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SächsWSlaalZMmg Staatsan?eiger für den Zreiftaat Sachfen Dresden, Mittwoch, 2. April Nr. 79 Ersehe int Werktags nachmittags mit dem Datum des Erscheinungstages. Bezugspreis: Monatlich 3 Mark Einzelne Nummern 15 Ps. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 2129!» — Cckriftleitung Nr. 11571. Postscheckkonto Dresden Nr. 2486. — Stndtgirokviitv Dresden Nr. 110. Zeitweise Nebenblätter: Lanotago-Beilage, Ziehungslisten der Verwaltung oer Llualsschulden nnd der Landeskullucrenlenbank, Jahresbericht und Rechnungsabschluß der Landes.Brandversicherungsanstall, Verkausslyte von Holzpflanzen auf den Staal«sorstreoieren. BerantworUich flir die Redaktion: Haupifchrifileiter Bernhard Zolles in Dresden. Ankündigungen Die 32 mm breite Grundzeile oder deren Raum 30 Pf , die 66 mm breite Grundzeite oder deren Raum im amtlichen Teile 60 Pf., unter Ein- gesandt 90 Pf Ermäßigung auf Geschastsanzeigen, Familiennachrichten u. stellen, gefuchs. — Schluß der Annahme vormittags 10 Uhr. 1924 Pas Urteil von München „Es gibt noch Rich Tie Presse über die V Berlin, 2. April. Das in München ergangene Urteil erfährt in der republikanischen Presse, wie nicht anders u erwarten, die schärfste Kritik. „Das Urteil, as in der Jnfanlerieschule zu München verkündet worden ist, und das die schlimmsten Befürchtungen skeptischer Beurteiler weit übertrifft, bedeutet", so schreibt das „BerlinerTageblatt", „eine Bankrott- erklürung der bayerischen Kriegspartei, die, selbst angesichts der zahlreichen Fehlurteile in der politischen Straf' Justiz unserer Tage, vollkommen bei. spiel los ist." Ferner schreibt das „Berliner ragebtntt": Ludendorff hat als Feldlzerr versagt, weil er einen Krieg nicht rechtzeitig zu beenden wußte . . . Tie Liquidation oer Katastrophe üb.rließ ec freundlichst anderen und flüchtete, unter falschem Namen» ins Ausland. Als die revolutionären Unwetter sich dann etwas ver- zogen hatten, kehrte er zurück, beteiligte sich an einem hochverräterischen Anschläge wider das Reich, und als auch das Kapp-Uuter- nehmen jämmerlich scheiterte, flüchtete er, wieder unter falschem Namen, in die Ferne. Diesmal nach Bayern. Auch der Novcmberpulsch des vergangenen Jahres platzle w:e eine Seifenblase. Hitler, der „Trommler" dieses hochverräte- rischen Unterfangens, sagte an jenem Abend im Bicrkeller, daß, wenn der Kampf gegen die Ber- lmer Negierung keinen Erfolg habe, sie den Tag nicht überleben würden. Am anderen Vormittag, als das Blatt sich gewendet hatte, besannen sich die Hitler, Ludendorff und Pöhner eines anderen und blieben leben. Bor einer solchen Selbstüberwindung im Interesse des VateUandes hat das Gericht die Segel gestrichen nnd hat den Hochverrätern kein Härchen gekrümmt. Luden- dorff durfte frei und ungehindert, wie ein Sieger, den Gerichtssaal verlassen und seine Kombattanten erhielten nur zum Schein einige Jahre Festungs- strafe, die aber durch die Anrechnung der Unter- suchungshaft und durch die Gewährung einer Be währungsfrist so gut wie kompensiert wurde. Die Herren hatten während der wochenlangen Verhandlungen dem Gerichte höhnisch erklärt, sie würden, was sie getan, jederzeit wieder holen. Das Gericht hat ihnen nach jeder Richtung hin den Weg dazu freigem cht. Vs gib« noch Richter in Dentfchland . . . „Man kann getrost sagen, daß das Urteil von München den gehegten Erwartungen entspricht. Mas kann aus der „Ordnungszelle" Gutes kommen. Aber das Eintreffen aller Befürchtungen ist ein schwerer Schlag für Deutschland. In der Ge- schichte unseres Rechtsstaates wird der 1. April 1924 für immer ein schwarzer Tag bleiben." So schreibt die „Berliner Volkszeitung" und fährt dann fort: „Unwillkürlich schweift der Blick von München nach Leipzig. Hier jagt man einen Mann drei Jahre ins Gefängnis, der nichts weiter ver- brochen, als daß er einem bösen Versucher gegenüber zu willensschwach war. Er hat nie- manden geschädigt, keine Londervortcilc errungen, jedoch der Ctaatsautorität Abbruch ge.an. Wie ganz anders haben die bahertjchen Hochverräter mit dieser Staatsautori- tät gewüstet. Bi» i« b« «erichtssaal hinein hilhnten si, die RechtSgrnnd« läge de» «eiche«, die «elmarer „BcwätUlmMist" ter in Deutschland." erhöhnung des Rechts. Verfassung, die sich ein freies Volk ans eigenem Recht geschaffen, uni an die Stelle de» tihaoS wieder da» Gcsetz zn stellen. Nicht nnr gegen diese Verfassung, sondern auch gegen die gesetzliche Gewalt eines deutsche« Landes unternahmen sie ein hochverräterisches Unternehmen mit bewaff neter -and. Ihre Untat kostete Blut, verursachte den Verlust von Menschenleben. Tie bayerische Aus- nahm» Verordnung setzte für ein Delikt mit solchen Folgeil ausschließlich die Todesstrafe fest. Mir sind die letzten, die nach Blut lechzen. Wir haben stets die Todesstrafe abgelehnt, gleichviel ob sic gegen einen truninelleu oder einen poli tischen Verbrecher verhängt wurde. Aber Recht muß Recht bleiben! Ohne Ansehen der Person! Indem das bayerische Volksgericht das Recht seines eigenen Staates mißachtete, sprach es ein Todesurteil. Nicht gegenüber den Angeklagten! Wohl aber gegenüber dem Staate, der ein Rechtsstaat sein soll. Mit dem Münchner Urteil scheidet Bayern als Rechtsstaat ans." * Und in der „Germania", dem führenden Blatt der Zenitumsparrei, lesen wir: „Nicht allein vom juristischen Standpunkt aus, sondern noch mehr unter dem Gesichtswinkel staatlicher Notwendigkeiten muß mandas Münchener Urteil auf das lebhafteste bedauern. Denn es bedeutet prak.vch einen Freispruch und einen Freibrief für Hochvcrrälcr.... Mit diesem Urteil ist die Staatsauroritat und das Rechtsempfinden des Volkes zu Grabe getragen worden. Tie Schuld der Hitler ni d Genossen ist einwandfrei fest- gestellt und von den Angeklagten selbst nicht einmal bestritten worden. Sie haben den gewalt samen Versuch gemach«, die Reichsregierung zu stürzen, die Verfassung zu ändern und in München eine neue Rechsrcgiening auszurufen. Und trotz dieses klaren Tatbestandes dieses Urteil! tzs ist geradezu rin Anreiz für Hochverräter nnd jolche, die cs werden wollen. . . . Tiefes Ge richtsurteil wird das Vertrauen zur Rechtspflege schwer erschüttern. Im Volke wird man unwillkürlich Ver leiche ziehen zwischen den harten Strafen, die über kommunistische Hochverräter verhängt worden sind nnd dem milden Urteil, das das V Usgerichl gefallt hat. Eine der Grund festen, auf dem die staatliche Ordnung ber Hs, if das Vertrauen zu einer geordneten Rechtspflege. Wie kann aber dieses Vertrauen aufrecht erhalten bleiben, Winn hochvcrräteriichc Umtriebe größtcn Stils fast ungefühn» bleibrn?" * „Vosjifcht Leitung": „Man hat ein Plakat ausgehängt, das in zolldicken Lettern verkündet: „Fünf Jahre Festung". Nun ist für das Verbrechen des Hochverrats dies de Mindeststrafe. Für den Kapp-Putsck bat bekanntlich allein Traugott v. Jagow tue Zecke be al lt, und seine nickt all'« ernst z» nehmende Persönlichkeit wurde mit dieser Mindeststrafe bc- legt. Hstler, Kriebel, Weber und vor allem Pöhner sind weit ernster z« nehmen; ihre Rolle bef dem Unternehmen vom. 8. November war, ohne jeden Zweifel, führend. Tennock hat man die Mmdestittafe gewäbtt. Tiefe Mindeststrafe selbst wird aber gar nickt wirksam. Tie An geklagten erhalten — BewäbrungSfrist. Alle An- grttaglcn »rhalle« Bewü ri ng frist. Man fährt fick an den Kops und fragt fick, ob diese Be- währungssrist derselbe Hiller erbalten soll, der für Hochverräter. doch sein Lossow gegebenes Versprechen nicht ein- löste, weil die Silval on angeblich „Handeln er forderte". Man fragt sich, ob die c Frist auch Pöhner erhalten soll, der wahrscheinlich nie die Verfassung beschwor und zynisch sich rühmt, das Geschäst des Hochverrats betreibe er seit fünf Jahren." O „Der Vorwärts" untersucht die Gründe, die das Volksgericht mit seinen drei Leien- und zwei Bcri fsrichrern zum Freispruch Ludendorffs veranlaßt haben mögen. B^enn er l^udendorff) ein Schultub wäre, dem nach dem Strafgesetzbuch erst der Nach weis erbracht werden muß, daß er „die zur Er kenntnis der Strasbarkeit ieinec Handlungen er- forderliche Einsicht" besehen habe, oder wenn er mit vem Jagdschein dec § .">1 a egerüstel wäre, hätte er nicht onsers behandel: werden können, als er durch das Volksgericht behandelt worden ist. Zweifellos wcnen di; Richter der Meinung, daß ein Mann von der sührenden Tätigkeit Ludendorffs, der vor Gericht so nirre politische -Reden hält, wie er, für seine Handlunaen nicht voll verantwortlich sei. Sie haben das nicht Die „BejiriinrulW" München, 1. April. Tie Hockspcmnun-, mit der das Urteck er wartet wurde, mackte fick schon vor 9 Uhr vor- mrnags in den Straßen bemerlvar, die rum Ge lickt führten. Tie Absperrungen durck die grüne Polizei waren bis ;u den Straßenkreuzungen der Blntenburger Straße vorgeschoben, wo scck immer mehr Leute ansammelten, darunter besonders viele weibliche, mir Bl nnre nnr außen be- wastnet. Tie Kontrolle znm Zuoangsgcbmcde wurde besonders >ckarr gehandhabt. Ta offenbar unz?w ähnlich viele Zuhörerkarten insgegebcn waren, nanen die Schutzleute und die anderen KonirvUorgane alle Hände voll zu tun. Bereits nm «^.10 Ubr ward? der Zugang gesperrt. Der Andrang in den Sitzungssaal war aber sckon so stack, daß die Presse kaum mehr a:^ ihre Platze gelangen konnte. Überdies hatte man uube- greislickerweise der Presse cm Trinel ihrer Platze ohne vorherige Verständigung einfach weg genommen. Seit 9 Uhr promcnierlen die Angeklagten, die, soweit sic srnher mlitärstchen Rang bc- klerdelen, in großer Uniform erschienen waren, im Hofe der Jnsanicriesnulc, zwammen mit ihren Angehörigen und ihren Verteidigern. Eine größere Anzahl von Photographen knipste unaufhörlich. Nur Pöhner war, infolge Erkrankung, nickt erschienen. Kurz nach 10 Uhr betraten dann die Angeklagten den Sitzungssaal. Gleick darauf kam der Gerichtshof, dessen Vorsitzender sofort unter lautloser Spannung mit der Vctkündung des Urteils begann. Tic Urleilsbeqrilndnnl schildert zunächst dic Gründung des xampf- bunves und dessen bekannte Z elc, dann die Gründung des Gcncralstaatskommissariats, um die Gegensätzlichkeit in den Bestrebungen beider Ricklungen hervormheben. E »gehender befaßt sich die Urteilsbegründung mit den Vor gängen am 6. und 7. November, vernicklet aber auf die Darstellung von Eincelheiten, denn es steht nickt der Fall Kahr, Lossow und Seiss er zur Verhandlung, sondern eS ist nur die Schuld oder Nickisckuld der Angeklagten zu entscheiden, und daher ist dic Frage, ob die drei Herren mit dem Hec cn bei der Sacke waren oder nur» wie sie behaupten» Komödie ge. spielt haben, ohne Belang. Aus dieiem Grunde offen ausgesprochen, aber die Tatsache, daß sie den jugendlichen Stiefsohn Ludendorffs verurteilten, ihn selbst, den erfahrenen „Schlochtenlenker" aber frei ausgehen ließen, ist die schärfste Brand markung für Leu Jntk'lett dieses Held»«! Nur unter solchem Gesichtswinkel ist der Frei spruch überhaupt juristisch zu begreifen. — Der aufgeblasenen Persönlichkeit Ludendorffs konnte das Münchener Volksgericht ernstlich keinen größeren Bärendienst erweisen, als mit diesem Freispruch, der ihn des Glorienscheins und der Märtyrerkrone unter seinem völkischen Anhang beraubt. So steht er letzten Endes als der begossene Pudel da, als dec ewig Hineiugeschlldderte, al ber niemals aktiv Handelnde. Und dieser politi- fierende Feldherr, der vom Gericht instinkiio als Null gewertet wird, erheb: A«,pruck auf Walhall, weil ihm, dem völkischen Streiter, die germanische Mythologie so fremd ist, daß er n'chi weiß, daß bei den allen Germanen lediglich auf dem Felde der Ehre gefallenen Helden der Ehre Walhall- würdig befunden wurden, nicht aber Feldherren, die ihr Volk durch den Verlust eines Kriege ins tiefste Unglück gestürzt und, als der Zusammen bruch kam, die Fl cht ins Ansland ergriffen Haven.* des Nichterspruchs. können auch Verhallen und die Maßnahmen der drei Herren un Lause der Rackl und am nackürolgenden Tage bis »um Zuiammcnbruck de- Unternebmens im einzelnen unerörlert bleiben. In laisächllcher Hinsicht hält das Gereckt von den Vcruangen, in denen die Anklage de« Tatbestand des Hochverrats erblickt, folgendes für erwiewn: Hitler, KricbU und Weber sind die Ur heber des Planes. Pöhner war mit dem Plan und der ihm darin zugedacht « Rolle c inv erst a » den. Es find deshalb Hitlcr, Kricbel, Wcber und Pöhner, vorouz- gesrtzt, daß eine strafbare Handlung überhaupt vorliegt, als Mittäter im Siunc des zj 47 Les Relchsstrafgejetzbuche» anzufchc», wenn natürlich auch, infolge der Verschiedenheit der E «zelaufgabc«, die jede« von ihncn zukielen, der andere nicht jede cinzelnc Maßnahme gekannt und gebilligt haben wird. Tas Ziel des Unter» nehmen» war dic Beseitigung der nach Ansicht der Angcklagten völlig i« Bann de» Marxismus stehenden Reichs regierung einschließlich des Parlaments, jedenfalls in seiner jetzigen Zusammen setzung, und die Gründung einer natio nalen Regier«ng, die die völkischen Belange, so wie sie von de« Angeklagten verstauten werde«, vertreten sslktc. Tie Beseitigung der bayerischen Re gierung nnd dir lrrnennnng KahrS nnd Pöhners zu Gewalthabern in Bayern wäre« nur Rittel zum Zweck. Sie folKen die wirtiamc Bekämpfung brr Neich regir- rung von Bayer»« aus ermöglich»». Zur Verwirklichung des Zieles haben Hlleh Griebel, Wcber und Pöhner am 8. und 9. No vember die übrigen Milangeklaglen heranzezogen und ihnen ihre Aufgaben zugewiesen. Mit ihrem Einverständnis Hai Hitler die Rcickscegicrung und die bäuerische Regierung abgesetzt unb sofort die neue Regierung, wenigstens in ihren Hauptpersonen, eingesetzt, haben Hitlcr, Weber unb Pöbner auf L ahr, Lossow und Seisser eingewirkt, um sie rur Mittäterschaft zu gewinnen, und im Einverständnis aller vier wurden die Personen, von denen sie eine Durchkreuzung ihrer Pläne tefürckieleu, verhaftet oder wurde doch nach ihnen gefahndet. Am Saaleingang waren Leute aufgestellt, die bei VersammlungSsckluß die Person- lickkeiten aller den Saal Verlassenden festzusteven hatten und beauftragt waren, alle Ab geordneten sestznnehmcn. Ferner waren