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— 408 — Lieser ersten Auswanderer zu diesem kühnen Wag» niß begeisterte, es war die gänzliche Verarmung, von den Kriegen herbeigeführt, welche Deutschland zu jenen Zeiten verwüsteten und zersplitterten, es war der Druck, der auf ihnen von Seiten der Regierungen lastete, welche damals leider nur zu sehr darauf hinarbeiteten, die Rechte und Freihei ten des Volkes zu untergraben und das Mark des Landes aufzuzehren. Die ungezählten Schaaren, welche aus Deutschland nach Amerika wegzogen, waren für ihr Vaterland verloren; Deutschland that nichts für sie, es ließ sie fahren und gab sie gänzlich dem Elend und den Fremden preis, an statt daß eS sich wie andere Völker, bemüht hätte, in dem neuen Welttheile Strecken Landes zu ge winnen und sie so ihrem Vaterlande zu bewahren. Die Geschickte der älteren deutschen Auswanderung ist in derThat schmerzensreich; denn niemals sind so bedeutende Theile eines mächtigen Volkes so gänzlich dem Elend überlassen worden, als dies den älteren deutschen Auswanderern nach Amerika wiederfahren ist. Dies beweist am besten jener un glückliche Zug der zwciunddreißig Tausend Deutsche nach Amerika im Jahre 1709. Als Ludwig XIV., seine Eroberungsgelüste be friedigend, in den Jahren 1688 und I692^seine Heere gegen Deutschland führte, da war es vor züglich die unglückliche Pfalz, auf der alle Schreck nisse des Krieges sich entluden. Furchtbar wurden ihre Fluren verwüstet, -ihre Dörfer und Städte niedergebrannt und gänzlich in eine Wüstenei ver wandelt. Nur spärlich und langsam erhplten sich die Bewohner,dieses Landes von diesem schweren Schlage. Aber sie genossen die Segnungen des Friedens nicht lange; ein neuer Krieg brach aus, der spanische Erbfvlgekrieg, und mit ihm kehrten die früheren Leiden, Hunger und bitteres Elend, zurück. In jenen Jahren schon wanderten Viele aus, eine Heimath in der neuen Welt sich zu gründen, da sie jeden Anhalt und selbst den Muth verloren hatten, mitten in dem entsetzlichen Elende und in der Zerstörung, die sie umringte, wieder anzufangen. Endlich kam jener schreckliche Winter von 1708 bis 1709, der uns als einer der furcht barsten geschildert wird^ die je da gewesen, wo die Vögel in der Luft, das Wild in den Wäl dern erfroren und die Menschen verhungerten. Da verzagten Viele am Leben. — Die Königin Anna von England, welche die neuangelegte Co- louie Carolina bevölkern wollte, hatte um diese Zeit eine Bekanntmachung erlassen und ließ sie in Menge in Deutschland vMreiten, worin sie einem Jeden freie Ueberfahrt nach Amerika, eine Strecke Landes und Mittel zum Anbau derselben verhieß. Da brach man in Massen auf. Beide Rheinufer waren bis nach Holland hinab im Frühjahr 1709 mit zahlreichen SÜPSren von Auswanderern be» , deckt; sie Alle strömte« nach London, welches zum Sammelplatz bestimmt war. Am6. MaL kamen 11 Schiffe mit 18006 DeuOcheu in London an, denen als einstweilige LagerMtte di« Stack-Seaä oder Schwarzhaide angewiesen wurVL, IlMn folg ten vierzehn Tage später 4 Schiff« mit 4324, am 24. Juni 4 Schiffe mit 2138 Auswanderern u. s. w. in größeren oder geringeren Massen,-dis endlich 32468 Deutsche auf der Schwarzhaide bei Londzn.versammelt waren. Schon ans der Ueber- fahrt von Holland nach England batten sie manche Fährlichkeiten bestehen, manche Entbehrungen er tragen müssen. Der Sturm verschlug Viele, auch litten sie Mangel an Lebensmitteln, obwohl siebe» ihrer Abreise von Amsterdam von Seiten der Köni gin damit versehen worden waren. — Aberso^große Schaaren hatte die Königin nicht erwartet; sie er- schrack über ihre Menge, sie hatte nicht hinläng liche Schiffe zur Ueberfahrt nach Amerika; auch fürchtete sie für ihre eigene HeWchaft in jenem Lande. So wurden die Deutschen in ihren Er wartungen bitter getäuscht, die Verheißungen, die man ihnen gemacht, blieben unerfüllt, ihr Verlan gen nach Erfüllung derselben ungehört. Daher befanden sich diese armen Menschen in der trau rigsten Lage. Aon ihrem Vaterlande verlassen, ohne die englische Sprache zu verstehen, ohne alle Bekannte, größtenthcils in Lumpen gehüllt, wuß ten sie nicht, an wen sie sich wenden sollten; sie hatten keine Herberge, und ihre Kistder schrieen nach Brod. Sie lagerten inzwischen auf jener Haide unter freiem Himmel. Lausende starben vor Hunger und Entkräftung^ verheerende Seu chen rissen unter ihnen ein, und in Folge dieses Elends lösten sich alle Bande der Zucht und Ord nung. Dazu kam noch ein anderer Uebelstaad. Die Menge Papisten, welche sich unter den Aus wanderern befanden, regten den Argwohn der Eng länder und ihrer Geistlichen auf, welche Letztere von der Kanzel herab gegen sie aufhetzten. In Folge dessen machte ein Haufe von 1800 Englän dern, aus gemeinem Volke bestehend, mit Sensen und Aerten bewaffnet, in einer Nacht einen An griff auf das Lager der Deutschen, in der Absicht, die Papisten auszurotten und zu vertilgen. Diese Fanatiker schlugen Alles nieder, was auf ihrem Wege sich befand, und sie würden ihren Zweck vielleicht vollständig erreicht haben, wenn nicht die Katholiken sich zusammengerafft und in Verbin dung mit den Lutheranern sich ihnen entgegenge- stellt hätten. Auch gab es Gewissenlose genug,