Johannes Brahms Haydn-Variationen Haydn zu Ehren S chritt für Schritt näherte sich Johannes Brahms jener Bestim mung, die Robert Schumann dem 20jährigen aufgebürdet hatte: „Das ist der, der kommen musste." Streng zu sich selbst, entwickelte der solcherart Beru fene seinen Stil fernab aller vorüberge henden Moden vor allem aus den gro ßen Traditionen der Vergangenheit. Dabei boten ihm Gattungen wie Sere nade, Solokonzert, Ouvertüre und Variation willkommene Gelegenheiten, seine Sicherheit im Umgang mit dem Sinfonieorchester zu vervollkommnen, bevor er sich endlich an seine erste Sinfonie wagte. Ein Meilenstein auf dem Weg zur Sin fonie sind die Variationen über ein Thema von Joseph Haydn. Doch erstens gibt es sie gleichberechtigt zur Orche sterfassung auch in einer parallel ent standenen Fassung für zwei Klaviere, zweitens sind sie seit ihrer Urauffüh rung am i. November 1873 durch die Wiener Philharmoniker unter Brahms’ Leitung weit mehr als nur eine Vorstufe zu Bedeutenderem, und drittens stammt das berühmte Thema gar nicht von Joseph Haydn. Brahms hatte den „Choräle Sti. Antonii“ 1863 in einem Manuskriptstapel des Wiener Archivars Karl Ferdinand Pohl gefunden und sich sofort für das schlichte Musikstück interessiert. Pohl, der erste Biograph Haydns, und Brahms hielten die Melodie für Haydns Idee, auch wenn sie weder in dessen Handschrift vorlag noch irgend ein Hinweis auf die Autorschaft existier te. Aber Brahms’ Phantasie entzündete sich an dem Gedanken, etwas für den großen Vorgänger tun zu können. So nahm er den Bläserchoral, der über ein gewichtiges Bassfundament verfügte (3 Fagotte und Serpent/ Kontrafagott) und phantasierte darüber in acht Varia tionen und einem Finale. „ Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wun derbarere Blicke in die Geheimnisse der Ceisterwelt bevor" (Robert Schumann über Johannes Brahms). Der in Hamburg geborene Johannes Brahms erhielt bereits früh Klavierunterricht und kom ponierte als Jugendlicher erste Werke. In frühen Jahren veröf fentlichte er seine Kompositionen häufig unter Pseudonymen wie „C. W. Mareks" und „Karl Würth" und versah sie mit höheren Opuszahlen. Als virtuoser Pianist schrieb Brahms anfangs aus schließlich Klavierwerke. An die Komplexität des Orchesterklangs wagte er sich erst später und suchte auch als umjubelter Meister immer noch Rat bei befreundeten Komponisten. (Links: Brahms, 1874)