Werkeinführung ♦ Wagners „Tristan“ und „Götterdämmerung“ Die Komposition entstand, als Wagner mit seiner Frau Minna seit fünf Jahren im Schweizer Exil lebte und parallel am Ring des Nibelungen arbeitete. 1857 bezog das Paar Wagner das Gartenhaus der Zürcher Villa Wesendonck, ein Be sitz des Wagner-Förderers Otto Wesen donck, eines deutschen Fabrikanten. Mit dessen Frau Mathilde, Wagners Gelieb ten, mit Cosima von Bülow, Wagners späterer Frau, und mit seiner aktuellen Frau Minna vollzog der Schöpfer der Verse in illustrem Kreise den Vortrag der Tristan-Dichtung. Da die Situation im Hause Wesendonck immer ungemütli cher wurde, reiste Wagner zur Arbeit an seinem Drama zunächst nach Venedig, kehrte später nach Lucem zurück, wo er in drei Monaten sein Werk vollendete. Mathilde Wesendonck mit Sohn Guido, 1856 Das Vorspiel und Isoldes Liebestod ge hören untrennbar zusammen. „Was das Schicksal trennte, lebt nun verklärt im Tod auf,“ heißt es bei Wagner. „Die Pforte der Vereinigung ist geöffnet; über Tristans Leiche gewahrt die sterbende Isolde die seligste Erfüllung des glühen den Sehnens, ewige Vereinigung in un gemessenen Räumen, ohne Schranken, ohne Banden, unzertrennbar.“ Jahre hindurch waren Wagners Versuche ergebnislos geblieben, das Stück auf die Bühne zu bringen, sogar das Stigma der Unaufführbarkeit ereilte den Tristan. Unter der Leitung von Hans von Bülow gelang die Uraufführung am Königlichen Hof- und Nationaltheater in München 1865. „Wie ein Zaubertraum wuchs das Werk zur ungeahnten Wirklichkeit,“ erin nerte sich Wagner später. Das Vorspiel er tönte allerdings bereits 1859 in Prag und ein Jahr später in Paris. Als Wagner 1863 in Russland konzertierte, erklang das Vor spiel gemeinsam mit der instrumentalen Fassung von Isoldes Liebestod in St. Pe tersburgs Philharmonischer Gesellschaft mit Wagners Konzertschluss. Waren es im Tristan die harmonischen Raffinessen und Neuerungen, so setzte Wagner in seinem Ring des Nibelungen formal nie dagewesene Dimensionen an. Sein größtes und ambitioniertestes Werk entstand in drei Jahrzehnten. Schon 1842 beschäftigte er sich mit den Sagen des deutschen Altertums, wenige Jahre später entstand der Aufsatz „Die Nibelungen. Weltgeschichte aus der Sage“. Hier wer- 16 J Kontrapunkt-Konzerte