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klassischer, wenn auch rhapsodischer Formge bung knüpfte Sibelius hier an seine romanti sche Tonsprache der 90er Jahre an. Der Solist hat stets eine dominierende Stellung im musi kalischen Geschehen. Eine blühende Lyrik beherrscht bei aller Virtuo sität den ersten Satz, freud- und leidvolle Stim mungen werden ausgedrückt. Drei Themen schaffen eine deutliche Gliederung. Die Solo violine beginnt im vierten Takt mit dem schwel gerischen und weitgeschwungenen Hauptthe ma, dolce und espressivo. Auch das zweite Thema, eine breite, eindringliche Melodie, stimmt der Solist an. In einem marschartigen Orchesterzwischenspiel wird sodann das drit te Thema eingeführt. Besinnlich, liedhaft beginnen die Klarinetten und Oboen das Adagio, dessen schwermütig ergreifende Schönheit von unmittelbarer Wir kung ist. Der Solist versinkt in tiefempfundene, eigenartige musikalische Meditationen. Auftre tende Spannungen lösen sich in einer verhalte nen Coda. über das Finale hat Sibelius gesagt: „Der Satz muß ganz souverän gespielt werden. Rasch na türlich, aber doch nicht so rasch, als daß man ihn nicht ganz ,von oben' nehmen könnte." Glanzvoll, tänzerisch, spielfreudig, ein wenig bizarr, dabei auch heiter gibt sich der Schluß satz mit seinen vielen Passagen der Solovio line. Sergej Rachmaninow gehört zu den vielseitigsten Persönlichkeiten der Musikge schichte. Die Zeitgenossen verehrten in ihm ei nen großartigen, international geschätzten Pia nisten und Dirigenten. Er selber sagte einmal: „Ich habe nie feststellen können, wozu ich in Wahrheit berufen bin, zum Komponisten, zum Pianisten oder zum Dirigenten." Heute wahrt man das Andenken an seine großen nachschöp ferischen Leistungen. Das kompositorische Erbe ist geblieben; hervorgehoben sei vor allem das elegant-elegische Klavierschaffen (vier Konzer te und mehrere Sonaten), dem Rachmnninow wohl seine schönsten musikalischen Einfälle anvertraut hat. Aber auch die Orchesterwerke, namentlich die drei Sinfonien, sind bedeuten de Arbeiten. Der unruhevolle Lebensweg Rach- maninows, der ihn nach Deutschland (wo er iibriaens von 1906-1908 in Dresden lebte), Frankreich und zuletzt nach Amerika führte, hatte zur Folge, daß er die gesellschaftlich kulturelle Entwicklung in seiner russischen Hei mat nur aus der Ferne, aber doch mit größter Anteilnahme verfolgen konnte. Im Gouvernement Nowgorod geboren, besuch te er das Petersburger und das Moskauer Konservatorium als Schüler der konservativen Musiker Tanejew, Arenski und Siloti. Früh wur de bei ihm der Grund gelegt zu einer tiefen Liebe zur russischen Volksmusik, deren natio nale Traditionen er später in seinem Schaffen, in der elegischen Thematik, in der Neigung zur Epik, niemals verleugnete, obwohl Rachmani now nicht zur national-russischen Schule des „Mächtigen Häufleins", vertreten u. a. durch Mussorgski und Rimski-Korsakow, gehörte. Sein Stil besitzt die Farbigkeit der Spätroman tik. Er ist gekennzeichnet durch Ausdruckstiefe, balladeske, dunkle Pathetik, schwärmerisch- pastorale Lyrik und eine Neigung zu Moll-Stim mungen. Rachmaninows Musik ist immer ver ständlich. Eine gewisse weltmännische Eleganz ist ihr eigen, auch dann, wenn die lyrisch-ele gische Melancholie sich zu kraftvollem, manch mal etwas lärmendem Pathos steigert. Die im Januar 1941 in Philadelphia uraufge- führten, dem Philadelphia Orchestra und sei nem Dirigenten Eugene Ormandy gewidmeten Sinfonischen Tänze op. 45 sind das letzte Werk Rachmaninows, entstanden im Herbst 1940, fünf Jahre nach seiner endgül tigen Übersiedlung in die USA. In den drei Sätzen, die der Komponist ursprünglich „Tag", „Dämmerung" und „Mitternacht" nennen woll te, treten stark autobiographische Züge zuta ge, welche wohl vor allen Dingen in der Situa tion Rachmaninows nach dem Verlassen der russischen Heimat wurzeln. Das gesamte, ori ginelle Werk, das der Komponist zunächst „Fantastische Tänze" betiteln wollte, ist sehr dramatisch gestaltet, spiegelt Konflikte und innere Zerrissenheit wider. Der erste Satz stellt, ähnlich wie die übrigen zwei, eine Tanzfantasie dar; eine dreiteilige Form aufweisend, bewegt er sich im großen und ganzen im Polkarhythmus, ohne jedoch die volkstümlichen Elemente besonders zu be tonen. Leidenschaftliche, unruhevolle, düster bedrohliche und freundliche Gedanken stehen sich gegenüber. Eine scharf akzentuierte Rhythmik kontrastiert mit der breiten, lyrischen Melodik im Mittelteil. Der erste Abschnitt wird beherrscht von einem markanten, aus Drei klangsbrechungen bestehenden Thema. Der zweite Abschnitt basiert auf einer traurigen, an russische Volkslieder erinnernden Melodie, die zunächst vom Saxophon vorgetragen und dann von den anderen Instrumenten übernom men wird. Daran anschließend tritt im dritten Abschnitt noch einmal das markante Thema des Beginns hervor, wird verarbeitet und en-