Werkeinführung ♦ Wagner und Beethoven Tränen in Träumen Wagner pflegte ein Beethovenbild von überirdischer Erhabenheit „Ich erkundigte mich nach Beethoven bei meinen Schwestern und erfuhr, dass so eben die Nachricht von dessen Tode an gelangt sei. Noch voll des unbegreiflich wehmütigen Eindrucks von Webers Tode, erfasste mich dieser neue Todesfall eines soeben erst lebendig in mein Leben getretenen Tonmeisters mit seltsamem Bangen, welches dem jugendlichen Ge spenstergrauen vor den Quintenklängen der Violinen nicht unverwandt war. Auch Beethoven wollte ich jetzt genauer ken nenlernen: ich kam nach Leipzig und fand bei meiner Schwester Luise auf dem Klavier seine Musik zu Egmonf, dann suchte ich mir Sonaten von ihm zu ver schaffen; endlich hörte ich zum ersten Danhauser-Lithographie 1827 Beethoven auf dem Sterbelager Male in einem Gewandhauskonzerte eine Sinfonie des Meisters: es war die A-Dur- Sinfonie. Die Wirkung hiervon auf mich war unbeschreiblich. Dazu kam der Eindruck, den Beethovens Physiognomie, nach den damals verbrei teten Lithographien, auf mich machte, die Kenntnis seiner Taubheit, seines scheuen zurückgezogenen Lebens. In mir entstand bald ein Bild erhabenster überirdischer Originalität, mit welcher sich durchaus nichts vergleichen ließ. Dieses Bild floss mit dem Shakespeares in mir zusammen: in ekstatischen Träu men begegnete ich beiden, sah und sprach sie; beim Erwachen schwamm ich in Tränen.“ Diese Erinnerungen Wagners finden sich in „Mein Leben“ und beschreiben die Eindrücke des 15-jährigen Komponisten bei der Niederschrift seines ersten Trau erspiels Leubald. Ein ganz besonderes Verhältnis sollte Wagner zur berühmten 9. Sinfonie Beethovens bekommen, mehrfach erwähnt er sie als Schlüssel werk in seinem Leben, dass er in seinen „frühesten Jünglingsjahren meine Nächte über der Abschrift dieser Partitur durch wachte“. Wagner trug die Überzeugung in sich, mit Beethoven sei „der Punkt der Scheidung des Symphonikers von dem Dramatiker“ erreicht worden. Somit schlossen seine eigenen Musikdramen direkt an die Neunte an, damit war Beet hoven sein Vorgänger, die Neunte gab ihm die Initialzündung zum Musikdra matiker. 12 J Kontrapunkt-Konzerte