Die Werke Trauer, Erschütterung und Bekenntnis zur Schönheit Während Deutschland in der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs in Trümmer sank, begann der 81jährige Richard Strauss Ende 1944 als Abschied von seinem Schaffen und einer zusammengebrochenen Welt seine „Metamorphosen“ zu schreiben, eine Studie für 23 Solostreicher: 10 Violinen, 5 Violen, 5 Violoncelli und 3 Kontrabässe. Diese Besetzung erscheint ungewöhnlich. Nichts ist von der Klangpracht der Bläserensembles in den Strauss-Partituren geblieben. Alles schillernde Dekor ist verbannt. Stärker als früher spielt die Metamorphose, die subtile Verwandlung des musikalisch-gedanklichen Materials, hier die bestim mende Rolle. Die „Metamorphosen“ spiegeln eine ernste Programmatik wider: den Schmerz und die Erschütterung über den unwiderbringlichen Verlust kultu reller Werte. „Trauer um München“ hatte Strauss eine frühe Skizze seiner „Me tamorphosen“ überschrieben. Zwischen den ersten Notizen und der Reinschrift (12. April 1945) liegen Nachrichten, die den in Garmisch zurückgezogen leben den Komponisten tieferschütterten: die Zerstörung des Münchner Nationalthea ters, der Berliner Lindenoper und der Dresdner Semperoper. Noch im März 1945 traf ihn die unheilvolle Meldung vom Verlust der Wiener Staatsoper. Doch nicht absolute Resignation kennzeichnet die „Metamorphosen“. Auch noch in ihrer Trauer und Niedergeschlagenheit muten sie wie ein Bekenntnis zu den Schönheiten dieser Welt und wie eine milde Verklärung selbst noch des Schmerzes an - ein „Widerschein meines ganzen vergangenen Lebens“. Was der Komponist bescheiden eine Studie genannt hat, erweist sich bei näherer Betrach tung als ein melodisch weitgespannter Satz in drei Teilen, der in seinem unge wöhnlichen Ausmaß an langsame Sätze Anton Bruckners und Gustav Mahlers denken läßt. Strauss arbeitet kunstvoll mit sieben Themen. Sie sind so konzipiert, daß sie sich kontrapunktisch gut miteinander verknüpfen lassen. Im ersten Teil (Adagio ma non troppo) werden vier dieser Themen eingeführt, während der belebtere Mittelteil (Agitato und Piü allegro) die drei restlichen Themen vorstellt. Der letzte Abschnitt stellt eine Art von Reprise dar, in der die meisten Themen noch einmal erscheinen. Das zweite Thema der „Metamorphosen“ ist eng mit dem Eingangsthema des Trauermarsches aus Beethovens „Eroica“ verwandt. Strauss hat diese Beziehung nach eigener Aussage zunächst nicht bemerkt. Als sie ihm später bewußt wurde, bezog er das ganze Werk auf diesen Trauermarsch und zitiert dessen Thema wenige Takte vor dem Schluß notengetreu. Er hat es in der Partitur mit den Worten „in memoriam“ versehen. Strauss hat seine „Metamorphosen“ dem Dirigenten Paul Sacher und seinem Col legium Musicum Zürich gewidmet. Dieses Ensemble hob das Werk am 25. Januar 1946 i n der Zürcher Tonhalle aus der Taufe. Bei der Generalprobe zur Urauffüh- rung übernahm der greise Komponist zeitweise selbst die Leitung des Orchesters. Ernst Kraus berichtet in seinem Buch „Richard Strauss“ (Leipzig 1975) darüber: „Dabei wußte er vor allem die großen Entwicklungslinien mittels gewaltiger dy namischer und Temposteigerungen prachtvoll herauszuarbeiten - ein unvergeßli ches Erlebnis für den beobachtenden Dirigenten, die Spieler des Collegiums und die wenigen anwesenden Zuhörer.“