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623 ten Hände hielten noch das auSgeraufte GraS zwi- schen den Fingern. Alle Todten, deren Gesichter von Schmerz verzerrt aussahen, waren mit dem Bayonnet erstochen worden; die mit dem ewigen Lächeln auf den Lippen waren erschossen. Aber die Verwundeten! Zwei Tage lang waren sie auf dem Platze, wo sie fielen, liegen geblieben. ES waren ihrer sehr wenige, das ist wahr, aber mit all unsern Nachsuchungen hatten wir noch lange nicht die Mysterien jenes blutbefleckten Abhangs erforscht, und heute Mittag erst wurde der letzte verwundete Engländer ins Spital geschafft. Zahl reicher lagen die stöhnenden und zuckenden Russen umher. Einige waren in Hausen übereinander geschichtet, des leichteren Transports wegen. An dere glotzten und starrten aus dem Gebüsch wie wilde Thiere; anderere flehten in unbekannter Zunge, aber in Tönen, die man nicht mißverstehen konnre, um Wasser und Beistand, bald die verstümmelten Arme zum Himmel streckend, bald auf die Fleisch spur der zerreißenden Spitzkugel deutend. Der ver bissene Zornausdruck auf manchem dieser Gesichter Halle etwas Furchtbares. Fanatismus und unaus löschlicher Haß sprach aus ihren fieberhaften Blicken, und wenn man sie auch milleivig betrachtere, so mußte man (wider Willen) doch begreifen, wie diese Menschen in ihrer Wuth fähig waren, auf den Sieger zu feuern, welcher ihnen einen Labc- teunk reichte. Es war eine Erleichterung, zu sehen, daß ihre Waffen zerbrochen waren. Ans dem gan zen Abhang sah man französische und englische Bah renträger, welche eine schwere Last, bald fürs Grab, bald fürs Spital, mühsam bergauf trugen. Un sere Leute haben sich eine schreckbare Fertigkeit in der Diagnose angeeignet. Da liegt z. B. ein Ge fallener vor Einem. „Halloh", schreit er, „ich habe einen Russen, oder einen Franzosen, oder einen der Unsern/' Einer aus der Gruppe tritt heran, hebt das Augenlid auf, guckt ins Auge und sagt achselzuckend: „Der ist todt und kann warten", und begiebt sich zu seiner Bahre zurück; Andere ziehen an den Füßen und erkennen daran ebenso sicher, ob Einer tobt oder noch lebend sei. Den Todten läßt man gewöhnlich nichts als den Rock am Leibe; dafür sorgt der Troß und das La- gcrgcsindel von Balaklava. Anderswo sieht man eine Gruppe mit der Schaufel beschäftigt. Die Gräber auf dem Abhange befinden sich 40 oder 50 Nards auseinander; jedes ist 30 Fuß lang, 20 Fuß breit und 0 Fuß tief; unten sieht man, kunstvoll gepackt, 30 — 40 Leichen in allen möglichen Stel lungen. Die Todtengräber stehen plaudernd am Rande, und speculiren, wer der neue Grabescan- didat sein mag, dm eben die Bahre bringt. „'S Ein Spaziergang über -as Schlachtfeld von Inkerman. Ein englischer Offizier, welcher am 7. Novbr., also zwei Tage nach der Schlacht, einen Gang über das Schlachtfeld von Inkerman unternahm, macht folgende Schilderung: „Am dichtesten lagen die Leichen auf dem Ab hange, den die 'Russen zu den Zelten der 2. Di vision hinaufgeklommen waren. Die wohlbekannten Bärcnmützen der englischen Garden, die rochen Röcke der britischen Infanterie und die hellblauen der französischen ChasseurS bezeichneten die Punkte, wo am heißesten gestritten ward. Den Todten war wohl — das kalt verglaste Auge, die glatte Stirn und die sanft geöffneten Lippen zeigten, wie friedlich Einer in der Schlacht sterben kann, wenn ihn eine Büchsenkugel inö Herz trifft. Die Bri ten und Franzosen, deren viele von den Russen ermordet wurden, als sie verwundet am Boden la gen, trugen die Spuren grimmigen und schreckli chen Toveskampfes auf dem Gesicht. Einige hatten die Erde aufgewühlt und die zum Himmel gestreck Proletariats. Das ist die zweite auf unserm Orte tastende Noth, welche ebenso schwer drückt als das Brandunglück selbst. Unsere Bedrängniß ist daher groß. Ein guter Geschäftsgang würde die zweite Noth wenigstens mildern; aber — in diesem Punkte wird das Herz eher von Furcht niederge- schtagen als von Hoffnung gehoben." Meerane, !. Decor. Die schon seit längerer Zeit anhaltende Theucrung der nothwendigstcn Le bensbedürfnisse hat auch hier, wie dies bereits längst im benachbarten Glauchau geschehen, den Abscheu vor dem Genüsse des Pferdefleisches be siegt. Ein hier wohnender Thicrarzt hat zum Verkaufe desselben die obrigkeitliche Erlaubniß er langt, und unsre Armen sind seitdem in den Stand gefitzt, sich für weniges Geld ein ansehnliches Stück Fleisch verschaffen zu können, während sie sich die Zeit daher des geringen Verdienstes wegen diesen Genuß unbedingt versagen mußten. Im Vergleich mit manchem andern Orte unsers gcwerbthäligen Sacbsens dürfen wir uns insofern noch glücklich preisen, als die hiesigen Fabrikanten gegenwärtig beinahe eine eben so große Anzahl Arbeiter be schäftigen, als früher in günstigerer Zeit, obwohl wir recht gern zugcstehen, daß damit manches Opfer für die Arbeitgeber verbunden sein muß, da hier bekanntlich sehr viel auf Lager gearbeitet wird.