DRESDNER PHILHARMONIE In einem anderen Sinne diente die Konvention dann dazu, die Expressivität freizusetzen. Die Kon zerte gewähren uns den besten Einblick in die Art und Weise, wie Beethoven auf der öffentlichen Bühne und in direkter Kommunikation mit dem Publikum agierte. Hierbei ist es wichtig, sich an die historische Beziehung zwischen Konzert und Arie zu erinnern. Im 18. Jahrhundert gab es im Kon zert und in der Arie dasselbe Verfahren: das Wech selspiel nämlich von tonal stabilen Orchester passagen (Ritornellen) und frei gestalteten, modulierenden Solo-Abschnitten. Zu Mozarts Zeit hatte man begonnen, dieses Verfahren in die Prin zipien der Sonatenform (Exposition, Durchführung, Reprise) einzupassen, doch blieb die Rolle von Solist und Orchester im Konzert gleichermaßen opernhaft wie sinfonisch. Tatsächlich wird durch die Beteiligung der Orchestermusiker (namentlich der Bläser) in dem sinfonischen Dialog die Unter scheidung zwischen Bühne und Graben aufgelöst. Der Dialog zwischen Sänger und Orchester ist ei ner der Glanzpunkte in Mozarts reifen Opern, und es gehört wenig Fantasie dazu, in seinen Konzer ten dieselben Interaktionen zu hören. Gleiches gilt für Beethovens Konzerte. Im »Fi delio« war die Bühne echt, doch der Komponist verbarg sich hinter seinen Charakteren. In den Kon zerten war die Bühne sinnbildlich vorhanden, dafür waren die Charaktere und Stimmen ganz seine ei genen. Die Vielfalt dieser Charaktere übertrifft die der ihm bekannten Bühne. Hier können wir einen Blick auf die Gestalten werfen, die er nie vertont hat - Macbeth, Faust und eine ganze Palette von Helden, Träumern, Liebhabern und Narren. Sie tre ten überall in seiner Instrumentalmusik auf und werden in sinfonische Dramen verwandelt - doch die opernhafte Natur des Konzerts unterstützte die (fiktive) Handlung in besonderer Weise. Und unter Beethovens eigenen Händen kam die poetische Sprache eines Goethe oder Shakespeare weit un mittelbarer hervor als in der Oper. Im »sinfonischen Dialog« werden die Musiker ein Teil in der Umgebung des Hauptdarstellers - mal ihn tröstend, mal ihm entge gentretend oder ihn un terstützend, ganz wie es das Drama verlangt.