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Eine positive Erklärung Ich habe vorige Nacht lange darüber nachgegrübelt, ob ich nicht von dieser unendlichen, unbe grenzten Gattung, der Komödie des Shakespeare, eine positive Erklärung geben könnte. Nach langem Hin- und Hersinnen schlief ich endlich ein, und mir träumte, es sei sternenhelle Nacht, und ich schwämme in einem kleinen Kahn, auf einem weiten, weiten See, wo allerlei Barken, angefullt mit Masken, Musikanten und Fackeln, tönend, glänzend, manchmal nah, manchmal ferne, an mir vorbeifuhren. Das waren Kostüme aus allen Zeiten und Landen: altgriechische Tu niken, mittelalterliche Rittermäntel, orientalische Turbane, Schäferhüte mit flatternden Bän dern, wilde und zahme Tierlarven. Zuweilen grüßten vertraute Weisen. Aber das zog immer schneller vorüber, und lauschte ich eben den Tönen der freudigen Melodie, die mir aus einer da hingleitenden Barke entgegenjubelten, so verhallten sie bald, und anstatt der lustigen Fiedeln er- seufzten neben mir die melancholischen Waldhörner einer anderen Barke. Manchmal trug der Nachtwind beides zu gleicher Zeit an mein Ohr, und da bildeten diese gemischten Töne eine seli ge Harmonie. Die Wasser erklangen von unerhörtem Wohllaut und brannten im magischen Wi derschein der Fackeln, und die buntbewimpelten Lustschiffe mit ihrer abenteuerlichen Masken welt schwammen in Licht und Musik. Eine anmutige Frauengestalt, die am Steuer einer jener Barken stand, rief mir im Vorbeifahren: »Nicht wahr, mein Freund, du hättest gern eine Defini tion von der Shakespeareschen Komödie?« Ich weiß nicht, ob ich es bejahte, aber das schöne Weib hatte zu gleicher Zeit ihre Hand ins Wasser getaucht und mir die klingenden Funken ins Gesicht gespritzt, so daß ein allgemeines Gelächter erscholl und ich davon erwachte. HEINRICH HEINE