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SächsischeStaalszeitung den Zreiftaat Sachsen Staatsan^eiger für Ankündigungen: Die 32 mm breite Grundzeile oder deren Raum 30 Pf-, di» 66 mm breite Grundzetle oder deren Raum im amtlichen Teile 60 Pf., unter Ein gesandt SO Pf. — Ermäßigung auf Familien- und Geschäftsanzeigea. — Schluß der Annahme vormittag« 10 Uhr. Leitwels« Rebeublätter: Landtag«-Beilage, Ziehungslisten der Verwaltung der Staatsichulye» und der LandeSkulturrentendank, Iahre-bericht und Rechaung-abschluß der Lande«- BrandverfichernngSaastaU, Verkauf»UKe mm Holzvslanzen aus den EtaatSsoriireviereu Verantwortlich für di» Redaktion Hauptschriftleiter Bernhard Jolle« in Dresden Erscheint Werktags nachmittag« mit dem Datum de« Erscheinungstages. Be«ug«prris: Monatlich b Mark. Einzelue Nummern 20 Pfennig. Fernsprecher. Geschäftsstelle Nr. L12SS — Schristleitung Nr. 14V7L Postscheckkonto Dresden Nr. 2486. — Stadtgirolonto Dresden Nr. 140. Nr. 300 Dresden, Sonnabend, 29. Dezember 1923 Die dritte Steuernotverordnung. Enteignung der HhpothelenglSubiger. Berlin, 2S. Dezember. Die Reich-regierung hat sich beeilt, mitzuteilen, daß die (auch von un« gebrachten) Angaben über den Inhalt der dritten Steuernotverordnung einem vorläufigen Entwurf entnommen seien. Ein Beschluß des Reich«- kabinett« über diesen Entwurf liege noch nicht vor, e« sei auch damit zu rechnen, daß dieser Beschluß nicht unwesentlich von dem Text des Borentwurfs abweichen würde. Leider enthält diese Mitteilung keine Angabe, worin die zu erwartenden Änderungen bestehen sollen. Die Abweichungen von dem ursprünglichen Entwurf sind nämlich ausnahmslos erhebliche Ver schlechterungen und können demnach nur die stärk- sten Bedenken wecken. Der den Ausgangspunkt der Verordnung bildende Gedanke, eine Auf. Wertung der Hypothekenschulden nicht zuzulassen und den den Schuldnern daraus er wachsenden erheblichen Geldentwertungsgewinn für Zwecke der Allgemeinheit in Anspruch zu nehmen, ist keineswegs undiskutabel. Besonders wenn die Mietsteigerung sich in erträglichen Grenzen hält, die dadurch gewonnenen Mittel für Neubauten, für Reparaturzwecke, als Unter- stützungsfonds für die schwächsten Mieter und für lebensnotwendige Zwecke deS Reiches und der Länder Verwendung finden würden, könnte ein auck für die Arbeiter, Angestellten und Beamten erträglicher Weg gefunden werden. Aber davon ist jetzt noch kaum die Rede. Weder für Reparaturtweike noch für Neubauten, noch für Unterstützung der schwächste« Mieter soll Geld zur Verfügung gestellt werden. Nur ei« geringer Teil der «ietssteigerung soll Reich und Länder« z«- fließen. Dagegen soll der Hausbesitzer SV Prozent der Friedensmiete erhalten, und dieser Anteil soll Vorrang haben vor dem der Länder und de« Reiches. Noch schlimmer ist die Regelung bei den Schulden von In dustrie und Landwirtschaft, von dem Ge winn, den die Industrie, infolge der Ent wertung ihrer Schulde«, gemacht hat, soll sie in 21 Monaten nur 10 Prozent als Steuer zahle«, die Landwirtschaft aber über haupt nichts. Der überschuldete Großgrund besitz wird also mit einem Schlage aller Schulden ledig. Die finanzielle Wirkung dieser Maßnahmen geht aus folgenden Angaben hervor: Die Vorkriegsschulden der Industrie be trugen 4—-'H Milliarden Goldmark, die der Landwirtschaft 1L—20 Millarden Gold mark, die deS städtischen Hausbesitzes etwa 30 Milliarden, insgesamt also SO —SS Milliarden Goldmark. Der Industrie werde« saft 4 Milliarden, der Landwirtschaft IS bis 2« Milliarde«, dem städtischen Hausbrsitz ebenfalls rund 1S Milliarde« geschenkt. Dafür werde« alle Hypothekenglänbiger völlig enteig«et, die Mieter von städtischen Grundstücken mit der Mieisteuer belastet. Die Friedensmiete betrug insgesamt rund 5 Milliarden Goldmark im Jahre. Gegenwärtig werden im Durchschnitt des Reiches etwa 20 Proz. der Friedensmiete, gleich 1 Milliarde Goldmark, erhoben. Wird die volle Friedensmiete hergestellt, so ist da» eine Belastung der städtische« Mieter «m insgesamt 4 Milliarde« Gold- mark; wird ««r 80 Proz. der Ariede«»- miete festgelegt, so ist da» eine Belastung von 8 Milliarden Goldmark. Reich «nd Länder solle« vo« diese« Beträge« die Hälfte, als» 1,» bez. 2 Milliarde« »old- mark erhalte«. Was bedeutet diese Summe? Die Einkommen steuer der Veranlagung-pflichtigen dürfte im Jahre 1924 einen Ertrag von 400 Millionen Goldmark bringen. Die Erbschaftssteuer ist mit 30 Mil lionen Goldmark veranschlagt, die Vermögenssteuer mit 340 Millionen Soldmark. Alle drei Besitz- steuern zusammen bringen also bestenfalls einen Erwäg von 770 Millionen Soldmark. Der an Reich und Länder au« der Mietsteuer fließend, Ertrag ist als» zwei- bi« dreimal so hoch al« die drei wichtigsten Vesitzsteuern, die, nach den Worten de« Finanzmii.isters Luther, „ brutale Steuern " sind. Die Mietsteuer beträgt selbst da» Andert- Halbfache de« Gesamtertrages der Umsatzsteuer! Bei dieser Sachlage kann man nur dringend wünschen, daß die Reich-regierung sich ihre Ent- schlösse auf das ernsteste überlegen möge. Es ist auch dringend zu empfehlen, sich zu fragen, ob e» zweckmäßig ist, die dritte Steuernotv-rordnung mit ihren da- ganze politische und wirtschaftliche Leben Deutschlands auf Jahre hinaus so einschneidend be einflußenden Problemen auf dem Wege des Er- mächtigungsgesehe» zu regeln. Die sozial demokratische Fraktion hält diesen Weg nicht für gangbar. Beschreitet die Regierung ihn trotzdem, so wird sie damit rechnen müßen, daß der Reichs- tag sich mit der Verordnung nachträglich beschäftigt und sie eventuell auf hebt. „Philosophie der europäische» Politik." Paris, 28. Dezember. Bei dem von Poincarä mit dem tschecho slowakischen Außenminister vr. Benesch verein- barten Vertragsentwurf, besten Ziel angeb lich „die Erhaltung der neuen Ordnung" in Europa sein soll, handelt eS sich, wie als sicher anzunehmen ist, in erster Linie um einen Vertrag, der durch das Ergebnis der englischen Unterhaus- wählen hervorgerusen worden ist. Tatsächlich besteht in maßgebenden politischen Kreisen Eng lands ernsthaft die Absicht, eine Änderung der bisherigen Außenpolitik vorzu nehmen, die nicht ohne Rückwirkung auf das englisch.französische Bündnis bleiben dürste. Frankreich sucht seine Machtstellung deshalb vorzeitig durch Verträge auf dem Kontinent zu sichern Tie Mitteilungen, welche die Pariser Presse, be sonders der offiziöse „Temps" über den Inhalt des Vertrages gemacht hat, lassen über seine Rich tung und Bedeutung keinen Zweifel. Ter „Temps" spricht von einer „Philosophie der euro- päischenPolitik", die dem Vertrag zugrunde liegt. Eine Militärkonvention ist angeblich nicht beabsichtigt, doch geht der ^Temps" in seiner Offenheit so weit, daß er einräumt, die beiden Generalstäbe würden in Verbin dung bleiben. Man geht also nicht fehl, wenn man geheime Militär scbe Abmachungen als vor handen ansieht, was ja bei dem Charakter des Vertrags eine Selbstverständlichkeit ist, was man nur nicht offen zugeben will, weil dies der Ideo logie des Völkerbundes widerspricht. Der neue Bündnisvertrag ist von der fran- zösischen Politik aus gesehen weder eine Über- raschung noch eine Unnatürlichkeit. Mit der Bil dung der kleinen oste» ropäischen Staaten, die aus dem früheren Körper Rußlands und Öster reich« herausgeschnitten wurden, hat Frankreich die Politik der militärischen Einkreisung Deutschlands begonnen, die es nun zielbewußt fortsetzt. Mit Polen hat e« eine Militär- konvention geschloffen, die aus dem polnischen Heere ein HilfSkorp« gegen Deutschland macht. Nun wird auch die Tschechoslowakei in dieses System eingefügt, sodaß Frank- reich nur auf den Knopf zu drücken braucht, wenn es eine« Tages, aus eigenem Willen oder durch internationale Verwicklungen veranlaßt, gegen Deutschland marschieren will. * Auch mit NusilauL soll «au sich „versöhne«". Pari«, 28. Dezember. Der Vertrag zwischen Frankreich und der Tschechoslowakei wird hier al« eine große Er rungenschaft aufgefaßt. Hier und da werden aller dings Bedenken laut, daß er nicht ganz mit den BölkerbundSstatuten im Einklang stünde. Darauf wird erwidert, daß Benesch selbst Mitglied de« BölkcrbundraleS sei und au« diesem Grunde nicht« unter chreiben werde, wa« den Inter essen des Bunde« znwiderlaufe. Der vertrag soll Berlin, 2Ü. Dezember In der für heute »«beraumte« Litz«»g bei» Rrich»k«bi«ett» wird voraussichtlich dir dritte Gte«ern»tver»rdu«ug berate« werde« u«d damit gleichzeitig die viel«mftritte«e Frage der An- paff««g der Miete««« die Friede« »- miete«, sowie die Besteuerung der Hypo- thrkr« «ub Obligationen. Wahrschetulich wird auch die Weiterzahlung der Be- satznngökofte» erörtert werden. Finanz- Minister vr. Luther soll den Standpunkt »er- trrtr«, daß, angeslcht» der schwirrigen Ai«aazlagr be» Reiche», die BesatzungSkofte« zurzeit nicht wettergezahlt werden könne«. Da diese Frage jedoch nicht allei« vom finanziellen Gr- iicht-punkte au» betrachtet werde» kann, steht hier die Reich-regierung vor einer schwerwie genden und «nter Umstände« folgenschweren Ent- scheidnng. ES ist nicht ausgeschlossen, daß sie übrigen« eine Klausel enthalten, die vorschreibt, daß er dem Völkerbund unterbreitet werden soll. „Petit Parisien" erblickt in dem Fehlen aller militärischen Abmachungen einen Be- weis der Friedensliebe beider vertragschließenden Telle. I« diesem Zusammenhänge mutet e» etwa» eigenartig an, daß dasselbe Blatt wenige Zeile» später au-iührt, da« 1chech»fl»wa- tische Heer sei ein Kind der franzö sischen Armee. Sin Franzose stünde an seiner Spitze, und hierin liege eine Gewähr dafür, daß bei gemeinsamer Ge fahr auch eine gemeinsame Aktion ge sichert sei. Die französische Presse ist der ««sicht, daß die Kleine Entente, der Polen durch das Bündnis mit Rumänien indirekt angehöre, nunmehr den Anschluß an die Große Entente gefunden hat. Hierdurch werde die Macht und der Ein fluß Frankreich» ans ganz Mittel europa ««»gedehnt «nd Deutschland weiter abgrfoadert. Der „Matin" fordert im Hin blick auf die bevor stehende Anerkennuug Sowjet-Ruß land», daß Frankreich und die Dschecho-Slowatei hier England zn- vortomme« sollte«. Ma« glaubt, daß Brnesch sich die Berföhuung mit Ruß- la«d zum Ziele gefetzt haben. O Tie Auffaffnnfl i« Ugland. London, 28. Dezember. Die Londoner politischen Kreise be trachten das Bündni» zwischen Frankreich und der Dschecho-Slowakei mit größter Besorg nis. «an bedauert, daß sich die Dschecho- Slowakei mit diesem Vertrage in eine» scharfe» Gegensatz zu Deutschland stelle. Man rechnet damit, daß Polen durch die ru mänische Unterstützung in die Kleine Entente auf- genommen werden würde. Diese Aufnahme würde aber keine Stärkung der Kleinen Entente, sondern im Gegenteil deren Verfall be- deuten. Zwischen Polen und der Tschecho- Slowakei werde ein harter Kampf um die Führung in dem Bunde entbrennen, der zu dessen Ende führen müsse. Unter polnischer oder rumänischer Führung würde dann ein Bund der russi- schen Grenzländer entstehen, während die Tschechoslowakei mit Jugoslawien zu sammen eine französisch orientierte Gruppe bilden würden, der sich vielleicht später Ungarn und Griechenland anschließen dürften. Au« finanziellen Gründen werde sich die polnisch-rumänische Gruppe an England anlehnen müßen. * A«sch!«si Grieche,!««»- a« die Kleine H»te»te. Rom, 28. Dezember. Die ««gekündigte Rückkehr ve »i, e 1» »' überrascht hier kwe-weg»; wirb aber sehr « »f - merksam verfolgt. Rom traut «tcht ihrem angeblich vorübergehenbe» Charakter, h«t diel- mehr Anh«lt»pm,Nr, baß Ve»i»elv» in beschließe« wird, trotz aller NM die vesatzu«gs- koste« wetterzuzahle», soweit e» irge«d möglich ist. Hier würde »«ter Umstände« di« Wurzel «tue» Kouflikte» liege», da e» deukbar wäre, daß der «eichssiaauzminifter au» ei«er von s«i»er Ansicht adwrichenden Haltung der ReichSrkgieruug die Konstqneuze« zöge. Tie Bevormundung Thüringens. Tie rStigteit der „zweiten Reichs, lommiffion". Berlin, 2». Dezember. über die Vorgänge, die zur Umsetzung der zweiten Reichskommifsio» für Dhüringe« führte«, erfahren wir folgendes: I« der vergangene« Woche hatte die Reichsregierung eine Kommission, bestehend a»S dem Reichskommijsar Knenzesr Ministerialrat Mende vo« Fustizministerium «n^ Part» mit Masarhk, Benefch und dem König von Südslawien unter den Auspftien de» Luai d'Orsay weitgehende politische Besprechungen gepflogen, die den Anschluß Griechenland» an die Kleine Entente herbeiführen könnten. Die Möglichkeit, daß die Kleine Entente ihre Front von der Adri« zu« Ionischen Meer verlängert, außerdem ihren Italien feindliche« Sharakter stärker be- t»«t, muß hier btunruhigen. Jedenfalls aber rechnet Italien nach Venizelos' Wiederanftanche» mit einem verstärktem Widerstand in der Adria und im östliche« Mittelmeer. Die Krüik, die der Leitartikel des Pariser „Temps" an Mussolinis Innenpolitik übt, verstimmt die leitenden Faszistenkreise und ruft gereizte Antworten in der fasciistischen Presse hervor. In dcr „Tribuna" meint der bekannte, Mussolini nahestehende Politiker Rastig nac, Frankreich wolle durch die Kritik der italienischen Innenpolitik auf die italienische Außenpolitik drücken. Ähnlich äußert sich die „Jdea Nationale", der „Temps" wolle Italien für seine Mittelmeer- Politik bestrafen. Ton Sturzos „Popolo" erblickt in Poincarss Weihnachtsreden das Ein geständnis derfranzösischenpoliti schen und wirtschaftlichen Hegemonialpläne, deren progressive Verwirklichung die italienischen Interessen auf das schwerste bedrohe, wie Tanger und Tunis bewiesen. G Tie Avsfichte« Ler Sachverstäudige«- a»ssch«ffe. London, 28. Dezember. Dem diplomatischen Berichterstatter des „Daily Telegraph" zufolge wird der ReparationS- auSschuß etwa Mitte Januar zusammen treten. Nach dem, was in britischen, englische« und italienischen Finanzkreisen verlautet, seien die Aussichten auf einige gute Ergebnisse des zweiten Sachverständigenausschusses, der sich mit der deutschen Kapitalflucht nach dem Ausland« befassen soll, keineswegs so hoff nungslos, wie angenommen wird. Wenn der Ausschuß unter der Annahme Vorgehen sollte, daß die Konfiskationspolitik daS Ziel der alliierten Regierungen sei, so würden sich die Arbeiten al« fruchtlos erweisen, da ei« olcheS Borgehen durch die allgemeinen Ge setz« der meisten in Betracht kommenden Länder ausgeschlossen sei; aber die Sachverständige« der obenerwähnten Länder hätten keinerlei derartig« Absichten. Sie seien vielmehr der Ansicht, daß den Interessen sowohl der Alliierten al« auch Deutschland selbst am besten gedient sein werd«, solche Maßnahmen au-zuarbeiten, die die frei willige Rückkehr nach Deutschland eine« großen Teil« des au-geführten Kapitals veranlassen würden, um das Reich mit ArbeitS- kapital zu versehen, da« im Augenblick fehle und dessen Mangel infolge der inneren und äußeren unsicheren Verhältnisse ein Hauptmerkmal de- äuge , bltcklichen finanzielle« «nd wirtschaftliche» Anja«, inenbruch- Dent chl«»ds sei. Poincares erfolgreiche Bündnispolitik.