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gedeuken des Nächsten auf diesen industriellen Fort schritt, den wir mit Freuden begrüßen, noch ein mal zurückzukommen und darüber ein Näheres zu berichten. Der Prozeß Verger's. Paris, 17. Januar- Seitdem bekannt gewor den war, daß der Mörder Louis Berger heute vor den Assisen der Seine erscheinen sollte, wur den Alle, die zu dem Justizpalaste in irgend einer Beziehung stehen, um Eintrittskarten zu dieser Sitzung bestürmt. Da der Saal des Assisenhofes nicht sehr geräumig ist, so konnte kaum ein Zehn tel von Denen zugclassen werden, welche irgend ein Recht auf diese Gunst hatten. Die Advoca- ten selbst, die einen integrirenden Bestandtheil des Justizpalastes ausmachen, fanden sich bereits um 7 Uhr Morges im Hofe des letztem ein, um ge duldig die Eröffnung der Pforten zu erwarten, da man ihrer nur 40 zulaffen konnte. Das di plomatische Corps und Fremde von Distinction waren zu dieser Feierlichkeit eingeladen worden. Man bemerkte unter den Anwesenden den Prinzen Murat, Lord Clarendon, Lord Cowley, den türki schen Gesandten, den Grafen Malewski rc. Längst vor Beginn der Sitzung waren alle Raume gefüllt, und alle Blicke wendeten sich nach dem kleinen Pförtchen, in welchem gegen 10 Uhr der Angeklagte erschien, um sich inmitten einer Masse von Gen darmen aller Grade auf der Anklagebank nieder zusetzen. Ein scharf markirtcs Gesicht mit einge drückter Nase, schwarzem Haare und schwarzen Augen verrieth den Fanatiker, der in der Person des Erzbischofs einer Idee den Krieg erklärte; ein un gebändigter Stolz spricht aus diesem Menschen, der sich über alle Menschen und menschlichen In stitutionen erhaben glaubt, Alles schlecht findet und in seinem Uebermulh so weit geht, den chren- werthen Präsidenten des Gerichtshofes und ehren- werthe Zeugen zu beschimpf??«. Er verweigert zu erst jede Erklärung, weil man sich geweigert, 60 Zeugen zu citiren, die er bezeichnet, hierauf schreit er, die Bertheidigung sei nicht frei, weil man ihm Papiere und Zeugen verweigere, die ihm zu seiner Bertheidigung unentbehrlich seien. Mit einem Cy- nismus ohne Gleichen schleudert er die abscheulich sten Anklagen gegen einzelne Zeugen und gegen den Bischof von Meaux. Zwanzig Zeugen wer den vernommen, die über seine durch die Blätter bereits mitgethcilten Antecedentien Auskunft geben; der Präsident muß zu wiederholten Malen den Gendarmen befehlen, Verger zum Schweigen zu bringen, der jeden Sprechenden unterbricht. Als um halb 2 Uhr, mitten unter lebhaften Störungen von Seiten Verger's, die Sitzung suspendirt und er abgcsührt wird, schreit er im Abgchen: „Volk! verlheidige mich!" worauf ihm das. Publikum mit lebhaften Zeichen des Unwillens antwortet. Ein grenzenloser unbefriedigter Ehrgeiz scheint dieHaupt- ursache seines Verbrechens zu sein, das er seinem Geständniß zufolge bereits am 31. Januar 1856, also vor einem Jahre, beschlossen hat. Nachdem er suspendirt worden, habe er in der Kirche Notre- dame auf den Knien liegend dem Erzbischof einen Brief überreicht, worin er um eine kurze Audienz gebeten. Der Erzbischof habe sie ihm verweigert, worauf er den Entschluß gefaßt habe, ihn zu töd- ten. Ein Zeuge sagte aus, er habe sich bei ihm erkundigt, ob er zur protestantischen Confcssion übergehen könne; Verger bejaht dieses und fügt hinzu: „Ja, ich wollte es; ich sah aber bald, daß beide im Jrrthum sind, sowohl die Katholiken als die Protestanten." Als der Gcneralprocurator das Wort nehmen wollte, sprang Verger auf und schrie unaufhörlich: „Sie dürfen nicht sprechen, ick lasse Sie nicht sprechen, ich entziehe Ihnen bas Wort!" worauf der Gerichtshof sich genöthigt sah, die Si tzung abermals zu suspendiren. Beim Wiederbe ginn erklärte der Präsident, das Gericht habe die Entfernung des Angeklagten und die Fortsetzung der Verhandlung in seiner Abwesenheit beschlossen. Nachdem der Staatsanwalt gesprochen, der Vcr- theidiger zu beweisen gesucht, sein Client sei nicht im vollen Besitz seiner geistigen Kraft, zog sich die Jury in ihr Berathungszimmer zurück und er schien bald darauf mit einem Verbiet, welches Berger des Verbrechens des Mordes mit Borbe dacht schuldig erklärte, worauf ihn der Gerichtshof zum Tode vcrurlheilte. Gleich nach der Sitzung, die um 5 Uhr schloß, begab sich der Grefsier-en chef in Begleitung des Vertheidigers rc. zum Ver- urtheilten ins Gefängniß, um ihm sein trauriges Loos zu verkünden. Vermischtes. Göttingen, 17. Januar. Ein bedeutender Eisenbahnunfall setzt heute unsere Stadt in Auf regung. Auf der Höhe von Dransfeld waren fünf oder sechs schwerbeladene braunschweigische Güter wagen eines Extrazugs ausgehängt, weil an der sie führenden neuen Maschine etwas zu prüfen war. Ehe man sich's versah, geriethen diese Wagen durch ihre Schwerkraft in eine leise Bewegung und roll- ten dann schneller und schneller nach Göttingen