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60 Summen ist den Ohren, daß ich halb taub davon war, und eS bemächtigte sich meiner ein Gefühl gänz- kichys Perwimlng, Hülftosigkeit und Dumpfheit. Endlich stand ich auf, mich am Tische hallend, um nicht die Balance zu verlieren, und stotterte hervor, daß- ich mich emsetzlicb unwohl fühle, so unwohl, daß ich nicht wisse., wie ich nach Haufe kommen Me. „Mein lieber Freund," sagte der alte Soldat, und selbst seine Stimme-schien auf und ab zu tan- z«k, als er sprach, „eS würde Wahnsinn sein, in Ihrem Zustande nach Hause zu gehen; Sie wür den unfehlbar Ihr Geld einbüßen und noch Schlim meres könnte Ihnen zustoßen. Mord und Tovl- schlag, doch wir wollen nicht daran denken. Ich werde hier schlafen, thun Sie das auch. Man fin det in diesem Hause vortreffliche Betten. Verschlafen Sie die Folgen deS WeinS und gehen Sie morgen bei Hellem Tage ruhig und sicher mit Ihrem Gelve nach Hause. Ich war nur zweier Gedanken fähig: nämlich erstens, daß ich mein Taschentuch mit dem Gelve Mht auS den Händen lassen durfte, und zweitens, daß ich mich augenblicklich niederlegen müßte, um den Schlaf der Gerechten zu schlafen. Ich nahm daher den Vorschlag, in jenem Hause zu übernach ten, gerne an, ergriff den vargebotenen Arm deS alten Grenadiers, während ich mit der andern Hand mein Geld festhielt. Der Croupier ging uns voran und führte uns durch einige Gänge in ein oberes Gemach, daS für mich bestimmt war. Der Brave verabschiedete sich mit einem warmen Händedruck, nachdem er ein gemeinschaftliches Frühstück für den nächsten Morgen vvrgeschlagen hatte. Gefolgt von dem, Croupier verließ er mein Zimmer. Ich eilte , an die Waschloilette, trank aus der Wasserflasche, goß, das übrige Master in die Masch schale und. steckte »meinen Kopf, in dieselbe; dann setzte ich mich auf den zunächstehenben Stuhl und suchte mich zu sammeln. Bald fühlte ich mich leich ter; der Schwindel verließ mich, ich konnte wieder denken. Und nun erst stellte ich mir vor, wie ge fährlich eS sei, in einem Spielhause zu übernachten, und welch' größerer Gefahr ich mich noch aussetzen würde, falls ich versuchte, das schon geschlossene Haüs zu verlassen und allein in der Nacht durch die Stra ßen von Paris zu wandern mit so vielem Gelve. Ich hatte auf meinen früheren Reisen in noch schlim- mern Orten übernachtet unv beschloß, Vie Thür zu schließen, zu verriegeln, zu verbarricadiren unv daS Weitere abzuwanen. > Demgemäß sicherte ich mich gegen jeden Uebcr- fall, leuchtete unter das Bett unv in den Schrank hinein; untersuchte die Riegel der Fenster und legte mich, nachdem ich zuvor meinen Schatz unter mein Kopfkissen verborgen hatte, erst zu Bette. Bald empfand ich. daß ich nicht schlafen, ja daß ich nicht einmal meiße Augen schließen konnte. Jeder Nerv in mir bebte, alle meine Sinne schienen übernatür lich geschärft zu sein. Ich versuchte zu liegen, zu sitzen, mich bis über den Kopf zu bedecken und dann wieder die Decken abzuwerfen, aber. Alles verge bens, ich fühlte deutlich, daß wir eine schlaflose Nacht bevorstand. WaS konnte ich thun? Ich hatte kein Puch zum Lesen und doch wußte ich, baß meine erhitzte Phan tasie mir die entsetzlichsten Schreckbilder heraufbe- beschwören würbe, falls ich kein Mittel fände, mei nen Geist zu beschäftigen. Ich setzte mich wieder im Bette auf und begann mich im Zimmer umzu sehen, daS vom klarsten, silberhellen Mondschein beleuchtet war. Zunächst betrachtete ich die ver schiedenen Möbel und fing darauf mein Bett zu inspiciren an. ES war ein regelrechtes, vierpfostigeS Himmel bett, von allen Dingen der Welt bas letzte, vaS man in Paris anzutreffen erwartete. Ein ganz plumpes, ächt englisches Himmelbett, dessen Him mel richtig mit Kattun gefüttert war, daS die nö- thigen Fransen um denselben nicht entbehrte, und das die rechtmäßigen schweren Vorhänge,- unter denen man dem Ersticken nahe ist, besaß. Diese aber hatte ich gleich, als ich in'S Zimmer getreten war, mechanisch zurückgeschlagen, wie ich mich jetzt erinnerte. Dann fiel mein Blick auf Vie Wasch toilette, von der das verschüttete Wasser langsam und immer langsamer herniedertropfte, dann auf die Kommode unv endlich auf ein altes, dunkles Bilv, das von der Kerze, Vie ich brennend in den Kamin gestellt, schwach beleuchtet wurde. Auf dieses Bilv eines verwegenen Burschen, in spani scher Tracht, blieben meine Augen geheftet, und ich zählte die Feöern an dem Hute des unheimlich düstern Mannes unv sann, wonach ein solches Gesicht mit solchem Eiser wohl den Blick gen Him mel richten konnte. Wahrlich nicht zu den Ster nen ; aber vielleicht zum Galgen, ver für ihn schon errichtet sein mochte. Wirv ver Scharfrichter seinen dreieckigen Hut mit den Fevern erben? Ich zählte sie wiever — drei weiße, zwei grüne. Während ich meine Blicke noch auf. das Bild geheftet hatte, fingen meine Gedanken zu wandern an. Der Mondschein rief mir eine Picknickgesellschafl in'S Gedächlniß. Ich sah die wundervolle Land schaft in Males vor mir, ich Hörle die Stimme der semimenlalen Dame wiever, die ohne Unterlaß Childe Harold keclamicte, weil es eine mondschein- helle Nacht war. Aber plötzlich M Mr Faden, an bem diese Erinnerungen hlngerhMZch wurde zur Gegenwart zurückgeiührt und Gott weiß, wie eS geschah, wiederum blickte ich starr auf jenes omi nöse Bild. Goll im Himmel, der Mmm hatte seinen Hut über die Slirn gezogen! Nein, Ver Hut selbst war fort! Mo sind die Federn, drei weiße, zwei grüne? Nicht da! Welch' dunkler Gegenstand verbirgt seine Stirn, seine Augen? Bewegte sich daS Belt? Ich legte mich aus den Rücken und blickte in die Höhe. War ich wahnsinnig? Betrunken? Träu mend? Mieder schwindlich? Oder senkte sich wirk lich der Himmel des Bettes herab? Ganz lang sam, regelmäßig, geräuschlos, tiefer und immer tiefer, grade auf mich herab? Entsetzlich!