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460 sende von Arbeitern und Arbeiterinnen zum Theil zum wörtlichsten Hunger oder zu wohlfeilen, fau len, verdorbenen Nahrungsmitteln vervammt, trägt ungemein viel zu den Verwüstungen der Krank- heitin den armen, niedrigen, dickt bevölkerten Stadt- theilen bei. Einer solchen Geschäfts- und Nah- rungslosigkcit, wie sie jetzt in London herrsckt, wissen sich nicht nur „die ältesten Leute", sondern auch noch ältere Chroniken nickt zu erinnern. Man wird am Tage und besonders spät Abends zuwei len von wirklich halb verhungerten Leuten mit dem entsetzlichsten Jammer angehalten. Am schlimm sten haben es in dieser Beziehung alle Diejenigen, deren Bart zeigt, daß sie Ausländer sind. Per sonen mit dem üblichen Backenbarte haben in die sem Zeichen der „Eingeborenheit" ein sicheres Schutzmittel gegen Atlaken der Art, da Gewohn heit und Gefühllosigkeit cs ihnen leicht machen, ganz ungerührt durch tausendfache Scenen namen losen Jammers, wie man sie nur in den Straßen Londons ausgestellt und aufgeführt sehen kann, zu gehen. Die Einzelheiten, welche man über die Ver heerung der Wasserfluthen in Sckesien erfährt, sind erschütternd. Es hat dort seit 1736 keine solche Ueberschwemmung staltgefunden. In einem Orte Namens Ransem hat die Oder den Kirchhof so tief weggeschwemmt, daß keine Leiche dort geblieben .und der Kirchhof fast spurlos verschwunden ist. Ein einziges Rittergut hat einen Verlust von etwa 40,006 Thlrn. Die klei nen Grundbesitzer haben ihr wenig eingeerntetes Getraide aus den Scheunen unten, wo es im Wasser stand, unter das Dach gebracht; da je doch die Dächer von Stroh sind, so hat das Re genwetter auch diese so durchgeschlagen, daß das Getraide unter dem Dache ausgewachsen und ver dorben ist. Von den sehnlich erwarteten Kartof feln ist den Meisten auck nicht Eine geblieben. Die Rübenzuckerfabriken müssen ihre Arbeiter ent lassen, weil die Rüben ersoffen sind. Das Vieh muß todtgestochen werden, wenn es nickt vor den Augen der Besitzer verhungern soll. Die Ver wüstungen an Gebäuden, die bis zum Einstürzen unterwühlt oder schon in Trümmern umherliegen, sind unübersehbar. Die Lage der Besitzenden, die ihre Verluste jahrelang nicht überwinden werden, ist traurig, die Lage der Armen schrecklich, um so schrecklicher, da die strenge Jahreszeit naht. Ein russisches Blatt bezeichnete unlängst in bit terer Ironie die Cholera als den einzigen Ver bündeten, welcher Rußland treugeblieben sei, und wenn man die Berichte über die Verheerungen liest, welche jene furchtbare Seuche im Lager der Verbündeten anrichtet, so muß man die Richtig keit jenes Ausspruches zugestehen. Es ist gewiß, daß die Franzosen bisher schon gegen 8000 Mann eingebüßt haben, und eine doppelt so große Zahl soll krank darnieder liegen; bei den Engländern aber betrug die Zahl der Lobten bis jetzt 4000, während ihr Krankenbestand 6000 Individuen um faßt. Der Prinz Napoleon und der Herzog von Cambridge sind beide leidend und sehnen sick nach der Heimath zurück; in Tbcrapia weilen gegen wärtig nicht weniger als sechs englische Genera.e, welche in der dortigen Luft Genesung suchen. Auf die Soldaten wirkt diese traurige Erscheinung nie derschlagend und entmuthigend, denn sie sehen täg lich Hunderte ihrer Kameraden hoffnungslos da hinsterben, und der ganze Feldzug brachte ihnen bisher nur Mühseligkeiten und Beschwerden, ohne sie dafür durch irgend einen Waffcnerfolg zu ent schädigen. Sie sehen sich zu rühmloser Unrhätig- keit verdammt, und der einzige Feind, den sie bisher erblickt, ist der furchtbare Todesengel, gegen dessen Macht menschliche Anstrengung nichts ver mag. Noch ehe in Lcvno das erste Zelt der Au- xiliartruppen aufgescklagen wurde, machten die Türken auf das ungesunde Klima jener Gegend, welche sie gewöhnlich mit dem Namen „Thal deS Toves" bezeichnen, aufmerksam, aber die fremden Generale achteten nickt auf den guten Rath der Moslims, und jetzt haben sie Ursacke es zu be reuen. Der Monat September ist übrigens noch gefährlicher als der August, denn mit ihm pflegen gewöhnlich die furchtbarsten Fieber zu kommen; unter diesen Umständen ist man in der türkischen Hauptstadt der Meinung, daß es zu irgend einer Kriegsthat der verbündeten Truppen in diesem Herbste kaum kommen werde, so sehr auch engli sche und französische Blätter ein derartiges Ereig- niß bestimmt itr Aussicht gestellt haben. Die bei spiellose Unthätigkeit, welche die Engländer und Franzosen bis jetzt gezeigt haben/ hat übrigens das Vertrauen der Türken in die Freundschaft der Westmächte bedeutend geschwächt, und sie fangen an, sich zu fragen, was wohl aus der Türkei geworden sein würde, wenn nickt Omer Pascha mit seiner tapfern Armee an der Donau den Rus sen erfolgreich die Spitze geboten hätte. Vor Al lem ist es der französische Oberbefehlshaber, Mar schall de St. Arnaud, welchem man die meiste Schuld beimißt, daß die Auriliartruppen noch nicht dem Feinde entgegengeführt worden sind; man spricht auch bereits davon, daß ein Wechsel im Oberbefehl der orientalischen Armee unerläßlich sei, wenn das von den Westmächten vorgesteckte Ziel der Kriegführung wenigstens annähernd er-