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497 sten Nothfall einzutreten pflegt. Jetzt ist dieser Augenblick gekommen: die Garden marschiren. Un term 15. Septbr. wird nämlich aus Petersburg gemeldet, daß die ganze zweite Gardedivision, die zweite Artilleriebrigade und ein Husarenregiment mit Lager und Feldzeug die Hauptstadt verlassen haben, um sich auf den Marsch nach Polen zu begeben; zwei Tage später ist auch das Elitenre giment der Garde und der reitenden Grenadiere, in gleicher Weise ausgerüstet, von Petersburg ab- marschirt, nachdem vorher der Kaiser Musterung über dasselbe gehalten hat. Die Augsb. Allg. Ztg. stellt die Vermuthung auf, daß sowohl die neueren Truppenaushebungen in Westrußland, als auch der Ausmarsch der Garden als feindliche Maßre geln gegen Deutschland und Oesterreich zu betrach ten seien. „Rußland," sagt der Artikel, „kann die Freiheit seines Handelns erst wiedergewinnen, wenn Oesterreichs Macht und Willen gebrochen sein würde, das ist nur durch einen Kampf in ganz anderer Richtung, von Polen her, möglich, .als der An griffslinie auf die natürlichen Erobcrungsobjecte Galizien und die Bukowina, und auf das Herz der feindlichen Macht, Wien." Daß diese Befürch tungen nicht ganz aus der Luft gegriffen sind, be weisen nicht allein die kriegerischen Vorkehrungen, welche Oesterreich in Krakau und dessen Umgebung trifft, sondern cs wird auch in der letzten an die deutschen Höfe gerichteten österreichischen Circular note offen ausgesprochen, daß ein Angriffskrieg Rußlands gegen Oesterreich nicht zu den Unmög lichkeiten gehöre, und daß für einen solchen Fall schon jetzt Fürsorge getroffen werden müsse. Aus Amerika wird berichtet, daß die Reisernle beinahe gänzlich misrathen ist. Der Schaden wird auf mehrere Millionen Dollars geschätzt. Der Bericht des Marschalls St. Arnaud an den französischen Kriegsminister, die Schlacht an der Alma betreffend, ist aus dem Bivouac an diesem Flusse vom 20. Septbr. datirt und lautet wie folgt: „Wir sind heute auf den Feind an der Alma gestoßen. Er hatte mit bedeutenden Streitkräften die von dem Fluß durchströmte wal dige Schlucht, die hin und wieder von Häusern durchschnitten ist und nur auf drei Punkten Ueber- gänge bietet, sowie die sehr steil abfallenden Höhen des linken Ufers besetzt, die stark verschanzt und mit Artillerie bedeckt waren. Die verbündeten Truppen haben diese schwierigen Positionen mit beispiellosem Nachdruck angegriffen. Unsere Sol daten haben mit dem Rufe Vive I'Lmpereur! die vor ihnen befindlichen Höhen genommen. Die Schlacht an der Alma hat vier Stunden gedauert. Es ist «in schöner Anfang für unsere Waffen. Die französischen Truppen haben 1400 Mann Tobte und Verwundete. Der Verlust der engli schen Armee, die einen hartnäckigen Widerstand tapfer bekämpft hat, ist mir noch unbekannt." Frankenberg, den 6. Octbr. Während dem die Zeitungen uns genaue Nachrichten über den Fall Sebastopols gestern und vorgestern mit apodikti scher Bestimmtheit gaben, fangen sie, zu unserem nicht geringem Erstaunen, heute an, Zweifel in denselben zu setzen, und das Ganze für eine Börsen gaunerei zu halten. Run, es wäre dies Letztere wahrhaftig ein sehr starkes Stück, und in diesem Umfange wohl noch nicht dagewesen. Jedenfalls wird sich bis morgen zeigen, ob diese Eroberungs- geschichte wirklich nur eine großartige Zeitujigs- und Börsenente gewesen. Wäre es der Fall, wer möchte sich dann wundern, wenn die Lust am Zeitungslesen sich immer mehr und mehr abkühlt?! Unter diesen Umständen haben wir es daher auch für das Gerathenste gehalten, alle die bereit gehaltenen Berichte über Sebastopols Fall zurück zulegen, bis dahin, wenn wir wissen, woran wir mit demselben wirklich sind. D. Red. Vor längerer Zeit wurde in Warschau ein jun ger Pole wegen unbedachter Aeußerungen in einem öffentlichen Local nächtlich ausgehoben, und dessen Familie konnte aingeachtet der sorgfältigsten Nach forschungen nickt ermitteln, wohin man den Un glücklichen gebrockt. Ganz unerwartet erhielten nun in diesen Lagen die Angehörigen des Ver schwundenen, von dem ein Bruder Commis in ei ner Danziger Großhandlung ist, «in Schreiben des selben aus Frankreich. Der junge Mann ist näm lich nach gefälltem Urtheil als Staatsgefangener in die Festung Bomarsund zur Karrenarbeit expe-- dirt worden, und jetzt, nach der Eroberung der Festung durch die Franzosen, mit seinen Leidens gefährten aus der Kerkerhaft erlöst und mit den übrigen Kriegsgefangenen wohlbehalten in Frank reich gelandet. Was die gefangenen russischen Officiere in Eng land betrifft, wollen jetzt viele Leute bemerkt ha ben, daß sie durchaus nicht den Mustereremplaren gleichen, die der Kaiser von Zeit zu Zeit dorthin zu schicken für gut befunden hatte. Letztere waren höchst gebildete, feine, wohlerzogene Leute; dage gen sollen die gefangenen Officiere einen sehr un tergeordneten Grad von Bildung besitzen. Ohne Ausnahme sollen sie sich Alle mit unverhehltem Tadel über die Politik ihres Kaisers aussprechen. Amerikanische Blätter machen jetzt in Folge der unerhört starken Einwanderung ihre Glossen dar über, daß der Auswanderungsstrom aus dem herr lichen Deutschland sich nicht erschöpfen will.