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522 nigen Tagen sind hier zwei Selbstmorde vorge. kommen. Der 75 Jahre alte Webermeister W., welcher mit seiner Frau und Kindern in stetem Unfrieden lebte, crhing sich, in derselben Nacht, in welcher seine Kinder das goldene Ehejubiläum der Leitern feierten, in seiner Kammer. An der Feier Theil zu nehmen, Halle W. verweigt. — Wenige Tage darauf erking fick auch eine Witwe Pf, deren Mann vor zwei Jahren verunglückt war, wahrscheinlich aus Nahrungssorgen. Johanngeorgenstadt, 16. Octbr. Unsere Kartoffelernte ist nun beendigt, aber leider nur ausnahmsweise besser als vier- oder fünffällig aus gefallen, doch kört man weniger als frühere Jahre über die Fäulniß der Früchle klagen. — Das Scharlachsieber wüthet noch immer hier; bis heute sind in diesem Monat schon wieder 1t Kinder gestorben. Wie wir schon in ^4/ 79 d. Bl. gemeldet, ist vor Kurzem eine größere Anzahl bemittelter Ein wohner aus Glauchau forlgegangcn, mit der Absicht, nach Brasilien auszuwandern. Jetzt sind Briefe in Glauchau eingelroffen, nach welchen die selben leider! eine sehr traurige Fahrt zu fürchten haben. Auf dem Schiffe, mit welchem sie am 30. Septbr. Hamburg verlassen haben, ist die Cholera ausgevrochen und soll schon 8 Opfer hin- gerafft haben. ' —— Getraidepreise in der Vergangenheit und Gegenwart. Unter den trübseligen Zuständen der Gegenwart stehen Theurung aller Lebensmittel, Mattigkeit im Geschäftsgänge und in einigen Gebirgstheilen unsers Vaterlandes sogar Erwerbslosigkeit oben an. Diese Verhältnisse lasten gerade auf denjeni, gen Familien am stärksten, welche sich scheuen, die öffentliche Wohlthätigkeit in Anspruch zu neh men. Mit banger Besorgniß und Muthlosigkeit blicken Viele dem Herannahen des Winters entge gen. Ja man besorgt sogar, daß die früher» wohl feilen Preise nie wieder eintreten und daß das Ein kommen der meisten Familien auch für alle Zukunft zu schwach bleiben werde, um einen sorgenfreien Lebensgenuß gestatten zu können. Ein Blick auf die Vergangenheit kann uns hier manchen Trost bieten, denn-er lehrt uns, daß theure und wohl feile Zeiten mit einander abwechseln und daß un sere Vorfahren oft weit härtere Theurung erlebt und doch überstanden haben. Wir schlagen ohne Weiteres das Buch der Geschichte auf und lesen darin: In den Jahren 1315, 1316, 1317 ko stete 1 Loth Gerstenbrod 9 Pfennige (ein alter Groschen), nur der hohe Adel und die Fürstcnta- feln hatten einiges Brod. Der Landgraf und an. dcre Fürsten verordneten auf Anratben des Bi schoffs Benno, daß die Broddiebe keiner Strafe unterworfen wurden. Im Jahre 1317 kostete zu letzt die Metze Weizen 2 Mark Silver (über 26 Thaler) und in Thüringen gar fünf Mark; Brod war gar nicht mehr vorhanden. Gemahlene Birken rinde mit Rüben gekocht, das einzige Gewächs noch, welches die Erde trug, war Speise für die Wohl habenden, Tausende von Menschen mußten ver hungern. Alles Vieh und Geflügel war bereits verzehrt, die gefallenen Pferde und anderes AaS erregte keinen Ekel mehr und ward gierig genos sen. Am Rhein, in der Pfalz und in Hessen, in der Mark Schlesien und in Polen wurden keine Leichen mehr beerdigt, sondern ohne Scheu geges sen, was alle Geschichtsschreiber ausdrücklich berich ten. Am Rhein umlagerte man die Galgen und Hochgerichte, um die vielen Verbrecher sogleich herunter zu reißen und zu verzehren, nickt selten unter Mord und Todtschlag. Aus Erfurt trug man 1317 auf 7856 verhungerte Menschen auf den Gottesacker, welche nur durch starke Bewa chung vor dem Ausgräber: geschützt werden konn ten. — Im Jahre 1432 wurde die Ernte Sach sens durch fürchterliche Regengüsse und Wasserflu- then vernichtet. In Thüringen gingen 40 Dörfer und Flecken sammt Menschen und Vieh zu Grunde. Von 1434 bis 38 war so große Theurung in Sach sen, daß Tcmsende nach den Niederlanden wander ten, um bei den dortigen Bauten Brod zu suchen. In den letzten Jahren des dreißigjährigen Krieges stieg der Scheffel Korn manchmal auf 60 Thaler. Im Jahre 1662 trat durch anhaltende Regengüsse große Theurung ein, so daß der Sckeffel Korn 7 Thaler kostete; 1694 kamen in hiesiger Gegend Erdbeben vor, worauf große Regengüsse folgten, so daß die Lehren vom Halme geschnitten und in der Stube getrocknet werden mußten, aber kein Mehl gaben; 1695 wurde die Ernte durch große Hagelwetter und hernach durch Millionen von Mäusen vernichtet; 1697 regnete cs im August und September heftig und im October siel schon Schnee, so daß ein Pfund Brod bis 18 Pfennige stieg; 1699 ließ sich bei der furchtbaren Theurung mancher Familienvater unter die Heere aufneh men, die August der Starke zur Behauptung der polnischen Königskrone anwarb; 1719 nahmen die Bewohner des Erzgebirges zu den unnatürlichsten Nahrungsmitteln wie Stroh, Heu, Gras rc. ihre Zuflucht. Am 11. Octbr. 1762 galt in Freiberg der Scheffel Korn 11 Thlr. 8 Gr., der Weizen