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sehen den eingemauerten Körpern, den Resten der Glieder, nach dem Sohn des Zeus und der Alkmene, dem irdischen Helfer, der durch Tapferkeit und ausdauernde Arbeit die Zeit der Be drohungen beenden würde. Nur auf ein Namenszeichen von ihm stießen wir, und auf die Tatze eines Löwenfells, das er als Umhang getragen hatte, sonst zeugte nichts mehr von seinem Stand ort zwischen dem vierpferdigen Gespann der Hera und dem athletischen Leib des Zeus, und Coppi nannte es ein Omen, daß grade er, der unsresgleichen war, fehlte, und daß wir uns nun selbst ein Bild dieses Fürsprechers des Handelns zu machen hatten. So standen wir am zweiundzwanzigsten September Neunzehnhundert Siebenunddreißig vor dem vom Burgberg Pergamons hergeholten und wiederaufgebauten Altarfries, der einst, farbig bemalt und mit gehämmerten Metallen ausgelegt, das Licht des ägäischen Himmels widerge strahlt hatte. Wir blickten in eine Vorzeit zurück, und einen Augenblick lang füllte sich auch die Perspektive des Kommenden mit einem Massaker, das sich vom Gedanken an Befreiung nicht durchdringen ließ. Ihnen, den Unterworfnen, zur Hilfe müßte Herakles kommen, nicht denen, die an Panzern und Waffen genug hatten. In den Marmorbrüchen an den Berghängen nördlich der Burg hatten die Bildhauermeister mit ihren langen Stöcken auf die besten Blöcke gewiesen und dabei die gallischen Gefangnen bei der Arbeit in der dumpfen Hitze beobachtet. Beschirmt und umfächelt von Dattelzweigen, die Augen vor der blendenden Sonne zusammengekniffen, nahmen sie die Bewegungen der Muskeln, die Beugungen und Streckungen der schwitzenden Leiber in sich auf. Oben in den Gärten der Burg aber, im leichten Wind, der heraufstrich von der See, wurden die gewaltigen bärtigen Gesichter in ihnen schon zum Stoff des Traums, und sie entsannen sich, wie sie dem einen, dem andern befohlen hatten, stehn zu bleiben, wie sie ihm das Aug aufsperrten, den Mund zum Zähnezeigen aufrissen, wie ihm die Adern an den Schläfen schwollen, und Stirn, Nase und Jochbögen glänzend aus den Schlagschatten traten. Sie hörten noch das Schieben und Stoßen, das Anstemmen der Schultern und Rücken gegen das Gewicht des Steins, die rhythmischen Rufe, die Flüche, die Peitschenschläge, das Knirschen der Kufen im Sand, und sahn die Gestalten des Frieses in den marmornen Särgen schlummern. Langsam schabten sie die Glieder heraus, tasteten sie ab, sahn Formen entstehn, deren Wesen Vollkommenheit war. Indem die Ausgeplünderten ihre Energien in ausgeruhte und aufnahmebereite Gedanken übertrugen, entstand aus Herrschsucht und Erniedrigung Kunst. PETER WEISS, DIE ÄSTHETIK DES WIDERSTANDS