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Sächsisch eStMszeüung Staatsaryeiger für Erscheint Werktag» nachmittag» mit dem Datum de» Erschrtnung»tage». BezugSpret»: Monatlich 3 Mari Einzelne Nummern 1b Pf. Fernsprecher: Geschäft»stelle Nr. 2129b — Schriftleitung Nr. 14K74. Postscheckkonto Dre»dem Nr. 2486. — Stadtgirokonto Dre-den Nr. 140. den Zreiftaat Sachfen Ankündigungen: Die 32 ww breite Grundzeile oder deren Raum 30 Pf. die 66 ww breit« Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 60 Pf., unter Ein- gesandt 90 Pf. Ermäßigung auf GeschäftSanzeigen. Familiennachrichten n. Stellen gesuche. — Schluß der Annahme vormittag» 10 Uhr. Zeitweise Nebenblätter: Landtag»-Beilage, BcrkaufSliste van Holzpflanzen aus den StaatSforstrevieren. verantwortlich für die Redaktion: Hauvtschristleiter Bernhard Jolle» in Dresden. Nr. 185! Dresden. Montag, 11. August 1924 Jünf Jahre Weimar. Zum Versaffungstag der deutschen Republik. Gebt der Republik Macht! Von Carl v. VMetzltz. Vmfassungssiagen sind, nach dem berühmten Woite Lassalles, Machtsragen. Tos Recht des Staates wiro festgelegt durch die Macht. Die Verfassung von Weimar ist der sichtbare äußere Ausdruck der durch den Zusammenbruch der Monarchie veränderten Verhältnisse. vor b Jahien, alr sie entstand, erschien sie fast als Reaktion, wenigstens als ernüchternder Ruckublaz auf die hochgespannten Hoffnungen, erweckt durch die Revolution. Damals hieß es noch nicht: Monarchie oder Republik? — Sondern: Demo kratische Republik ooer Sowjets? Viele Träger der Revolution empfanden das Weik von Weimar als verrat. Im Laufe von wenigen Jahren hat die Ent wicklung die Fragestellung gründlich verändert. Konnte 1919 noch die neue Verfassung wie eine Eintagsfliege erscheinen, nebensächlich neben den großen um Deutschland kämpfenden Kräften, lo ist sie sei dem in den Mittelpunkt gerückt. Sie ist das Palladium der Republikaner gen orven und der Gegenstand wütendster Angriffe seitens der Reaktion. Sie it wirklich die große und einzige Urkunde der Republik geworden, und mag diese selbst in den Streitigkeiten des TanoS bedauer licherweise oft genug ins Hintertreffen geraten und an Boden mehr verlieren als ge winnen: es bleibt die mächtige Tatsache, daß in dem Prozeß Monarchie gegen Re publik bereits eine Urteil:aueferliguug rorliegt, und daß niemand wei", wer eigentlich d e Re Visionsinstanz ameben soll. Ten Mona chulen bleibt nur der gefährliche Umweg über die Ge walt. Tie deutsche Republik rst keine historische Improvisation mehr, sondern sie steht aus einrm RschtLboden. Unter solchen Gesichtspunkten schlumpst auch die Frage etwas zusammen, ob unsere Verfassung eine rd ale Schöpfung ist oder nickt. Nein, sie ist es ebensowenig, wie eine der anderen großen Konstitutionen der Welt. Sie hat, als Kom- promißprodukt, als Querschnitt durch di: Mei nungen vieler ihre bedenklichen Schwächen und Lücken. Tie Formulierung der Grundrechte z.B. ist schwunglos und gag, die Frage des Einheits staates ungelöst in eine Klausel gedrängt, während der unselige Paragraph 48 für Mißbräuche Tür und Tor offen läßt. So könnte man vieles, vieles aufzählen. Aber ausschlaggebend bleibt doch: nicht darauf kommt es an, wie ein: Veifassui g ist, sondern wie man sie anwendet. Und mag die Weimarer Verfassung tausendmal bruchstückariig.'n Charakter tragen, si: hat sich noch immer größer erwiesen, als die Menschen, die mit ihr Politik treiben. Hier aber berühren wir den wunden Punkt. Es ist schmerzhait, aber es muß gesagt werden Doppelte Notwendigkeit, eS zu -sagen, laut und deutlich, neben den Paradereoen des heutigen Tages. Die Weimarer Scköpfung fleht isoliert von den Menschen, die, durch Gesinnung und Amt, zu einem invigsten Konnex ver- pflicktet sein müßten. Das Bekenntnis bleibt ein Lippenbekenntnis, der Schutz der Re publik wird zu einer billigen dekorativen Floskel, der lebendige Zusammenhang fehlt. Der naiür- liche Näyiboden, aus dem all: Republikaner ihre Kräfte ziehen müssen, wild zum bequemen Boden der Tatsachen. Da» ist der Boden, auf dem die Republik verdorrt. Das ist die A mosphä e, in der man Stück für Stück geopfert hat, ohne zu ahnen, w:e weit man - eigentlich zii'ückgekommen war. Der 11. August soll nicht der Aestiag der Ho noratioren sein, er soll d:r vorwärts drängenden Jugend Gelegenheit geben, ihre Meinung zu bekunden. Noch steht di« Republik mitten im Kampf, noch kann sie e» sich nicht erlauben, kon servativ zu sein. Sie darf nicht satt werden, ehe sie llark geworben ist. Die Verfassung ist Recht geworden. Gebt zu dem Recht die MachtI O Feinde der Verfassung. Bon vr. d. e. Hrhr. v. Schönaich, Generalmajor a. D. Wrr die Verfassung stützen will, muß zunächst prüfen, aus welchem Grunde die Gegurr sie stürzen wollen, und welche Mittel sie Vorau?- sichtlich dazu anwcndrn weiden. Gegner ver Verfassung sind die Parteien der äußersten Rechten und der äußerten Linien. Dabei ist die Ab grenzung nicht gan; feststehend. Die Kommunisten wollen die Verfassung be seitigen, weil sie sie für die Schützen» d-r P i- vatwirtjchafl halten. Sie glauben, daß die großen Wirtschasisgruppen heute so stark seien, daß ihre Macht nur mit Gewalt gebrochen werden könne. Dieser Gewalt gegenüber wird auch der Ver- sassungsstaat jede: verfassungsmäßige Mittel ge- brauchen dürfen. Sckwi riger liegt die präge bei Der Geburtstag der republikanischen Verfassung Deutschlands ward nie in festesfrohcn, sorgenfreien Zeiten begangen. Als sie, im Jahre 1919, ge schaffen wurde, da umdüst:rte vas Versailler Friedens- dikiat di: Helle Freude darüber, daß eS endlich ge lungen war, eine gemeinsame Grundlage zur Weiterarbeit am jungen Werl der Republik zu finden. Ein Jahr späier dämpften die Bedingungen von Spa und inneie Zuckungen den Festesjubel, 1921 mahnten Londoner lUtimatum und „Sank tionen" an den Ernst der Zeit, 1922 m schte sich die gerechte Empörung über den hinterhältigen, feigen Mord an Rah-nau in die Festesstimmung. Tie Verfassungsfcier 1923 endli t, siel in die Zeit der tief ten inneren Not und des stärksten außen politischen Druckes. Mit Riesenschritten gingen die Reste unserer Währung bergab, und vor den Lebens- miitetläden standen Hunderte hungriger Frauen und Männer, um schnell noch für die entwerteten Geldscheine etwas von den so selten gewordenen Leben mitteln zu erhaschen. . . . Ein wenig freundlicher zeigt sich in diesem Jahre die Wirtschaftslage unseres Volkes. Der versuch einer festen Währung hat den Lebens- miticlmarkt belebt, die Preise sind leichter zu er- schwingen 'wie im Vorjahr. Eine prächtige Ernte verspricht ein: weitere Linderung der Notlage. Und doch will auch in diesem Jahre ungeteilie Festesfreude nicht aufkommen. Vertreter der deut- schen Regierung sind am Werke, mit den Bevoll- mächtigten der Interalliierten das große Problem der Reparationen, der Befriedung Europas zum Abs!luß zu bringen. Das ist eine Rlesenaufgabe, und die Worte des alten Frundsberg: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang" wären am 4. August die passendsten Abschiedsworte für den Reichssinanzmimster Luther sovohl wie für den Reichskanzler und den Außenminister gewesen. Die Verfassung eines Volkes ist nur der Rahmen seines staatlichen Lebens, den eS mit lebendigem Inhalt füllen soll. Die Artikel einer geschriebenen Verfassung können noch so vortreff, lich sein — hat ein Volk nicht die Kraft, sie in die Tat nmzusetzcn, dann bleiben sie bestenfalls Trost pillen für eine entferntere Zukunft. Unsere Ver fassung ist zum Teil derartige Zukunftshoff- iiung, nickt Gogenwarlserfällung. Da- sollen wir gerade heute eingcstehcn, gerade heule allen Freunden, aber noch deutlicher unseren ehemaligen Gegnern sagen. Ein wirtschaftlich geknebel tes Deutschland kann nicht zu einem wirk lichen politischen Freistaat werde». Solange ven veifasj-ngegegnern Ver Rechten. Tag die Beifassung grundsätzlich auf dem Boden der Privatwirtschaft steh', ist ihnrn ganz recht; sie hassen die Verfassung nur, weil sie mit der Vormacht der alton Oberschicht brich« Diese ih e alte Machtstellung glarben si: nur in einer Monarchie wiedcrerlangen zu können. Meinungsverschiedenheit besteht b:i ihnen nur da über, ob die Verfassung geralisam zu stür-en sei oder durch allmählicken Stimmenfang. Dies.n Fang versuchen sie dadurch zu machen, daß sie alle Nöte des verlorenen Krieges der jetzigen Republik in die Schuh: schieb.'n. Jept quält si: nun der Ge danke. es könnie der demokratischen Regierung gelingen, in London zu einem annehmbaien Abkommen zu gelangen, ohne daß sie selbst dabei mitgewirkt haben. Dadurch wäre, mit einem Schlage, ihre gan e bisherige .'irb it in Frage ge- stellt. So erklärt es sich, daß die Radikalin-kis unter ihnen jedesmal zu putschen versuchen, wenn die Möglichk.it eines aufeupolit schen Erfol.es auflaucht. Daß solcke Putschversuche aber gerade di: schwachen Hoffnung-keime töten, das stört die Demagogen, die nur an dis eigene M >cht denken, nicht im mindesten. Nachdem die Rechtsparteien wichtige deutsche Gebietsteile von interalliierten Militärs besetzt sind, die sich das Recht nehmen, eigene Verordnungen zu erlassen, selbst Reckt zu sprecken, geht nicht alle Staatsgewalt in deutschen Landen vom deutschen Volke aus. Nichts könnte die vcifassungefcier dieses Jahres besser krönen, als eine Botschaft aus London, daß in naher Zukunft Tcutschlands Wirischafl wieder frei wird, und daß wir im Westen wieder auf freiem Grunde mit freiem Volk stehen werden. Ter englische Premierminister Ramsay Mac Donald hat vor einigen Monaten durckaus zu- treffend darauf hingewiesen, daß die Politik der sogenannten Siegerstaatcn nicht gan', unschuldig an der Zurückdrängung der demokratischen Kräfte in Teutsckland sei. Zieht die Londoner Konferenz aus dieser Eikenntnis die rchiigen Schlußfolge rungen, dann kann manckcr Fehler der letzten Jahre auch auf diesem Gebieie wieder gutgemacht werden. Wn aber wollen, trotz cllem> Ernst der Zeit, trotz allen Mängeln des Werkes, die Freude an seiner Errichtung uns nickt vergällen lassen. Die Verfassung ist das Fondamen:, auf dem wir — allen Hindernissen und Gefahren zum Trotz — einmal den stolzen Bau erneS freien und fried liebenden Deutschland; errichten wollen. Sie ist das Band, das alle in gemeinsamer Arbeit umschlingt, die guten Willens sind, an diesem Ziele mitruarbetten. Ter 11. August 1923 wnr gewiß kein Freudcntag, aber wer drei Tage später, am 14. August, nach dem Sturze ves SabinetiS Cuno die neue Regier» ngsbank sah, dem fiel der Forlschntt ver letzten Jahre in die Augen: Neben Stresemann — Hilferding, Repräsenianten von Parteien, die im Jahre 1919 das verfassung-wer! von Weimar lebhaft bekämpft halten. Nock ein paar Jahre Gemeinschaftsarbeit, und niemand wrrv an seinen Grundmauern ernstlich mehr rütteln wollen. Verfassungen sind nickt Selbstzweck. Ihr Rahmen kann weiter gezogen, ihre Bestimmungen können immer mehr den Erfordernissen der Freiheit und dem ZLohl dc» Volkes angepaßt werden. Gutes erhalten, Veraltetes durch Besseres, durch Reue» zu ersetzen, — so wollen wir die Verfassung feiern tm Sinne Uhland», des Verfassungskämp erS: Schaffest fort am guten Werke Mil Besonnenheit und Stärke! (Nr. 19 der von Parvus heraus- gegebenen Wochenschrift »Die Glocke'.) aber durch gerissenen Stimmenfang einmal zu reckt ansehnl cher Stärk: geschwouen sind, müssen gerade die Demokraten dirsem Zustand Rechnung tragen. So ist der Gedanke en standen, die Recktspannen in die Regierung zu nehmen. Die Weigerung der anderen Pa teien, diesen Gedanken zur Tat werden m lassen, wird vielleicht für die Puischlüsternen ein neuer Ansporn sein. Demgegenüber kommt es, ge ade in solchen außen politisch gespannten Zeilen, darauf an, da-, alle diejenigen, die in der Verfassung die einzige Sicherheit sehen, sich wie eine stäke Mauer vor sie stellen. In diks-r Hinsicht hatten di: republikanischen Parteien bisher viel versäum». Diese Versäumnis ist jetzt, durch Schaffung der Reichs- banners Schwarz-Rot-Gold, emgeholt worden. Tie manchmal au gespiockene Befürchtung, es werde nun erst recht zu inneren Unruhen kommen, teile ich nickt. Ten Putschisten war, durch die Schwäche der Demokratie, einfach der Kamm geschwollen; so wie sie sehen, daß die Re publik nickt die Absicht hat, sich selbst kampflos aufiugebrn, dann weiden sie es sich dreimal über leg n, ehe sie irgendwelche große Torheiten mat-en. Der veifassunzstag möge alle Repu blikaner auf dem Posten finden! * Bon Potsdam nach Weimar. Von Mar Atler. Die Verfassung der Deutschen Republik ist im Zeichen Weimars geboren. Es waren gewiß nur Zweckmäßigkeitsgründe, die damals, vor fünf Jahren, der deutschen Re- gierung nahe^elegt Hanen, als Tagungsort für die erste Nationolvettammlung Weimar zu be stimmen. Rückväriszewandte LileraturromantE spielte dabei sicherlich leine Rolle. Man halte nickt di.- Absicht, den Berichterstattern ihr Ge schäft zu erleichtern, die nun l diglich in den Sckatz ihrer Tertra Erinnerungen zu greifen , braut ten, um. mit weuausholender Geste, zu perorieren: „An der geweihten Staue, wo die Genen des demshrn Klassi ismus . . .' Nen, d s war nich' das bestimmen:« Motiv. Sond.rn di: Väter der Idee über egten ganz nächtern, daß Berlin zu jenem Zeitpunkt ein e^was zu unruhiger Boden für eine Versamm- lunz war, die dem neuen Teurichlanb seine Be fassung geben sollte. Tas Mo io war also ei» negativer. Aber >m keinen P.ei- der Welt möchte man dieses Reaa wum missen, dem die Verfassung deS iepublikanvchen Deutschland die Symbolik ihres önliten Ursprung? oerdantt. Tas Wort „Veiiac' haftet seither dem deut schen Menschen, ob er es annimmt oder sich da- gegen sträubt, al: unverlierbare Mahnung und Erbiu. end an. Das Wort „Weimar' beleuchiete blitzhell den Weg. den Dcuischlai-d zu gehen halte, um sich nickt wieder an die veihängr-iSoollen Kräfte e ner geisttötenden Mechanik, au die vetführensche Lämonie milila iniscken MachtwadnS zu versiert«: den Weg von PoiSeam nach Weimar. Das Wort „W-nmar", zu guter Stunde gerufen in dos Geburts-Chaos der werdend.« Deutschland, bedeutete für Jeven, der Lhren hatte, zu hören: „Rie wieder Potsdam!' In Wirklichkeit war Potsdam längst tot. Eigentlich schon seit Jena. Ja. eigentlich schon seit seiner Geburt. Der deutsche Untertan halt: nur noch «ich S davon g.-me kt, weil ihn Schul- meier und Zeitungen seil Generationen ange lernt hatten, als urwüchsige Kraft zu be vun ein, wat nich S weiter war, als mechanistische Kon- strukion eines künstlich «zeugten uns tünst- sich auf ech erhaltenen Gewasisystcms. Und weil diese» Pre ßen-Deutichland immer wieder politische Charakiere erzeugte, die, durch Wil'enSzvang und eherne Behnrrlichkeit, de« totgeborene« Mecha- Zur Verfassungsseier 1924. Von Carl Severing.