI Tifziplinbrnchs gemacht werden. Die systematische Unterdrückung einer anderen Meinung, die Tatsache» daß Abgiorlmete der Fraktionsmehrheit am Reden in Versammlungen gehindert werden und daß die Parteipresse über die Ver hältnisse durchaus einseitig berichte«, zwingt die Versammelten zu einmütigem Protest. Die Versammelte», getragen von ihrem Solidarilätsbekenntnis, werden alles daran setzen, die Genossin« n uud Genossen aufzu- klären und dahin zu wirken, daß der Knts derer immer größer wird, die die für dir Partei und das arbeitende Volk schädliche Eatastrophenpolitik bekämpfe«. Im gegenwärtige» Wahlkampfe werden die versammelte« ihre Pflicht als Sozial demokraten mit alle« Gräfte« erfüllen. Sie lehnen es insbesondere ad, einen Ausschluß der 23 von Wahlreferaten mit einer Richtbeteiligung an der Wahlarbeit zu beantworten. De»,, höher als alle persönliche« Differenzen steht ihnen der Kampf für den Sozialismus uud die Demokratie, der Kampf für das Wohl und die Zukunft der arbeitenden Klaffen." Tin- ähnliche Entschließung wurde bereits in einer au 14. d. M. im Bürger- Kasino in Dresden abgehalienen, von 200 Ge- nassen besuchten Ve>sammlnng angenommen. Auch die Rossweiner Sozialdemokraten stehen hinter der Fraktionsmehrheit. Am Sonnabend, den 15. Rov.mber, sand in Roßwein eine von 15« Genossen besuchte Partei- Versammlung statt, in der die Genossen Denn hardt-Leipzig und Slsner-Dresden über die Differenzen in der sächsischen Landtagsfraktion sprachen. Rach ausgiebiger Diskussion wurde eine Resolution, die sich gegen die FraltionSmehrheit richtete, gegen 11 Stimme« abgelehnt. Wird der Sudan eine rein enfllische Kolonie? Kairo, 21. November. Ter Tod des englischen Höchst- kommandiereuden in Ägypten, der zu- gleich Generalgouverneur des Sudan war, hat in London, mehr aber noch in Kairo, höchste Be- unruhignna ausaelöst. Ter enalischen Negierung ist seit geraumer Zeit bekannt gewesen, daß gegen den General Stack aus dem Lager der extremen Nation ältst eil ein Attentat geplant war. Auf dies: Warnung tst darum lein besonveres Gewicht gelegt worven, weil General Stack persönlich in Ägypten wie im Sudan bei den Eingeborenen gute Sympathien genoß. Er ist seit mehr als 2b Jahren in Ätypten tätig, und seinem kon zilianten Wesen ist es vielleicht in erster Linie zu danken gewesen, daß größer» und ernstere Rei bungen in Agy ten vermieden wurden. Man darf deshalb annehmen, daß nicht nur das Bedauem des ägyptischen Königs, sondern auch des Premier ministers Zaglul Pascha durchaus aufrichtig ist. Die TepMiertenkammer, die demnächst zusammen- tritt, wird wahrscheinlich in gleicher Weise ihr Bedauern und ihre Entrüstung über den Mord aussprechen. Damit ist freilich die Tat nicht aus dem Wege geräumt. Die englnche Regierung ha« sofort einen größeren Teil der britischen Mittelmeerflotte zur Demonstration nach Alexandrien beorkert. ES ist noch nickt ersichtlich, welche weiteren Schritte sie unter nehmen will. Immerhin rechnet mau dami«, daß wenigstens die englische Besatzung verstärkt wird und künftig im Sudan nicht mehr ägyp tische Truppen verwendet werden. Anmeldung einer Revision möglich. Berlin, 21. November. Nach Presjemeldungen von zuständiger Stelle hat die deutsche Regierung in der festen llber- zeugung, daß die völlige Unsckulo des Generals v. Nathusius sich Herausstellen werde, diesen in der Durchführung seines Prozesses in jeder Weise unter- stützt. Ihre Bemühungen sind jedoch durch die überstürzte Ansetzung des Verhand lungstermins vereitelt worden, der es un- möglich machte, in der kurzen Zeit das nötige Entlastungsmaterial und weitere Entlastungszeugen heranzubringen. Die Regierung wird alles tun, was in ihren Kräften teht, um die Sache im Interesse des Generals ind der deutschen Ehre weiter zu betreiben. In der unzulässigen Beichränkung der Verteidigung liegt ein Formfehler» der die Anmeldung einer Revision ermöglicht. In Frankreich werden die Gesinnungs- reundeder,, Kreuzzeitung" deren Geschrei nach Repressalien mit Freuden aufnehmen und gegen die Regierung Herriot benutzen. So erleben wir also wieder einmal, daß diejenigen, die dns Nationalbewußtsein in Erbpacht genommen haben und sich heute entrüsten über den „Fall Nathusius", dem greisen General nicht dienen, onvern seine Interessen nur schädigen. Es ist ganz selbstverständlich, daß die Regierung alles tun muß, damit General von Nathusius schnell wieder in Frei- heit gesetzt wird. Ja, das ist so sclbstoer- ländlich, daß es sich eigentlich überhaupt erübrigt, nne derartige Forderung aufzustellen. Der frühere General ist zu Unrecht verurteilt, und dieses Unrecht muß so schnell wie möglich wieder gut- gemacht werden. Daran sind wir und daran ist n gleichem Maße auch die französische Regierung nteressiert. Sie will die Verständigung, und gerade deshalb muß sie sich klar darüber sein, daß )iese Verständigung nur möglich ist, wenn sie auch von Deutschland aus in vollem Ernste und in e«ster Überzeugung betrieben wird. Wie aber soll üc nnS diese Möglichkeit bestehen, wenn den stevauchehelden von der Gegenseite aus immer wieder neue« Material zur Auspeitschung «er Leidenschaften unsere» Volkes ge- geben wird, wenn man der zusammenbrechenden steattion ausgerechnet m der jetzigen Zeit neue Krücken baut? Wir wissen wohl, daß nicht die ranzösische Regierung für da« Urteil verantwort- ich ist und der Spruch de» Gerichte» nicht für ie, sondern für die Personen eine Schande bleibt, >ie e< gesprochen haben. Aber darauf kommt e» im vorliegenden Falle nicht an. Der Unwille übe: den Unfug von Lille richtet sich nicht gegen die Unfugstifter, er wendet sich gegen Ter Sudan steht unter gemeinjamer englisch- ägyptischer Verwaltung. Tas kommt auch in der Zusammensetzung der Truppen im Suvan zum Ausdruck. Wenn künftig dort unten ägyptische Truppen nicht mehr zugelassen werden, so würde das formell die machtpolitische Abtren nung de» reichen Gebietes am oberen Nil von Ägypten bedeuten. Zaglul Pascha hat bekannilich jüngst in London verhandel». Tie wichtigst- der von ihm vertretenen Forderungen war dabei, daß England den Sudan als ägyptische Provinz an- erkennt. Er hat damit keinen Erfolg gehabt. Ter Sudan blieb englisch-äghptisches Kondominium. Ter Erfolg des Attentats schemt nun der zu werden, daß eine Änderung dieses Zustandes nicht im Fnteress: Ägyptens, sondern im Interesse Englands eintrilt. DaS kommt auch dadurch zum Ausb uck, daß England in Zukunft den Posten des Gouverneurs des Sudan nicht mehr mit dem des englischen Ober befehlshabers in Ägypten verbinden will. Der Sudan ist also auf bestem Wege, rein englische Kolonie -u werden. London, 21. Novemb-r. Ein Mitglied des Kabinetts äußerte heute, saß, obgleich die ägyptische Regierung sür das Attentat aus Stack nicht verantwortlich sei, sie Herrio: und ferne gesamte Politik Insofern ist er besoirders schädlich, denn — so widerünnig auch der Vergleich ist — den Spruch des französischen Militärgerichts benutzt die deutsche Reaktion jetzt, um die Verständigungspolitik über haupt lächerlich zu mrchen Was kann nun geschehen? Inzwischen hat General Nathusius Revision eingelegt. Ob sie eine Änderung des Urteils bring», bleibt vorläufig ungewiß. Aber selbst den Fall gesetzt, cast ein zweites fran ösisches Gericht das Unrecht von Lille bestätigen würde. Geschieht das, dann muß die französische Regierung, sobald das Urteil rechts- kräftig geworden ist, die Straf; auf dem Gnadenwege erlassen. Sie darf nicht den geringsten Zweifel darübe: lassen, daß sie perwn- lich den Frieden will und die Verfolgung so- genannter Kriegsverbrecher mitten im Frieden als einen Unfug b-traltet. Nur jo kann das mora- lisch« Minus, das durch den Liller Urteilsjpruch auf Kosten des Ansehens der französischen Regie- runz entstanden ist, wenigsten? zum Teil wieder gutaemacht werden. * Die Stimme der Vernunft. Paris, 21. November. Die „äre Nouvelle" schreibt über da? Liller Urteil: Eine Opportunitätsfrage erhebt sich unächst: Ist es nützlich, «ach mehr al« sechs Jahre« »ach der Unterjeich«u«g deS Waffe«- stillstandeS de» alte«Haß wieder z« er wecken und die Feindschaft aufzu- stacheln, die man beruhigen, wc«« nicht er sticken müßt«? Nnd besonder: in kem Aug««- blick, in dem i« Deutschland eine anßerordentlich lebhafte «gitatio» herrscht, wo fi h der Kampf nm die ReichStagSwahl abipitlt, mit dem Einsatz: «ntweder reaktionäre nnd «atto- natijtifche Mehrheit, oder ein demokratischer Vlock? In Tentjchland «erde« die Rotionalistr» »ad Militarist«» nicht z-ger«, di«j« »erjpätkt« Vers»lg««g anszubtute», «« d«n,«rma»isch«n Et,a«vini-mns anznfkntr« nnd z» »«rsnch«», in da» Parlament wi«d«r di« Schützling« d«» Saiftk» nnd die trrnc« Freunde LudradorffS z« entfrndt«. Aber diese politische Seite erscheint uns nur nebensächlich. Sin viel schwerere» Problem erhebt sich: Inwieweit kann ein Mann, sei es Nathusius oder ein anderer General, ein Offizier oder ein einfacher Soldat, sür die Abscheulichkeiten oerantwortltch gemacht werden, die im Kriege begangen worden snd? Welch ein Hohn ist e» in Wahrheit, sich an diese prt- orten Handlungen zu halte», welche, mögen sie noch so schrecklich und barbansch sein, darum nicht weniger i« da» blutige und gigantische LhaoS ne» Weltkriege» getaucht ünd, der sie auck> ent- stehen ließ. doch moralisch die Folgen zu tragen habe. Was darunter zu verstehen ist, erkenn' man daraus, daß der Minister von sich aus hinzu fügte, die Regierung habe aber nicht dt« Ab sicht» das Attentat als Borwand sür die Annexion des Sudan zu benützen. DaS Genfer Protokoll und die Sicherheitssrage. Bon v« Haus Wehberg. Man darf nicht vergessen, daß das Gensel Protokoll, wenn es in Kraft tritt, zwar die Herr schaft des Friedens grundsätzlich verankert, nicht aber dem Prinzip der Gerechtigkeit zum Tury- bruch verhilft! Tie Friedensverträge sind vor läufig gleichsam unantastbar. Deutschland hat lein Forum» vor dem es auf Revision klagen kann. Daß ihm z. B. große Gebiet- ohne Volksabstim mung entrissen und seme Kolonien geraubt wur den, kann es nicht im Wege Rechten? zur Sprache bringen. DaS Problem der Selbstbestim mung der Völker ist ungeregelt. Tie großen wirtsckaftlrchen Fragen sind weit von ihrer Lömng entfernt, obgleich es höchste Annertennung findet, daß in Genf neuerving» mehrere Redner die Probleme ver Rohstoff-erieilung, der ltbervölk?rung und Auswanderung aufs Tapet gbrackt haben. Wenn man auch auf der fünften Bunsesoersamm- lung, auf schwedischen Antrag, beschlossen ha», nunmehr mit der planmäßigen Kodifikation deS internationalen Rechtes zu beginnen, so werden doch viele Kämpfe zu bestehen sein, bis nicht nur der Friede, wildern auch die Gerecktirk-it der Leitgedanke de? internationalen Zusammenlebens geworden ist. Solange dies nicht der Fai ist, wird immer die Gefahr bestehen, daß en Volk, das sich auf friedlichem Wege sein Recht nicht zu schaffen ver mag und in einem Schiedsverfahren, das ja bei den schwersten Problemen keine Rechisentscheivuna, sondern nur einen Ausgleich der Jniereisen zu geben vermag, unterlegen ist, sich sein Recht vom Himmel holt. Aus diesem Grunde wird der Völker bund, nötigenfalls mit militärischer Gewalt, gegen den Rechtsbrecher rorgeden müssen. Das ver langt die Sicherheit der Staaten, die ich treu an die Vorschrift.n der Satzung halten. Nun ist zuzuzebrn, daß eine mür arische Zwanz-erekution ihre Gefahren hat. Es ist an sich denkbar, daß eines Tages de: Völkerburd über dem Versuche, gegen eine Großmacht mili- täiische Sankttonen anzuwenden, zusa nmenftürze« könnte. Es ist auch die Möglichkeit nicht ab,u- streiten, daß die Sanktionen gegen kleinere Mächte leichter ergriffen werden als gegen große Staaien, die ja letzten Endes, die Hauptlräg-r der Sre- kutionrmacht sein weiden. Es ist nun daS Ergebnis politischer Einsist, ob man die Gefahren oder die Vorteile einer militärischen Exekution größer einjchätzen will. Wir sind der Meinung, daß die Schaffung einer Exekution: instanz eine große Chance bietet, den Völkerbund in jeder Hin ichl auszubauen, während de: Vec icht auf sie den Völkerbund von vorn herein machtlos macht und das Vertrauen vieler Staaken vernichtet, auf deren Mitwirkung der Bund angewiesen ist. Man vergesse vor allem auch nicht, wie stark di; militärischen Sonderbündnisse ausgebaut würden, wenn die international; Exekution des Bundes den Mitgliedern keinen Ersatz für die Sicherheit ihrer Existenz gewährte. Dabei leugnen wir aber die Gefahren der Exekution in keiner Weise. Weil wir sie zu geben, wollen wir unser Bestes tun, um diese Gefahren nach Möglichkeit zu mildern. ES muß z. B.. noch viel mehr als bisher, dafür Sorge getragen werden, daß vor einer militärischen Exe kution die stärksten Anstrengungen zu einer fried- lickien Lösung gemaüt werden. Wie man früher versuchte, zvischen der Entstehung eines Kon fliktes und dem Kriegsausbruch ein sprtium 6e- Ubenmcki einzuschiebrn, so muß in Zukunft zwischen dem Einmarsch« eines Staates und der militärischen Erekutwn «ine Frist gelegt werden, die Gelegenheit bietet, alle moralischen und öko nomischen Mittel 'in stärkstem Maß- gegen den Rechtsbrecher gellend zu machen, bevor man mili tärisch eingreift. Aber heute ist das au» vsycho- logische« Gründen schwer möglich, Die Staate« wollen fick! nicht mit einer Anwartschaft a»k die Das moralische Minus vou Lille.