Hat Richard Strauss einen Berg bestiegen? Dass Richard Strauss eine Vorliebe fürs Gebirge hatte, lässt sich schlechter dings nicht bestreiten. Schon als Kind, bei den Ferienaufenthalten der Familie im Osttiroler Ort Sillian unweit Toblach hatte er die Bergwelt der Dolomiten kennen gelernt; und nicht zufällig wurde Garmisch mit seiner hochalpinen Um gebung seine Wahlheimat. Darüber hinaus aber war Richard Strauss ein offenkundig fleißiger Berggeher: Fotografien zeigen ihn etwa auf dem Gipfel des Loser nahe dem österreichi schen Bad Aussee oder in den Dolomiten bei Cortina d’Ampezzo. Und über die ausgedehnten Touren rund um seinen Garmischer Wohnsitz hat der Kompo nist sogar detaillierte Aufzeichnungen angelegt. Danach hatte er am 7. Juli „nach Kreuzeck von Haus“ 3 Stunden benötigt, der Rückweg über die Knappenhäuser und die Höllentalklamm dauerte eine Stunde länger. Für die Besteigung des Wank am 12. Juli notierte Strauss: „vom Fuß [...] bis Gipfel [...] 3 Stunden 5 Min.“ Eine Voralpensinfonie Den ausführlichsten und farbigsten Bericht von einer Bergtour lieferte Richard Strauss jedoch, nachdem er, wohl im Sommer 1879, den Heimgarten bei Ohl stadt bestiegen hatte. Die abenteuerliche Unternehmung schilderte Strauss in einem Brief an den befreundeten Ludwig Thuille. Am folgenden Tag, so schreibt er, habe er „die ganze Partie am Klavier dargestellt, riesiger Schmarren (nach Wagner)“. Schon früh kam die Behauptung auf, dieses Jugendabenteuer mit samt seinem musikalischen Reflex sei der Ursprung der Alpensinfonie, eine Vermutung, die bis heute häufig als Gewissheit ausgegeben wird. Wie abwegig eine solche Verbindung in Wahrheit ist, wird offenbar, wenn man sich den Ent stehungskontext der Heimgarten-Episode klarmacht. Einem Bericht Johanna Rauchenbergers, der Schwester der Komponisten, ist zu entnehmen, dass der junge Richard es offenbar liebte, abenteuerliche Unterneh mungen in den schillerndsten Farben nachzuerzählen. Schon während der erwähn ten Sommerfrische-Aufenthalte in Sillian hatte er einen Ausflug mit dem Pferde wagen in ähnlicher Weise dargestellt: „Als wir einmal eine Fahrt an den Pragser Wildsee machten und eines Gewitters halber erst spät am Abend bei Mondschein zurückfuhren, schrieb Richard nach München von ,gelbem Mondschein, furchtba ren Blitzen ohne Donner, und schauderhafter Erregung' und so weiter in lustiger Übertreibung der in damaligen Romanen beliebten Phrasen“, berichtet Schwester Johanna. Auffallenderweise verwendete Richard Strauss hier ganz ähnliche Erzähl zutaten wie beim Heimgarten-Abenteuer, offenbar Topoi einer gewissen Natur- und Alpenliteratur jener Zeit, mit denen er in seiner Jugend ebenso gern ironisierend spielte, wie er das später mit musikalischen Mitteln in seinen Kompositionen tat. Bezeichnend in dieser Hinsicht ist auch die Formulierung, mit dem Strauss seinen sangsmelodien ...sind Symbole, die die edelsten Wahrheiten der Seele 31