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——— Sächsisch eSlaatszeitung Staatsan^eiger für Nr. 112 192L Mittwoch, 16. Mai Zeitweise Nebenblätter: Landtag».Beilage, Ziehungslisten de, Berwaltung der Staatsschulden und de, LandeStulturrentenbant, Jahresbericht und Rechnungsabschluß der LandeS-BrandversicherungSanstaH Berkau ssliste von Holzp stanzen aus den StaatSsorstrevierea. verantwortlich für die Redaltioa: Hauptjchriftleiter Bernhard Jolle- in Dresden. Erscheint Werktags nachmittag» mit dem Latum der ErscheinungStageS, Bezugspreis: Monatlich 5000 Marl. Sin^lne Nummem 800 Mart. Fernsprecher: GeschästSstelle Nr. S12S5 - Echristleitung Nr, 14S74. Postscheckkonto Dresden Nr, 2486. den Zreiftaat Sachfen Ankündigungen: Die 32nun breite«rundzeste oder derenRa»zm iiqAFMnPIa^ teile 400 M,, die 66 nun breite Grundzeit« oder deren Raum im amtlichen Teile 800 unter Eingesandt 1000 M, Ermäßigung aus Familien- n. «eschästSanzeigen. Schluß der Annahme vormittag» 10 Uhr. Die Fortsetzung von Poincarös Pfandpolitik. Besetzung der Höchster Farbwerke. Höchst, 1S. Mai. Die Höchster Farbwrrke sind grster» nacht von den Franzosen besetzt worden. Die Ar« teiierschast bewahrte völlige «nhe und suchte nach Hanse zu gelangen. Heute wurde der randrat de» RreiseS Höchst, zimmer« man», von de» Franzosen siir abgesetzt er klärt unddurch de»Ltp«ratisttnSch«li»sptkt»r ve. Hindrichs ersetzt. Uber die Stadt Höchst «st der Belagerungszustand verhSn'gt worden. Es scheint, daß die Be setzung der Höchster Farbwerk« in Zusammen« hang steht mit teuer der Badischen Anilin« und Sodasabrik in Ludwigshasrn. Zur Besetzung der Farbwerke meldet die „Frankfurter Zeitung": Die Franzosen forderten gestern abend von den Farbwerken fünf Per- ionenkrastwagen an. Die Direktion verweigerte ihre Herausgabe. Daraufhin umzingelten die Franzosen nachts die Werke mit Truppen, Tanks und Minenwerfern und verweigerten heute früh den 12 000 Arbeitern den Zutritt zu den Werk stätten. Unter den Arbeitern verbreiteten sie Flugblätter, die, von der Ablehnung der fran zösischen Forderung nach Kraftwogen ausgehend, von Sabotage-Gesinnung der Jndustrieleiter über haupt sprechen und die Arbeiter ausfordern, der Sssst-FS-Aruppe keine Gefolgschaft mehr zu leisten. » Zur Besetzung der Badischen Aniliufabrik. Ludwigshafen, 15. Akai. Die von uns bereits gemeldete Besetzung der Badischen Anilin- und Sodafabrik ging in der Weise vor sich, daß um ^,6 Uhr der Ober bürgermeister und die Bezirksvertreter zu 7 Uhr zum französischen Bezirksdelegierten bestellt wurden. Die um 8 Uhr angesammelten Arbeiter wurden von berittenen Spahis mit blankgezo genen Säbeln auseinandergetrieben. Zu Zwischenfällen ist es nicht gekommen. Die Direktion ist von der Besetzung vorher nicht ver ständigt worden und es ist bisher auch keine offi zielle Mitteilung der Besatzungsbehörde ergangen. Die Vorräte des WerkcS sind, da wegen der Aus fuhrsperre seit vier Monaten fast nur auf Lager gearbeitet werden konnte, sowohl an Färb- als an Stickstossen sehr groß. — In einer Presse besprechung wurde heute früh von dem franzö sischen Vezirksdelegierten mitgeteilt, daß die Besetzung der Badischen Anilin- und Soda fabrik zu dem Zwecke stattgesunden habe, um diejenigen Mengen von Farbstoffen zu beschlagnahmen und abzubefördern, auf die Frankreich und Belgien nach dem Friedensvertrag Anspruch hätten. Die Betriebe, in denen diese Erzeugnisse hergestellt werden, bleiben beschlagnahmt und auch für die Arbeiter gesperrt. Man Hosse, die Maßnahme innerhalb 8 Tagen durchführen zu können. DI« BerkehrSsperre, die notwend g gewesen fei, um große Arbeiteransammlungen bei dem Schichtwechsel zu verhindern, habe nur von b bis 8 Uhr heute früh angedauert. Der Verkehr dürfe von dieser Zeit an wieder völlig ausge nommen werden. Einzelne Postenketten dienten lediglich der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung. Den Pressevertretern ist auf das be stimmteste erklärt worden, daß die Besetzung des Wer kes keine anderen Ziele als die angegebenen habe. * Besetzung einer chemischen Fabrik in Nrdingen. Urdiugen, 1b. Mai. Die chemische Fabrik der Firma Weiler 1er Mer ist von den Belgiern besetzt worden. Eine etwa 60 bis 80 Mann starke Abteilung Belgier zog mit Maschinengewehren und Tanks vor die beiden Werke Wedekind und Weiler ter Mer und besetzte die Ausgänge. Die Arbeiter wurden nach Hause geschickt und von einem Kom mando zwei Direktoren au» der Stadt herbei, geholt. Ihnen wurde erklärt, die Besatzung wolle die-seit dem 11. Januar 1923 eingestellten Smhlieferungen mit Gewalt obholen. Die Direktion verweigerte jede Mitwirkung entsprechend den Weisungen Ver deutschen Regierung. * Limburg besetztes Gebiet. Frankfurt, 15. Mai. Heute früh ist Limburg überraschend von den Franzosen besetzt worden. Bahnhof und Post sind mit Truppen belegt. Die Be amten wurden aus dem Dienst verjagt. In der Stadt sollen Haussuchungen stattsinden. Heute nachmittag 4 Uhr ist Limburg von den Fran zosen wieder ge räumt worden. Die Franzosen haben dort einen Anschlag hinterlassen, daß Limburg am 16. Mai zum besetzten Ge biet zu rechnen ist, und zwar mit der Maß gabe, daß nunmehr alle Stationen der Strecke Niedernhausen—Limburg mit zum besetzten Ge biet rechnen. Sämtliche Stationen zwischen Kamberg und Limburg, beide Orte eingeschlossen, sind nunmehr besetzt. Der Betrieb Limburg- Gießen, Limburg—Kamberg und Limburg- Westerwald wurde wieder ausgenommen. Gestern sind in Kettwig starke französische Truppen abteilungen eingerückt und haben das Rathaus umstellt. Mehr als 10 Mill. M. sind beschlag nahmt worden. Außerdem wurde ein Geld schrank, in dem sich ungefähr 12 Mill. M. be finden, versiegelt. Die französische Aktion hat den Zweck, dle de« Stadt einzütreiben. * Noch keine Entschließung in Berlin. Berlin, 16. Mai. Der Reichskanzler empfing gestern Ab- geordnete aus dem besetzten Gebiet und besprach mit ihnen die das Rheinland und Ruhr betreffenden Fragen. Besonders wurden die durch di« Maßnahmen der Franzosen hervorgerusenen Verkehrsschwierigkeiten erörtert. An der Unterhaltung nahmen auch die Minister v. Rosen berg und Brauns teil. Tie Zentrums sraktion des Reichs tages und des Preu tzischenLandtagcS habt» in einer gemeinsam«« Sitzuug bi« An« sicht »«Sgesproche«, daß der Fade« der Berhaudlunge« mit der Ealente nicht abreiße» dürfe unddeshalb ei« neues präzisiertes Angebot be« sonders in der Frage der Garantie« grmacht werbt« müsse. Auch i« brr Anffassu»g, daß ktinr aadrre als die gegenwärtige Regit« rnng zu ditser Ansgabt berufe» sei, herrschte vollkommene Einmütigkeit. Das Reichskabinttt hat gestern nach« mittag eine Sitzung von mehrstündiger Däner «bgehalte», aus deren Dagesordnung die Antwortnoten der englischen und italienische» Regierung standtn. Ein abschließendes Ergebnis der Beratung liegt «och «icht vor, und eS muß darans htugewiejeu werden, daß wahrscheinlich auch die nächsten läge noch keine wesent« liche Beräuderung der Lage mit sich bringen werden. Eine Rede deS-Reichskanzlers oder des ReichS- außenministerS im Reichstag ist, wie entgegen anders lautenden Meldungen mitgeteilt sei, vor läufig nicht in Aussicht genommen, da zuvor ein gehende Beralungen erforderlich find. Erst nach allseitiger Klärung der zur Erörterung flehenden Fragen wird eine üfsentliche Stellungnahme der ReichSregierüng in Erwägung gezogen werden können. Heute vormittag wird der Reichs kanzler die Parteiführer empfangen, um mit ihnen die gegenwärtige politische Lage und insbesondere die Frage zu besprechen, ob in der heutigen Reichstagssitzung bei der dritten Lesung der Etats des Auswärtigen Amtes eine außen politische Debatte stattsinden solle. Wie verlautet, besteht außer bei den Sozialdemokraten bei den Parteien keine Neigung siir eine solche Aussprache. Der Kanzler wird heute früh zuerst die sozial demokratische» Parlamentarier und eine Stunde später die Vertreter der bürgerliche» Parteien empfangen. Der Ältestenrat des Reichstag» wird dann kurz vor der um Uhr beginnen den Plenarsitzung zusammentret-n, um dann ent- Ein Amnepiegesetz für Sachsen. Dem sächsische», Grsamtministerium liegt der Entwurs eines Gesetzes über eine Amnestie für Rot« und AbtreibungSdelikte vor, der in den nächsten Tagen dem Landtage zugehrn wird. DaS deutsche Volk leidet unter den Foigen des verlorenen Krieges schwerer als je und ist »»» einem großen Teile völlig verarmt. Tie Nachprüfung zahlreicher Gnadengesuche hat in de« letzten Monaten in immer steigende»» Maße ergeben, daß die wirtschaftliche» Verhält nisse der strafsilllig gewordene» Volksgenossen ohne deren Bcrschulden von Tag zu Tag sich trostloser grsta'.lrn. Arbeitslosigkeit oder, zusolg« A'beitSrinschriinlung, zu geringe Entlohnung deS FamilirnhaupteS tresfen so häufig mit körperlicher Entkräftung, Krankheit oder völlige»» gesundheitlichen Zusammenbruch« der von der schwierigen Haus- Wirtschaft und Kinderpflege bedrückten Frau und Mutter, sowie mit Unterernährung und Erkran kung der jüngeren Kinder zusammen, daß der Daseinskampf solcher Familien einen zerad.zu erschütternden Anblick zeigt. TeShald schlägt der Entwurf beS Amnestie, gesetzrs vor, Strasen wegen Verfehlungen, die auS Rot — auS ernster Wirtschaft ich,r Be- dräugntS — begangen worden sind, zu erlas, sen, wenn sie von sächsische« Gesetze« rechtskräftig erkannt wordrn sind und die erkannte Strafe nur in Festung oder Gefängnis von höchsten» 1 Jahr ober in Geldstrafe von höchstens 8000» M be. steht. U«ter denselben Voraussetzungen werde« Strasverfahre« Wege« solcher ans Rot begangener Strastate« «iebergeschlage«. Hinsichtlich berAbtreib««ge« macht eine i» ber Rrchi»wisse«sch«ft «nb i« brr Strimi««l» Politik schon sei« längerem hervor«,trete«« U»f. sasfung mit immrr größere»» Nachdruck geltend, daß in nicht selten,» Fäll,«, außer Leichtsinn, Verjährung und Aurcht vor Schande auch die wirtschastliche Rot den Beweggrund der Dat bildet. Neugcborene, unrhelichc nud auch eheliche Kinder können, wegen der großen Notlage der Unterhalts- pflichtigen, oft nur ganz unzureichend ge« nährt und aufgezogen werden, sodaß sie mit ihrem schwächlichen Wese« im Lebenskämpfe nicht zu bestehen vermögen und später die Allge - meinheit gefährden. So rechtfertigt sich im allgemeinen eine A m - nestle mit Straferlaß oder Niederschlagung wegen Abtreibungshan blungen in den Grenze« der Strasmaßr wie bei Notdcliktc«. Ausgenommen bleiben Fälle, in denen die Schwangere wirtschajtlich gröblich auSgebrutet wurde, wenn die Abtreibung ohne ihren Willen erfolgt ist oder wenn sie die Gesundheit der Schwangere« schwer gefährdet oder geschädigt hat Die AnSsührung des Amn,stiegesktz,S soll zu«ächst den Justizbehörde« obliegen. DaS Instizmtntster«„ m wird sich aber, bei Ablehnung durch die genannte« Jnsta«ze«, »ie Nachprüfung Vorbehalte». Hierüber wird an die Justizbehörden eine AuSführungS. Verordnung ergehen. Liese Behörden werde» .nch angewiesen werde», schon jetzt z» prüfe«, welche vo» ihne« beirirbe««» Straf« fachen voraussichtlich unter das «mnestiegesetz fallen »mrden und gegebenrafaU» — auch bet entsteheube» Zw.sel« — b!« noch nicht be. gonnene Strafvollstreckung »«fzuschiebe». Sonst anhängige Sachen» soll,« vorläufig nur insoweit fortgeführt werden, al» die Erörterung von D«ts«che« i« Frage kommt welche dir A«. wcnbn«, ob«, Nichtanwendung be» Amnestie« gesetzt» z» begründen geeignet sind. sprechend Hen/DoiLey, B;reinba^uyg«p>er Partei- führermit dem Reichskanzler zu beschließen. Bal-wik über die Höhe des deutsche» Angebotes. London, 1b. Mai. In einer schristlichen Antwort auf eiae An frage, welche» der Bergleichswert in Pfund Sterling einerseits d e S jüngstendeutsche« Angebots und andrrseits des von Bonar Law auf der Pariser Konferenz im letzten Januar ge forderten Betrages fei, erklärte der Schatzminister Baldwin, er würde den Gegenwart-wert der im britischen Plane auf der Pariser Konferenz geforderten Zahlungen auf eine Höchstsumme von 2500 Millionen Pfund Sterling, den Gegen wart-wert des deutschen Angebots im Höchstfälle, aus nicht «ehr als 1500 Mil lionen Pfund Sterling bemessen. * Ter Borwand zur Nuhraktion. Italien befriedigt. Berlin, 15. Mai. Bon unterrichteter Seite wird zu der Frag« der Reparationsholzlieferungen mttgeteitt: Wie bekannt, haben Ansang Dezember 1922 Vie Vertreter der deutsche« Regierung bei Verhandlungen mit d-r Reparationskommissio» wegen der restlichen Lieferungen für 1922 um Gewährung einer Nachfrist für die Ablieferung bi- zum 30. März 1923 ersucht. Die sranzösijche und belgische Regierung ist, wegen der Nicht« ersüllung der Lieferung bi» zum Ende des Jahres, zur Besetzung des Ruhr, grbiets geschritten, wa» zur völlige« Einstellung der wetteren Lieserunge« gesührt hät. Lie italienische Re gierung hat sich hingegen mit der Nach- lieferung einverstanden erklärt. Bis zum 30. März 1923 ist die gesamte noch zu liefernde Restmenge an Holz gemäß der im Dezember von den deutschen Vertretern gegebenen Zusage dem italienischen Abnahmedienst für die Reparationslieferungen zur Verfügung gestellt worden. Da» Versprechen der deutschen Regierung aus Ersüllung der Lieferungen ist damit in vollen» Umfange eingelöst worden. Infolge starker Belastung des Abnahmepersonols sowie übermäßiger Inanspruchnahme der Eisenbahnlinie über Kusstein, der einzigen nach der B.-setzung der badischen Verkehrslinien durch die Franzcsen benutzbaren Verkehrslinie nach Italien, ist die Übernahme und dec Abtransport der Holzmengen noch nicht völlig beendet. . Im gleiche« Maße hätte» auch Fra»lr,ich und Velgie« die noch fällige» Liefrrungr« er- halte.», wen» die Aortsiihrung der Lirseru«- durch de» Einfall in drntjchrS Gebiet nicht »»- möglich gemacht wordrn wär,. Mussolini und Ruhrsrage. Paris, 15. Mai. Prof. Aulard schreibt in der „Quo- tidienne": In Form und Sache ist die ita- lienische Antwort an Deutschland ebenso korrekt gewesen wie die englische. Es wird aber nicht genügend beachtet, daß daS Stillschweigen der italienischen Antwort zur Ruhr frage die französische Isolierung ver- s chärse. Die italienische Antwort notifiziere da durch, daß das Wort Ruhr in ihr nicht aus gesprochen wird, nur implieit«, aber klar und deutlich, daß Mussolini sich nunmehr der eng lischen Auffassung angeschlossen hat. Poincarö hat mit den Belgiern allein sein wolle«. Nu», er ist jetzt allein mit den Belgiern, die ihrerseits nicht mit ihrer Einsamkeit so zufried«» seien wie er. Wenn Deutschland neue Angebote mach«» werde, die Lurzon und Mussolini von ihm verlange, werde man die «»angenehme« Folgen dieser Isolierung inne werden.