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nen Gebrauch und erfüllte Aufträge. Was aber war das Neue daran, was hatte er bei Schuster gefunden, das ihn so magisch anzog, eine eigene Serie zu komponieren? Vor allem das oben beschriebene Verhältnis von Violine und Klavier. Da bis heute die Schuster sehen Sonaten nicht aufgefunden wurden, bleibt nur zu mutmaßen, wovon sich Mozart beeindrucken ließ und weshalb er ihnen nacheifern wollte. Si cher ist, dass die Vorherrschaft des Klaviers nicht mehr bestanden haben dürf te. Jedenfalls hatte die Geige bei Mozart sehr viel mehr Freiheit zu eigen ständiger Bewegung. Sie konnte sich stark entfalten, musste sich nicht mehr sklavisch an die Linien des Klaviers halten. Sie konnte gleich dem Klavier the matisch aktiv werden, jubelnd in die Höhe fahren oder sich mit dem Klavier unterhalten wie ein selbständig handelnder Partner. Das hinderte nicht, bei den Instrumenten auch Begleitfunktionen zuzumuten, so als müsse einer hin ter den anderen zurücktreten. Solch partnerschaftliches Verhalten übernahm Mozart offensichtlich von Schuster und formte es aus nach eigenem »gus- to«. Es wurden die ersten wirklich »konzertierenden« Klavier-Violinsonaten Mozarts, ein großer Schritt in seinem Kammermusikschaffen auf dem Wege zur thematischen Durchdringung einerseits und einer satztechnischen und formalen Vielfalt andererseits. Josepha von Auernhammer (1758 - 1820), später eine gefeierte Pianistin, hatte schon als Mozarts Klavierschü lerin herausragende Fertigkeiten ent wickelt, die der Meister ebenso lobte, wie er ihr offensichtlich hässliches Äu ßeres kritisch sah (»... die freulle ist ein Scheusal! - spiellt aber zum entzük- ken«, Brief Mozarts an den Vater). Mo zart ist verschiedentlich mit ihr öf fentlich aufgetreten und hat ihr mehrere Werke gewidmet. «... ich schicke meiner Schwester hier 6 Duetti ä Clavicembalo e Violine von schuster. Ich habe sie hier schon oft gespiellet. Sie sind nicht übel. H/en ich hier bleibe, so werde ich auch 6 ma chen, auf diesen gusto, dann sie gefal len sehr hier...«, schrieb Mozart am 6. Oktober 1777 nach Hause. Der Lernende Zwischen 1764 und 1766, während der großen Reise mit Schwester »Nan- nerl« und seinen Eltern u.a. nach Frankreich, England und Holland, kom ponierte er sechzehn Sonaten, die der Vater als die ersten Werke noch un terwegs in vier geschlossenen Opera drucken ließ (je zwei Sonaten als op. 1 und op. 11 in Paris, je sechs als op. 111 in London und als op. IV in Den Haag). Ganz dem Zeitgeschmack geschuldet, handelt es sich hierbei um Klavierso naten, die von der Violine lediglich begleitet werden. In einigen unserer Konzerte werden wir die sechs »Haager« Sonaten hören, KV 26 bis 31. Hier beweist sich der noch Lernende schon als ein bereits aus geprägt Selbständiger. Die Violine begleitet zwar noch das Klavier und hat eine eher koloristische Funktion, indem sie Akkordtöne ausfüllt, als eine Füh rungsrolle. Sie hält sich meist bescheiden in der Mittellage, unterhalb der obe ren Hand des Klaviers, »das sehr böse würde«, wie Alfred Einstein in seinem lesenswerten Buch über Mozart meint, »wollte die Geige wirklich dominie ren«. Doch in dem jungen Mann hatte sich ein neuer Geist geregt, zu be merken bereits in den »Londoner« Sonaten, aber noch deutlicher nun in der »Haager« Serie. In London lernte Mozart den jüngsten Bach-Sohn, Johann Christian, kennen, der aus Italien gesangsmäßige Allegrothemen mitgebracht hatte. Mozart griff diese Kompositionsart so vehement auf, als sei in ihm selbst eine klingende Saite angeschlagen worden und als habe er nur auf ei nen solchen Anstoß gewartet. Alsbald sollte das »singende« Allegro in star kem Maße ein Hauptmerkmal seiner raschen Sätze werden und seine Kom positionsweise flüssiger und eleganter machen. Der Selbständige Der heranwachsende Mozart lernte seither noch vieles, nahm von seinen Vor bildern auf, was ihm nützlich erschien, konstruierte nicht lange herum, hat te im Ohr, wie es andere machten und formte daraus Eigenes. Ohne Mühe konnte er seinen künstlerischen Gedanken ein persönliches Gepräge geben. So komponierte er, wie es ihm unter die Finger kam, schrieb für den eige- :. Seltsamerweise aber schrieb er vorerst keine Violinsonaten, wenngleich alle seine Violinkonzerte. Das änderte sich erst, nachdem er - wieder ein mal auf Reisen unterwegs nach Mannheim und Paris, nun schon 21-jährig - in München abermals ei nen Anstoß von außen erhielt. Er hatte sechs Violinsonaten eines ge wissen Schuster, vielleicht Joseph Schuster, seit 1772 Kapellmeister in Dresden, kennen gelernt. )m Janu- ar/Februar 1778, noch in Mannheim, begann er selbst mit der Komposition solcher »Duetti«. Es wurden sieben Sonaten. Sechs davon - gewidmet der Kurfürstin von der Pfalz, Maria Elisabeth, - gab er schließlich noch 1778 in Paris in Druck (KV 301 bis 306). Der Erfahrene Nun gab es keine langen Pausen mehr. Mozart veröffentlichte 1781, diesmal in Wien, eine neue Sechser-Gruppe Violinsonaten (KV 296, 376 bis 380) und widmete sie seiner Klavierschülerin Josepha von Auernhammer. Die erste So nate (C-Dur KV 296) hatte er noch 1778 im Zusammenhang mit der vorherigen Serie in Mannheim kom poniert, sie aber nicht in die dama lige Werkfolge aufgenommen. Eine weitere Sonate (B-Dur KV 378) war nach 1779 in Salzburg entstanden, die übrigen vier Werke erst 1781, als er versuchte, sich in Wien als freier Mann zu etablieren. Von einer der Sonaten (G-Dur KV 379) kennen wir sogar den Anlass ih rer Entstehung: Noch im Dienst beim ungeliebten Erzbischof Collore- do musste Mozart auf dessen ausdrücklichen Befehl für verschiedene Hof musiker, die in einem Akademie-Konzert in Wien auftreten sollten, Stücke lie fern. Er schrieb unter höchster Anspannung und in allerletzter Minute die o. g. Sonate für den Geiger Antonio Brunetti, den er so gar nicht leiden konnte (»... der grobe und schmutzige Brunetti.... der... der ganzen Musick schän de macht.«). Natürlich rannte ihm die Zeit davon. Er schaffte es nicht, alles vollständig niederzuschreiben, sondern verfertigte nur die Violinstimme. Wäh rend des Konzerts musste er daher den Geiger aus dem Gedächtnis am Kla vier begleiten. v 55^7^’S Brief an den Vater vom 8.4.1781: »heute hatten wir - denn ich schreibe um 11 uhr Nachts - accademie. Da wurden 3 stücke von mir gemacht. Versteht sich, Neue;... eine Sonata mit accompagnement einer Violin, für mich. - welche ich gestern Nachts von 11 uhr bis 12 Componirt habe - aber, damit ich fertig geworden bin, nur die accompagnementstimm für Brunetti geschrieben habe, ich aber meine Par- thie im Kopf behalten habe.« Trotz aller Eile und sonstiger unliebsamer Umstände war dem Komponisten gerade für dieses beschwingte Werk Besonderes eingefallen: Anstatt - wie derzeit üblich - einen konventionellen Allegro-Kopfsatz zu schreiben, beginnt das Werk mit einem ausführlichen Adagio-TeiL Das Klavier schlägt nacheinander drei harfenartig gebro chene Akkorde an und entwickelt herrliches melodisches Material, be vor die Geige überhaupt einsetzen darf. Eine neue, süße Melodie aber begleitet das Klavier mit harfenähn lichen 32steln. Damals bürgerte sich der Titel »Harfen-Sonate« ein. Nach dieser gewichtigen Adagio-Fantasie folgt natürlich das längst erwartete Allegro, allerdings kein mozartisch- liebliches, sondern eins mit »spre chender« Musik, mit stürmisch-bril lanten Passagen und einem dramatischen Schluss. Ein langsamer Satz war nun nicht mehr nötig, und der Finalsatz gibt sich höchst liebenswürdig: fünf Variationen über ein liedhaftes Andante cantabile. Obwohl im Sprachgebrauch der Zeit immer noch davon ausgegangen wur de, solche Stücke als »Klaviersonaten mit Begleitung einer Violine« zu be trachten - so auch der Titel auf dem französischen Erstdruck -, war Mozart bei dieser Serie auf dem einmal eingeschlagenen Wege fortgeschritten, ech te kammermusikalische Zwiegespräche zu komponieren, also beiden Instru menten gleiche Rechte einzuräumen. Inzwischen hatte sich auch der zykli sche Aufbau der Sonaten von einer meist zwei- zu einer dreisätzigen Abfolge verändert, die melodische Struktur und die Harmonik unglaublich verfeinert. Die gedruckte Ausgabe der sechs Sonaten - man gedachte, vor allem musik interessierte Dilettanten zu erreichen - wurde begeistert aufgenommen und als Besonderheit gefeiert. In einer auffallend lobenden Rezension konnte fest gestellt werden, daß diese Sonaten »die einzigen ihrer Art [sind]. Reich an neuen Gedanken und Spuren des grossen musicalischen Genies des Verfas sers. Dabey ist das Accompagnement der Violine mit der Clavierpartie so künstlich verbunden, daß beide Instrumente in beständiger Aufmerksamkeit unterhalten werden; so daß diese Sonaten einen ebenso fertigen Violin- als Clavier-Spieler erfordern.« Der Reife Im April 1784 komponierte Mozart eine neue Sonate, die in B-Dur KV 454. Sie war gedacht für die seinerzeit berühmte Geigerin Reginä Strinasacchi.;Na- türlich musste alles wieder sehr schnell gehen, »weil wir Denn eßt ag irhämca- ter bey der Akademie zusammen spielen werden«, wie Mozart seinem Vater mitteilte. Am 29. April fand das Konzert in Anwesenheit Kaiser Josephs 11. im Wiener Kärntnertor-Theater - ohne vorherige Probe - statt, und Mozart »ihr Adagio kann kein Mensch mit mehr Empfindung und rührenderspie len ...; ihr ganzes Herz und Seele ist bey der Melodie, die sie vorträgt; und eben so schön ist ihr Ton ...«, schwärmte Leopold Mozart seiner Tochter über die Strinasacchi vor. musste wieder einmal aus dem Gedächtnis spielen. Erst für die Drucklegung kom plettierte er das Werk. Dieses Mal aber war sich der Komponist bewusst, dass er für eine professio nelle Künstlerin schaffen musste, nicht wie bisher für fc Ml- -7 geigende und Klavier spie- * lende Laien. Er reagierte auf die Geigen-Virtuosin, etwa auf ihr gefühlvolles Spiel in den langsamen Sätzen und V verstand es, in diesem Werk Virtuosität mit empfindsamer und beredter Melodik zu ver binden und so auch für die Gat tung der Violinsonate ein wahres Meisterwerk zu schaffen - nach groß artigen Werken ganz anderer Art, wie z.B. die Oper »Die Entführung aus dem Serail« (1782), eine Reihe bedeutender Sinfonien und großer Klavierkonzerte. Alles daran sei »imponierend«, meinte der Kritikerpapst Joa chim Kaiser, »die majestätische Allüre der machtvollen Largo-Einleitung mit ihren schwie rigen Doppelgriffen, die seelische Weite zwischen leuch tendem Witz und dunkler Depressi on.« Man kann sich keinen langsa men Satz denken, in dem Gefühl und konzertierender Glanz inniger ver schmolzen wäre. Mozart hatte Ge fühl und Verstand einer Primadonna auf der Geige gewidmet! Im Dezember 1785 komponierte Mo zart die Sonate Es-Dur KV 481. Ein Anlass ist nicht bekannt, doch der große Gestus wie bei der B-Dur-Sonate ist geblieben: kammermusikalisches Duettieren ganz im Sinne eines Solo-Konzertes. So ist auch verständlich, dass Mozart diese beiden Sonaten als wirkliche Individuen behandelt hat und sie einzeln drucken ließ, nicht wie vorher mit anderen zusammen in einem Band.