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SächsischeSlaalszeilung Staatsan^eiger für den Zreiftaat Sachfen Ankündigungen: Die 32 mm breite Grundzeile oder deren Raum 30 Pf., di« 66 mm breite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teil« 60 Pf., unter Ein gesandt 90 Pf. — Ermäßigung auf Familien- und Geschäft-anzeigen. — Schluß der Annahme vormittag- 10 Uhr. Zeitweise Nebenblätter: Landtag-«Beilage, Ziehungslisten der Verwaltung oer StaatSichulde« und der Lande-tulturrentenbank, Jahresbericht und RechmuegSabschluh der Landes-Brandverficherungsauftalt BerkaufSliste von Holzpflanzen aus den Staatsforftrevieren Erscheint Werktag- nachmittag- mit dem Datum de-Erfchetnung-tages. Bezug-pret-: Monatlich 5 Mark. Einzelne Nummern 20 Pfennig. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. L12S5 — Schriftleituug Nr. 14574. Postscheckkonto Dresden Rr. L4S6 — vtadtgtrolonto Dresden Nr. 140 verantwortlich für die Redaktion: hauptschnftletter Bernhard Jolle- in Dresden Nr. 286 Dresden, Dienstag, 11. Dezember 1923 Nach den englischen Wahlen. von vr. «ndvl» Vrritscheib, Mitglied deS Reichstag-. Die wahren Absichten, die der englische Premierminister Baldwin mit der Auflösung des Parlaments verfolgte, sind bis zur Stunde noch immer in Dunkel gehüllt. Ist es ihm wirk lich um den Schutzzoll zu tun gewesen? Dann war es eine unverständliche und unverzeihliche Torheit, diese» Problem, ohne daß eine ein- gebende Diskussion vorm »gegangen wäre, als Wahlparole in die Massen zu werfen. Wollte er seine auswärtige Politik, die in der letzten Zeit eine Wendung zu energischerem Verhallen gegen über Frankreich zu nehmen begann, durch die Wühler bestätigen und rechtfertigen lassen? Dann war es jedenfalls gänzlich verfehl», den Kampf unter der Fahne des Protektionismus zu führen, denn eS lag auf der Hand, daß, selbst wenn sich die konservativen in diesem Zeichen fester zusammengeschlossen hätten der Frei handel die getrennten liberalen Gruppen wieder- vereinigen und stärken mußte, und daß der Arbeiter partei die Ankündigung einer neuen Verteuerung der Lebenshaltung zum mindesten nicht abträglich sein konnte. Wollte der konservative Führer durch die plötzliche Ausschreibung der Neuwahlen die über geringe Kampffonds verfügende Arbeiter partei überrumpeln? Dann hat er die Stimmung unter den englischen Proletarier» sehr falsch ein- geschätzt und vor allem den Enthusiasmus außer acht gelassen, mit dem sie den Mangel an Geld durck opferfreudige freiwillige Hilfsarbeit ersetzten. Auf jeden Fall hat Baldwin ,mt seiner Partei eine schwere Niederlage erlitten. Er hat 40 Sitze an die Labour Party und 63 an die Liberalen verloren, während er im ganzen nur 17 gewann. Die Labour Party vermehrte ihre Mandate von 144 auf 197, die Liberalen stiegen von 115 auf 149, während die Konservativen von 345 auf 252 zurückgingen und damit ihre absolute Mehrheit ctnbüßten. Mit einigem Schmerz wird Baldwin feststellcn, daß er sein Fiasko zum Teil Gegnern im eigenen Lager zu verdanken Hal. Nicht sowohl den kon- sewativen Freihändlern, die immerhin der Partei treuer blieben, als den Zeitungskönigen Lord Rothermere und Lord Beaverbrock, die in ihren Organen, der „Daily Mail", dem „Daily Expreß", einigen Abendblättern und weitverbreiteten Wvchcnzeitungen, der Poli tik des Premierministers entgegenarbeiteten. Eie taten so, als hätten sie die Notwendigkeit entdeckt, dem Freihandel noch einmal eine Chance zu geben, aber in Wirklichkeit waren sie darauf aus, eine sichere Mehrheit der Konservativen so wohl wie der Liberalen zu verhindern, um so die Möglichkeit einer bürgerlich-kapitalistischen Koalition zu schaffen, d e ihre Spitze gegen "die Arbeiter partei richten sollte. Ihr Manöver war um so leichter zu durchschauen, als sie, unmittelbar vor den Wahlen, Lloyd George mit einigen der konservativen Minister in dem früheren koalitions- kabinett zusammengebracht Hatton und im Verlauf: der Campagne selbst immer wieder zur Unter- stützung derjenigen Kandidaten aufforderten, die die meisten Aussichten gegenüber den Arbeitern hätten. Die Zeitungslords haben somit das Ver dienst, den Gedanken des Klassenkampfes recht deutlich herausgearbeitet und dadurch zur Klärung der politischen Situation beigetragen zu haben. Ihr Ziel, keine feste Mehrheit zustande kommen zu lassen, ist erreicht, und nur insofern haben sie eine starke Enttäuschung ersah,en, als das ge waltige Anwachsen der Arbeiterstimmen nicht in ihrer Rechnung stand. Man vergegenwärtige fick die Mandatsziffern der Labour Party in den letzten 20 Jahren. Bei den Wahlen von 1900 erhielt sie 2 Sipe, 1906 — 29, Januar 1910 — 40, Dezember 1911 — 42, 1918 — 57, 1922 — 142 und 1923 — 197. Ihr Aufstieg ist nicht auszuhalten, und mit den Wahlen dieses Jahres, bei denen die Verhältnisse desovdcr» günsttg für die Liberalen lagen, ist der Beweis erbrach», daß sie die eine der beiden historischen Parteien zu verdrößen bestimmt ist. Venn nicht alle- trüg», wird England im Laufe der Zeit zu dem Zweiparteiensustem zurückkehren, nur mit dem Unterschied, daß dann eine bürger liche Gruppe mit einer sozialistischen um die Herr schaft ringt. Damit ist aber auch die Taktik der Arbeiterpartei für de» gegenwärtige» Augenblick gegeben, «eine der drei Parteien besitzt eine Mehrheit, und da Liberale und Labour Party die Konservativen aus ihrer Macht verdrängt haben, läge an sich eine Koalition dieser beiden nahe. In linksgerichteten liberalen Kreisen wird dieser Gedanke auch propagiert. Doch daS Organ der Arbeiter, der „Daily Herold", erklärt, daß weder die Führer noch die Masse der Partei- genossenschaft auf diese Anregung hören wollen. Was auch die Alternativ» sein mag — selbst wenn sie in einer Verwirklichung des Beaver- brock Rothermert-PloneS zur Wiederbelebung der Lloyd George-Koalition bestände — sie Inuß von uns jeder Vereinigung init Männern vorgezogeu werden, denen zu mißtrauen wir allen Grund haben. Zwischen dem offiziellen Liberalismus und der Labour Party bilden die auswärtigen An gelegenheiten eine ebenso tiefe Kluft wie die innere Politik. Wenn mau die berechtigte Hoffnung hegen darf, in absehbarer Zeit zur stärksten Partei zu werden, ist es falsch, sich mit einer ab?erbenden Gruppe zu verbinden und sich mit Persönlichkeiten von zweifelhafter politischer Vergangenheit zu be- lasten In einem Lande, wo das Zweiparteien, system Tradition ist, steht die Frage der Koalition mit Bürgerlichen anders als in einem Lande mit einer Vielheit von politischen Gruppen. Dazu kommt dann noch in diesem besonderen Falle, daß ein neues Zusammengehen der Lloyd George.Leute mit den Konservativen bei den Asquith-Liberalen auf starkcn Widerspruch stoßen und damit auch nur die Aussichten der Labour Partv verbessern wird. Solche Erwägungen werden, gemeinsam mit dem Umstand, daß die engeren Anhänger Lloyd Georges, im Gegensatz z» denen Asquiths, bei den Wahlen ebenso empfindlich geschlagen worden sind, wie die konservativen, das Zustandekommen der bürgerlichen Koalition erschweren, und möglicher weise werden die Konservativen unter Baldwin oder irgend einem anderen Führer die Geschäfte einstweilen mit stillschweigender Duldung der andere» Zum Hochverrat der Hitler, Ludendorff, Kahr und Lossow. München, 10. Dezember. Nachdem seit dem 9. November eine Unmenge von Flugblättern aus dem Lager der flüchtigen Putschisten uud außerdem eine Reihe von Zei tungsartikeln sich um eine Klarstellung der Vorgänge in der Münchener Putschnacht bemüht haben, versucht es nun der Rechtsbeistand der verhafteten Verschwörer Hitler, Poehner, Frick mit einer spaltenlangen Verteidig» ngS- schrist, die er an die Redaktionen der Münchener Zeitungen schickte. Entsprechend der Zensurvorschrift wurde diese Darstellung dem Generalstaats kommissar vorgclegt und deser fühlte sich be' wogen, „in die sem besonderen Fall" dem Ersuchen um Veröffentlichung statt- - ugeben; unter der Bedingung, daß gleichzeitig auch seine Antwort auf die Schilderung seiner Gegner, die sich bekanntlich nur im Tempo von ihm unterschieden haben, mit abgedruckt wich. Ve.de Darstellungen bringe« nicht» wesentlich Nene», klären bar allem nicht anf, was i» der Zett zwischen 11 «»d 1 Uhr «acht» bei Kahr und feuer Umgebung bar sich ge gangen ist, verstärk,» aber be» Eindruck, Hatz Hitler und seine Freund, bi» i» b«e «arge», stunde« der P«tsch«acht de» Glauben» warn« und sein mußte«, daß Kahr, Lossow «,» Seiher tre« an ihrer Seile ftüibe«. Im einzelnen beginnt die Darstellung mit der Feststellung Hitler-, daß er bei jener berühmten Vorbesprechung am 8 -rovcmber tatsächlich nicht bei Kahr gewesen ist. Daß Herr v. Kahr demgegenüber in der ersten Pressekonfe renz vom 10. November ausdrücklich die Anwesen- heit Hitler- scststellen konnte, berührt jedenfalls recht merkwürdig. guten ssant smb anch die Vesst re» chnugen -ttler» »it Lossaw nab Seiher bar b<m ll. Ko- btWber. bie Hitler b*m»»v»«» bürgerlichen Partei weitersühren. Tas aber würde bedeuten, daß die britische Politik, besonders nach außen hin, keine besondere Stärke zeigen kann, woraus für Deutschland folgt, daß es ein ver hängnisvoller Irrtum wäre, neue Hoffnungen auf eine Unterstützung von feiten Englands gegen Frankreich zu setzen. G Bleibt Bnlvmu i» Amt? London, 11. Dezember Der König empfing heute den Premier- Minister Baldwin in einer Audienz, die 40 Minuten dauerte. Unter den zahlreichen Per sönlichkeiten, die heule vorspracheu, befanden sich Lord Curzon, der Unlerstaatssekretär des Äußeren Mac Neill, Neville, Chamberlain und LSashington Evans. Reuter erfährt, in maßgebenden konser- vativen Kreisen herrsche jetzt die Ansicht vor, daß Baldwin nicht zurücklreten, sondern sein Amt weitersühren und vor das Parlament treten werde. E- sei keineswegs sicher, daß er, wenn er vor das Parlament trete, sich in der Minderheit sehen werde. Tenn es seien, wie ver lautet, Schritte unternommen worden, um die An sichten der Liberalen kennen zu lernen, und die Regierung habe jetzt die Genugtuung, daß von den Liberalen keine unnötige Oppo sition getrieben werde. w Tie Parlamcutswahlr» der LoAdouer Universität. Lands«, 11. Dezember Reuter melde! Bei der Parlaments- wähl der Londoner Universität wurde der Physiker RussellWells mit 4037 Slim- men gewählt. Ter Historiker Pollard erh ell 2593, der derühmle Schriftsteller Wells 1490 Stimmen. Der S and der Parteien ist zurzeit folgender: Konservative 256, Arbeiterpartei 189, Liberale 157, Unabhängige 8. dabo« überzeugt hatten, daß dies« Herre« selbst zum Lotzschlage« bereit seien »nd mit «ach Berim ma,schirren würde«. Der Pla« wnrb« anch i« rmzel«ea lesproche« «nb frstgelegt, der Anfrns einer dcnlschen na tionalen Regirnmg i« Bayer«, die Vertci- lung der Ämter und die Art des Militär- Vorgehens sind gcoau rrSrterl wardtn. Interesse erregt auch die unwidersprochene Mitteilung Hillers, daß Seißer damals nach Berlin zu General v. Seeck! gefahren ist und dort Ab machungen getroffen hat, die den verabredeten Putschplänen widcrfprachcn. Besonders lebendig schildert Hitler, wie nach dem Überfall die Herren Kahr, Lossow, Reiher für dlnLtaatö. s.rrich g, Wonnen wurden. „Am ersten", so beißt eS» „entschloß sich Herr v. Lossow, dem Beispiel Sr. Er,ellenz Ludendorff zu folgen. K^ellenz Lndrndorsf hatte ihn gesprvch«»: „Alsa Lajsow, tnn Lie «t« vnd schlag«« Sie ein in «eine Hand?" Und b Lassaw richtete sich soldatisch stramm anf. Ang in Ang standc» sich die beiden Generäle gegenüber nn» a. Lassaw schlng ri» i« bie Hand Lnbenbarff». b. Seiher nicht «»«der bereit nnb nicht mtnber ehrlich nberzcngt, streckte ba» selbst Lnbenbarff die Handelt- gegen z«r Vesi egeln»g be» Be- schl»sse» z«r gemeinsa me« Arbeit" v. Sahr stand allein noch abseit- und zeigte sich sehr erregt, daß er von Hitler mitten in seiner ant«marxistischen Programmrede gestört worden 'ei. Aber Hitler drang in ihn, holte ihn dann mit jubelndem Beifall aus der unter Maschinengewehren gehaltenen Versammlung herbei und erklärte nun Kohr ehrlich überzeugt und ergriffen: „««» gut, ich bi« bereit, aber >«r ««ter ber Bebi>g««g: Wir stehe» doch hier alle al» «»»aichiste» Ich werbe ba» Amt ettee» L«urbe»berweser» »ar äberaehmr» al» Statt- bitter Sr. «aiestät be» K»«^ Mckkhonald ßkqe« d«S Nuhntnter- nehme« Paris, 10. Dezember. Macdonald, der Führer der englischen Ar beiterpartei, erklärte dem Sonderberichterstatter de» „Matin", er könne nicht verschweigen, daß augen blicklich das englische Volk Frankreich gegenüber nicht günstig gesinnt sei. E- wäre eine Kleinigkeit, die öffentliche Meinung in Großbritannien gegen Frankreich aufzuhetzen. Er wünsche, daß die führenden Politiker Frankreichs sich dcwon überzeugen, daß Frankreich durch freundschaftliche Verhandlungen eine« Versuch machen müffe, zu einemEinverständ nis zu gelangen. Tie Frage, die in kürzester Zeit gestellt werden würde, sei die der fran zösischen Schuld gegenüber Groß britannien. Alle französischen Statynken zeigten, daß Frankreich gedeihe. Das englische Volk frage sich deshalb, warum es nicht bezahle, was «4 schuldig sei, da die Engländer doch ihre Schut» bei den Vereinigten Staaten beglichen. Frankreich könne sich rühmen, keine Arbeitslosen zu haben; es scheine aber, daß es sich nicht Rechen schaft davon ablege, daß England nicht so glück- lud sei. F« G«gla«» glaub» «a«, »äh Fnmkreuh tei» offene» Spiel treibe, »oß e» eine als cgoistisch empfundene Politik »erfolge. GrwijK Reben Pot««rs» Härte« de» schlechteste« Sindrnck naj b«» e«glische Polk gemacht st» gebe tei« Bott ««f der Welt, mit de« man dtfrcn«»tt bleibe« kämlr, »nur »an mit ihm nicht einig »ei. Nach Ansicht ber englischen Arbeiter sei da» Ruhr«ntern,hm«n Fra«trrichs dollkomme« «nannehmbar. Wenn Frankreich die Ente«tc anfrechterhatte« »olle, mässe es England einc« Schritt «ttgegenkommk«. Hitler beruhigte auch diese Bedenken mit den Worten: „Exzellent, ick will vor allem das Un recht wieder gmmacken, das vor 5 Jahren eine Hord« gemeiner Verbrecher am hochseligen Vater Sr. Majestät des K.nigs verübt bat." Die Richtigstellung dieser temperamentvollen Darstellung will Herr v. Kahr der Prüfung durch das Strafverfahren vorbehalien. Tabei sollte es zum mindesten auch möglich sein, die immer noch dunkle Funkspruch.Ange legenheit Kahrs in der Putschnacht vollständig auszuklären. In diesem angeblichen „kreis- telegramm an die bayerischen Re gierungspräsidenten" liegt zweifellos aut der Schlüssel zur Aufhellung der nach wie vor dunklen Ereignisse. Berlävflernng ver Beamtkndienstzeit. München, 10. Dezember, Eine Bekannt,»»» «ng iämillcher Siaaisministe rien an die Beamtenschaft erklärt, daß die außer ordentliche Notlage der öffentlichen Finanren zum Abbau des Beamten- und Angestelltenkörpers zwinge. Ta der Aufgabcnkcis der Behörden nicht sogleich vermindert werden könne, müsse zu- nächst die Arbeitsleistung der Beamten- und An gestellten soweit als möglich gesteigert werden. Die 49stündige Wo chendienstze it könne nunnehr eine Minderdienstzelt darstellen. Die Beamten werde« verpflichtet, über dte fest gesetzten Dicnststunden hinaus zu arbeiten, ohne eine besondere Entschädigung dafür zu erhalten, über 54 Stunden soll sich die Arbeitszeit im all gemeinen nicht erstrecken. Tie strenge Durchfüh rung dieser Gru« dsä e wurde den Vorständen und Behörden zur Pflicht gemacht. O DsS Sr«ichtiß»ngsßesetz. MI»che«, 1». Dezember Do» PIe««m be» Lonbt»»« wirb wahrfche« »ich i» ber «ächstr» Woche el«berufe« werbe», m» b«» Ermächtigmegegesrtz «och ber Wethemchte» t» erleb-»«« Die demaskierten Münchener Mitverschwarenen.