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»Ich sage Ihnen vor Gott, als ein ehrli cher Mann, Ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und dem Nahmen nach kenne« - erklärte Joseph Haydn, der damals gefeiertste Meister, gegenüber Wolfgongs Vater Leopold, »er hatgeschmack, und über das die größte Compositionswissen- schaft!« «... ich schicke meiner Schwester hier 6 Duetti ä Clavicembalo e Violine von schuster. Ich habe sie hier schon oft gespiellet. Sie sind nicht übel. Wen ich hier bleibe, so werde ich auch 6 ma chen, auf diesen gusto, dann sie gefal len sehr hier...«, schrieb Mozart am 6. Oktober 1777 nach Hause. Der Lernende Zwischen 1764 und 1766, während der großen Reise mit Schwester »Nan- nerl« und seinen Eltern u.a. nach Frankreich, England und Holland, kom ponierte er sechzehn Sonaten, die der Vater als die ersten Werke noch un terwegs in vier geschlossenen Opera drucken ließ (je zwei Sonaten als op. 1 und op. II in Paris, je sechs als op. 111 in London und als op. IV in Den Haag). Ganz dem Zeitgeschmack geschuldet, handelt es sich hierbei um Klavierso naten, die von der Violine lediglich begleitet werden. In einigen unserer Konzerte werden wir die sechs »Haager« Sonaten hören, KV 26 bis 31. Hier beweist sich der noch Lernende schon als ein bereits aus geprägt Selbständiger. Die Violine begleitet zwar noch das Klavier und hat eine eher koloristische Funktion, indem sie Akkordtöne ausfüllt, als eine Füh rungsrolle. Sie hält sich meist bescheiden in der Mittellage, unterhalb der obe ren Hand des Klaviers, »das sehr böse würde«, wie Alfred Einstein in seinem lesenswerten Buch über Mozart meint, »wollte die Geige wirklich dominie ren«. Doch in dem jungen Mann hatte sich ein neuer Geist geregt, zu be merken bereits in den »Londoner« Sonaten, aber noch deutlicher nun in der »Haager« Serie. In London lernte Mozart den jüngsten Bach-Sohn, Johann Christian, kennen, der aus Italien gesangsmäßige Allegrothemen mitgebracht hatte. Mozart griff diese Kompositionsart so vehement auf, als sei in ihm selbst eine klingende Saite angeschlagen worden und als habe er nur auf ei nen solchen Anstoß gewartet. Alsbald sollte das »singende« Allegro in star kem Maße ein Hauptmerkmal seiner raschen Sätze werden und seine Kom positionsweise flüssiger und eleganter machen. wieviel Kunstfertigkeit sich in diesem Menschen offenbarte. Selbst Goethe, der nicht viel neben sich gelten lassen wollte, meinte: »Eine Erscheinung wie Mozart bleibt immer ein Wunder, das nicht weiter zu klären ist.« und »In Mo zarts Werken wohnt eine zeugende Kraft, die in Jahrhunderten noch nicht ver zehrt sein dürfte.« Wir können dem nur beipflichten und begreifen, wie stark sich schon bald nach Mozarts frühem Tod das Verlangen ausbreitete, diesen Liebling Gottes (Amadeus als latinisierte Form von Gottlieb) in den Olymp zu heben. Man war geneigt, in ihm nur noch das Göttliche zu sehen und geriet in Versuchung, ihn nur im Licht einer falschen Idealität zu sehen. Wüssten wir nichts von seinem Leben, so erschiene er uns tatsächlich als halb mythische Persönlichkeit wie Shakespeare, und die Klavierkonzerte, seine gro ßen Sinfonien, »Don Giovanni« und »Zauberflöte« könnten als Produkte einer halbanonymen Schöpferkraft wie die Dramen des Dichters aus Stratford-upon- Avon gelten. Aber wir kennen den Menschen Mozart, den sehr lebensfrohen, immer aber auch durch tiefe Täler schreitenden und dennoch fröhlich schaf fenden. Wir wissen um seine Freuden und Nöte, dass er sein Leben nicht im mer zu meistern verstand, Schwächen hatte wie wir und dennoch Kraft und Willen aufbrachte, unentwegt zu schaffen. Doch ihm bleibt das Geheimnis ei nes jeden schöpferisch Tätigen: das Geschenk des Geistes, das ihm im Über maß zuteil wurde. Was ist von Mozart geblieben? Vieles, sollte man meinen! Wir können hö ren, was er hinterlassen hat, können uns daran erfreuen, es staunend be trachten, in uns aufnehmen und lebendig erhalten. Wir dürfen dabei sein in diesem »Mozart-Jahr«, wir feiern ihn und dürfen seine Musik erleben in ei nem bisher kaum erreichten Maße. Innerhalb der Kammermusikreihe widmen wir uns Mozarts Violinsonaten, einem sehr spe ziellen Zweig seines Schaffens. Wolfgang Amadeus war nicht nur ein herausragen der Klavierspieler, sondern wurde als Sohn des Geigers Leopold Mozart auch zu einem guten Geiger erzogen. Kein Wunder, dass bereits der Knabe auch für dieses Instrument zu kom ponieren begann. Doch in dieser Zeit gab es die Form der Violinso- nate noch nicht in seiner entwi ckelten Form. Hier tat sich, wie für viele andere Musikformen in der Zeit des Übergangs vom Barock zur Klassik, ein großar tiges Experimentierfeld auf, und Mozart konnte sich flei ßig ausprobieren. er Name Mozart ist, gleich den Namen Beethoven und Haydn, an eine einzige Gestalt gebunden und, ihr entsprechend, in anderer Verkörpe rung unvorstellbar; undenkbar, dass heute jemand einer solchen Vorgabe ge wachsen wäre. Doch eindeutiger als die anderen beiden Namen ruft >Mozart< bei all jenen, die das Prädikat >musikalisch< - was immer es bedeuten mag - für sich in Anspruch nehmen, die Bezeichnung einer besonderen rezepti ven Verfassung hervor, eine Art Verklärung: Hier denn - so etwa lautet die unausgesprochene Begründung eines kollektiven Empfindens - steht eine einmalige und wahrhaft einzigartige Erscheinung unangefochten und für immer auf der Kreditseite des Lebens, so beherrschend und allgegenwärtig, dass sie mit manchem versöhnt, was das Leben uns schuldig bleibt.« So beginnt Wolfgang Hildesheimers be kanntes Buch über Wolfgang Ama deus Mozart, ein einfühlsamer Be richt über Leben und Werk des Frühvollendeten. Aber schon einige Zeitgenossen Mozarts standen staunend vor dem musi kalischen Genie, sahen in ihm das wunderbarste Talent, das sich je in der Musik Ausdruck verschafft hatte und bemerkten, welches Schöpfertum und Der Selbständige Der heranwachsende Mozart lernte seither noch vieles, nahm von seinen Vor bildern auf, was ihm nützlich erschien, konstruierte nicht lange herum, hat te im Ohr, wie es andere machten und formte daraus Eigenes. Ohne Mühe konnte er seinen künstlerischen Gedanken ein persönliches Gepräge geben. So komponierte er, wie es ihm unter die Finger kam, schrieb für den eige nen Gebrauch und erfüllte Aufträge. Seltsamerweise aber schrieb er vorerst keine Violinsonaten, wenngleich alle seine Violinkonzerte. Das änderte sich erst, nachdem er - wieder ein mal auf Reisen unterwegs nach Mannheim und Paris, nun schon 21-jährig - in München abermals ei nen Anstoß von außen erhielt. Er hatte sechs Violinsonaten eines ge wissen Schuster, vielleicht Joseph Schuster, seit 1772 Kapellmeister in Dresden, kennen gelernt. Im Janu- ar/Februar 1778, noch in Mannheim, begann er selbst mit der Komposition solcher »Duetti«. Es wurden sieben Sonaten. Sechs davon - gewidmet der Kurfürstin von der Pfalz, Maria Elisabeth, - gab er schließlich noch 1778<in Paris in Druck (KV 301 bis 306).