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Weltliche Kantaten - Religiosität im Konzertsaal Eine der wichtigen Neuerungen in der Musikästhetik des 19. Jahrhunderts war, dass Religion und Religiosität auch außerhalb der Liturgie zum Ausdruck ge bracht werden können. So war es möglich, dass eine nicht liturgische, außer kirchlich religiöse Musik entstehen, religiöse Musik im Konzertsaal und auch nicht liturgische in der Kirche aufgeführt werden konnte. Das Publikum des Konzertsaals wurde mithin als Gemeinde angesprochen und die Kirche zum Konzertsaal gemacht. Die „Kunstreligion“ versammelt, wie Christian Martin Schmidt schreibt, „in sich exemplarisch das Gefühl der allgemein menschlichen Religiosität, die nicht allein dem strengen liturgischen Rahmen ausweicht, son dern auch die Festlegung auf spezifisch christliche Glaubensinhalte vermeidet. An die Stelle des christlichen Glaubens, der an Gottesdienst und Gemeinde gebunden ist, tritt das persönliche Bekenntnis des Einzelnen, in dem sich ein individuell religiöses Gefühl mit der subjektiven Entscheidung über die Glaubensinhalte paart.“ Ein Komponist, der diesem Gefühl Ausdruck verlieh, war Johannes Brahms, und Kompositionen wie „Ein deutsches Requiem“ op. 45, das „Schicksalslied“ op. 54 und der „Gesang der Parzen“ op. 89 spiegeln seine Auseinandersetzung mit den Sinnfragen des Menschen wider, wie Tod und Vergänglichkeit, Irdischem und Göttlichem. Der Tod, dies sei an dieser Stelle angemerkt, ist ein Thema, mit das sich Brahms viel beschäftigt hat. Er fürchtete ihn nicht, es war vielmehr dem Leben, dem er bisweilen resigniert gegenüber stand. Man denke nur an die Textzeile aus den „Vier ernsten Gesängen“: "Da lobte ich die Toten, die schon gestorben waren, mehr als die Lebendigen, die noch das Leben hatten", oder an den Satz: "Das Leben raubt einem mehr als der Tod", den er in einem Brief an Clara Schumann nach Roberts Tod formulierte. Nänie op. 82 für Chor und Orchester Entstehung: 1881 Uraufführung: 6. 12. 1881, Tonhalle Zürich, unter der Leitung des Komponisten In der römischen Antike bezeichnete der Begriff Nänie die Totenklage oder den Totengesang. Brahms wählte ein Gedicht Schillers, das, dem Titel entsprechend, sich in der Bilderwelt der antiken Mythologie bewegt. Es beschreibt einerseits