In den Sommermonaten 1878 komponierte Johannes Brahms (1833-1897) in Pörtschach am Wörthersee sein Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77. Die Komposition für das Instrument war eine Herausforderung, denn außerhalb des Orchesters hatte er die Violine vor allem als Ensembleinstrument eingesetzt. Nun konnte er beweisen, dass er ihre Besonderheiten kannte und sie in ihrer ganzen Bandbreite einzusetzen vermochte. Sein langjähriger Freund und Widmungsträger Joseph Joachim stand ihm beratend zu Seite: Der berühmte Violinist half ihm bei den Solopartien und versuchte, allzu „unbequeme“ Abschnitte auszugleichen. Für die Uraufführung am 1. Januar 1879 in Leipzig, die Joachim selber spielte, fügte er Kadenzen hinzu, die auch heute noch zu den am häufigsten gespielten zählen. „Wir waren selten so vom Genius des Komponisten erfasst worden“, konnte man am Tag danach in den „Leipziger Nachrichten" lesen. Um es in das Standardprogramm eines jeden Violinisten zu schaffen, bedurfte es allerdings noch einiger Zeit. Doppelgriffe, gebrochene Akkorde, schnelle Skalierungsphrasen und rhythmische Variationen stellen den Violinisten vor unüberwindlich scheinende Hürden, die zur Zeit der Veröffentlichung anerkannte Musiker, darunter der Virtuose Pablo Sarasate, dazu verleiteten, sich dem Stück zu verweigern. Ohnehin stand für Brahms nicht die Herausarbeitung des Musikers als Virtuose im Vordergrund, sondern vielmehr die musikalische Form des Violinkonzerts und die Klangfarbe des Instruments. Die für Brahms so typischen kontrapunktischen Verflechtungen von Melodiebögen sind gerade für das Streichinstrument schwer zu realisieren. Die Tonart ist stets so gewählt, dass die leeren Saiten der Geige g-d-a-e den Klang akkordisch vervollkommnen. Obwohl ursprünglich viersätzig geplant, entschied Brahms zwei Monate vor der Uraufführung, das Werk formal im klassischen Aufbau eines Instrumentalkonzerts zu verfassen: Zwei schnelle Ecksätze umrahmen einen langsamen Mittelsatz. Auch bei dieser Komposition hielt sich der Komponist ganz an sein Vorbild Beethoven. Wie dessen einziges Violinkonzert beginnt auch hier der erste Satz in Sonatenhauptsatzform mit einer orchestralen Exposition, die von der Solostimme nach einer längeren virtuosen Passage wiederholt wird. Drei Themenkomplexe werden aus den kleinen Motivgruppen